# taz.de -- Unabhängiger Polizeibeauftragter über Berlin: „Ich möchte etwa… | |
> Seit dem 1. August hat Berlin einen unabhängigen Polizeibeauftragten. | |
> Dass große Erwartungen auf ihm ruhen, begrüße er, sagt Alexander Oerke. | |
Bild: Alexander Oerke, unabhängiger Polizeibeauftragter von Berlin | |
taz: Herr Oerke, es hat lange gedauert, bis der Posten des unabhängigen | |
Bürger- und Polizeibeauftragten von Berlin besetzt worden ist. Am 1. August | |
2022 haben Sie angefangen. Große Erwartungen ruhen auf Ihnen, sind Sie sich | |
dessen bewusst? | |
Alexander Oerke: Das ist mir natürlich bewusst. Ich begrüße das. | |
Die Parteien des rot-grün-roten Regierungsbündnisses hatten sehr | |
unterschiedliche Vorstellungen. Sie gelten als Kandidat der SPD. | |
Das ist insofern richtig, als ich mich zunächst bei der SPD initiativ | |
beworben hatte. Aber ich habe kein SPD-Parteibuch. | |
Die Stelle war doch gar nicht ausgeschrieben. | |
Das war schon 2020. Eine Expertenanhörung im Abgeordnetenhaus hatte mein | |
Interesse geweckt, mich zu bewerben. | |
Die Linkspartei hatte sich einen Kandidaten aus dem Bürgerrechtslager | |
gewünscht. [1][Ihre Bewerbung lag dann anderthalb Jahre sozusagen auf | |
Halde]. | |
Ich kenne die Personen nicht, die in die engere Wahl gezogen worden sind. | |
Ich war aber sehr erfreut, als ich im Mai 2022 gefragt wurde, ob ich es | |
denn noch machen möchte. | |
Was reizt Sie an dieser Aufgabe? | |
Als Richter habe ich die Erfahrung gemacht: Je früher man sich im Wege der | |
Schlichtung, im Dialog mit Konfliktfällen befasst, umso eher besteht die | |
Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung. | |
Sie waren Richter im 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts | |
Berlin-Brandenburg und dort unter anderem für Polizei- und | |
Versammlungsrecht zuständig. | |
Ich war auch viele Jahre in der Richter-Personalratsvertretung. Es gehört | |
ein bisschen zu meiner DNA, mich für andere Leute einzusetzen. Als Richter | |
ist man allerdings in ein enges Korsett eingebunden, man beschäftigt sich | |
nur mit Fällen, die einem im Wege der gesetzlichen Zuständigkeit auf den | |
Tisch kommen. In dem neuen Amt habe ich die Möglichkeit, breiter tätig zu | |
werden. | |
Was meinen Sie damit? | |
Das Amt des Bürger- und Polizeibeauftragten ist eine Schlichtungsstelle, | |
wenn es im Zusammenleben zwischen Bürgern und Bürgerinnen und staatlichen | |
Einrichtungen zu Problemen kommt. Die Aufgaben sind in einem eigenen Gesetz | |
geregelt. Das Ziel ist, in einem Dialog mit den Beteiligten auf eine | |
einvernehmliche Lösung der Angelegenheit hinzuwirken. Ich werde es vor | |
allem mit Einzelfällen zu tun haben. Wenn sich im Laufe meiner Tätigkeit | |
aber zeigt, das bestimmte Einzelfälle immer wiederkehren und da strukturell | |
etwas im Argen liegt, werde ich dem natürlich auch nachgehen. | |
Was könnte das sein? | |
Ich nehme mal ein Beispiel, das ich der Presse entnommen habe: Bei | |
Fahrscheinkontrollen wurden nichtweiße Personen besonders oft kontrolliert | |
bzw. unangemessen behandelt. | |
Im Fall von Polizeikontrollen wäre das Racial Profling. | |
Ja, das sieht danach aus; hier war es im BVG-Bereich. Wenn so etwas öfter | |
vorkommt, habe ich die Möglichkeit, auch ohne eine Beschwerde aus eigenem | |
Antrieb nachzuforschen. | |
Und dann? | |
Wenn ich zu dem Ergebnis komme, das geschieht gehäuft, muss man sehen, wie | |
das abgestellt werden kann. Das ist kein Verhalten, das rechtlich in | |
Ordnung ist. | |
Haben Sie eine Ahnung, was da an Arbeit auf Sie zukommt? | |
Überhaupt nicht. Um eine Vorstellung zu haben, wie oft sich Bürgerinnen und | |
Bürger mit Beschwerden an die Polizei wenden, habe ich mir kürzlich den | |
Jahresbericht der internen Beschwerdestelle der Polizei angesehen. Danach | |
gab es rund 1.900 zu bearbeitende Beschwerden im Jahr 2020. | |
Ist das viel oder wenig? | |
Angesichts von mehreren Millionen polizeilichen Maßnahmen, die jedes Jahr | |
in dieser Stadt durchgeführt werden und bei rund 25.000 Beschäftigten der | |
Berliner Polizei ist das keine hohe Zahl. Man muss das in Relation sehen. | |
Auch die Anzahl der begründeten Beschwerden ist im Vergleich relativ | |
gering. Bei circa einem Drittel ließ sich der Sachverhalt nicht aufklären. | |
Ähnlich ist es bei den Petitionen. Als Bürgerbeauftragter arbeite ich ja | |
mit dem Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses eng zusammen. In dem | |
Bereich gibt es verschwindend wenige Beschwerden von Bürgerinnen und | |
Bürgern an den Petitionsausschuss, die mit der Polizei zu tun haben. Das | |
kann man an einer Hand im Jahr abzählen. | |
Was folgern Sie daraus? | |
Das fällt aus meiner Sicht ziemlich stark auseinander. Ich kann es mir nur | |
so erklären, dass sich Leute, die sich über die Polizei beschweren, das | |
direkt bei der Polizei machen. Wie sich das dann bei mir darstellt, kann | |
ich derzeit nicht absehen. | |
Teile der Gesellschaft haben ein großes Misstrauen gegen die Polizei und | |
würden sich deshalb nicht mit Beschwerden an die Polizei wenden. Wer | |
gewalttätige Beamte anzeigt, muss mit einer [2][Gegenanzeige wegen | |
Widerstands] und Ähnlichem rechnen, das ist eine auch von der taz oft | |
beschriebene Tatsache. Wie erleben Sie das? | |
Aus eigener Wahrnehmung kann ich das nicht nachvollziehen. Ich kann nur | |
sagen, als Richter habe ich relativ wenig erfolgreiche Verfahren gesehen, | |
die sich gegen die Polizei richteten. | |
Genau das ist Teil des Problems. Verfahren wegen Körperverletzung im Amt | |
enden in der Regel mit Freispruch oder Einstellung. Ein nicht unerheblicher | |
Grund dafür scheint der Korpsgeist zu sein: Ein Polizist sagt ungern gegen | |
einen Kollegen aus. Ein Amtsrichter beschrieb das bei einer | |
Urteilsverkündung mal so: Er sei bei den Polizeizeugen auf eine Mauer des | |
Schweigens gestoßen. | |
Ich habe dazu auch schon entsprechende Untersuchungen gelesen. Aber ich | |
persönlich werde mich im Einzelfall immer nach meinen eigenen | |
Feststellungen richten und nicht danach, was – vielleicht auch von | |
bestimmten politischen Kreisen – von mir erwartet wird. Und ein Schweigen | |
oder eine Aussage, von wem auch immer, die mich misstrauisch macht, gibt | |
mir Anlass, das zu hinterfragen und meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Auch | |
als Richter habe ich das immer so gehalten. | |
Bestimmte politische Kreise, wen meinen Sie damit? | |
Mit Ausnahme der CDU haben mich alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses | |
gewählt. Das hat mich sehr gefreut,und es zeigt, dass mir ein gewisses | |
Vertrauen für eine neutrale Amtsführung entgegengebracht wird… | |
… auch von der AfD? | |
Offensichtlich. Die einen erwarten sicher, dass ich mich schützend vor die | |
Polizei stelle und sage, die macht alles richtig. So wird es nicht sein. | |
Und die anderen erwarten, dass ich Missstände, die aus dieser politischen | |
Sicht schon immer bestanden haben, sofort bestätige. So wird es auch nicht | |
sein. Je nachdem, wie im Einzelfall meine Empfehlung aussehen wird, wird | |
der eine oder die andere später vielleicht mal bereuen, mir seine Stimme | |
gegeben zu haben, aber so ist es halt. Man kann es nicht allen recht | |
machen. | |
Was für ein Bild von der Polizei haben Sie denn als Privatmensch? | |
Als junger Mensch bin ich ein paar Mal zu schnell gefahren mit dem | |
Motorrad, aber das ist schon lange her. Ich persönlich hatte mit der | |
Polizei keine Probleme. Das heißt aber gar nichts. Ich bilde mein Urteil | |
aufgrund meiner jetzigen Tätigkeit, sonst wäre eine neutrale | |
Aufgabenerfüllung nicht möglich. | |
Sind Sie mal auf Demos gewesen? | |
Bin ich auch gewesen, das letzte Mal in Potsdam … | |
… Sie wohnen im Umland von Berlin … | |
…da ging es um die Schulgebühren. Privatschulen in Brandenburg werden | |
teilweise vom Land finanziert. Das war ein Fall, wo ich dachte, da müsste | |
ich mal mitgehen. | |
Radikalere Demonstrationen oder Straßenschlachten haben Sie nie erlebt? | |
Es gab durchaus Demonstrationen. Ich sage es mal ganz vorsichtig, | |
Anti-Nazi-Demonstrationen sind mir aus meiner Jugend nicht ganz unbekannt. | |
Als ich Richter wurde, habe ich mich da zurückgehalten. | |
Auch die Polizei war in den letzten Jahren häufig in den Schlagzeilen wegen | |
rechtsextremistischer Chats und Einstellungen. Und auch der Mord an dem | |
Amerikaner George Floyd in den USA hat dazu geführt, dass in Deutschland | |
rassistische Polizeipraktiken verstärkt in den Fokus gerückt sind. Auch | |
deshalb ruhen große Erwartungen auf dem Polizeibeauftragten. | |
Das ist gut so. Diskriminierung und Rassismus hat es immer gegeben. Gott | |
sei Dank ist dieses Thema in den letzten Jahren immer mehr in den | |
Vordergrund gerückt. Ich denke, dass auch auf Behördenseite einige Schritte | |
unternommen worden sind, das einzudämmen. Aber das ist noch nicht das Ende | |
der Entwicklung. Auch das ist ein Grund für die Einrichtung dieses Amts. | |
Der [3][bekannte Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes] hat gesagt, ein | |
Polizeibeauftragter sei so etwas wie eine Eier legende Wollmilchsau. | |
Da kann ich ihm nur recht geben. Sehen Sie: Meine Aufgabe beschränkt sich | |
ja nicht nur auf die reine Sacharbeit, sondern zunächst gilt es, die | |
Beschwerdestelle überhaupt arbeitsfähig zu machen. Da geht es um Räume, da | |
geht es um Personal und, und, und. Der Haushaltsgesetzgeber hat mir | |
dankenswerterweise 16 Stellen zugebilligt, die es nach und nach zu besetzen | |
gilt. | |
Wollen Sie als Chef der Behörde alle Fälle selbst sichten oder von Ihren | |
Leuten aufbereiten lassen? | |
Es kann sein, dass eine Vorbesichtigung stattfindet, aber alle Fälle gehen | |
über meinen Tisch. Ich sehe alles, was eingeht, und habe im Fokus, wie die | |
Sache weiterbearbeitet wird. Im Regelfall müssen bei einer Beschwerde beide | |
Seiten um Stellungnahme gebeten werden. Erst dann hat man ein halbwegs | |
vollständiges Bild. | |
Sie haben auch eigene Ermittlungsbefugnisse, wie weit gehen die? | |
Ich kann mir Akten ziehen, auch bei der Polizei. Ich habe auch | |
Betretungsrechte in den behördlichen Einrichtungen. Ich muss das lediglich | |
mit den übergeordneten Senatsverwaltungen abstimmen, damit die Bescheid | |
wissen. | |
Gilt das auch für die Staatsanwaltschaft? | |
Nein, auf staatsanwaltschaftliche Akten und während eines strafrechtlichen | |
Gerichtsverfahrens habe ich kein Zugriffs- und Prüfungsrecht. Allerdings | |
werde ich ein Augenmerk darauf haben, ob solche Verfahren unangemessen | |
lange dauern. | |
Können Sie auch aus eigenem Antrieb tätig werden? | |
Da bin ich sehr dankbar, dass das Gesetz mir diese Möglichkeit gibt. Ich | |
bin ein aufmerksamer Zeitungsleser. Alles, was mir zu Augen oder Ohren | |
kommt und wo ich meine, da läuft was schief, und es fällt in meine | |
Zuständigkeit – darum werde ich mich kümmern, wenn dies zeitlich möglich | |
ist. | |
Wird man Sie künftig auch auf Diskussionsveranstaltungen von NGOs | |
antreffen, wenn Sie eingeladen werden? | |
Davon gehe ich aus. Der Presse kann man viel entnehmen, aber nicht alles. | |
Betroffenenverbände können einem ein Gefühl vermitteln, wo man noch mal | |
genauer hingucken muss, wo Sachen im Argen liegen. Zu Wort melden werde ich | |
mich bei Veranstaltungen aber nur, wenn ich etwas aus eigenen Erfahrungen | |
beisteuern kann. | |
Was treibt Sie an? | |
Ich möchte etwas bewegen. Eine Akte auf dem Schreibtisch von links nach | |
rechts zu schieben, das ist nie mein Lebenstraum gewesen. Am Ende meiner | |
Amtszeit möchte ich gern sagen können: Ich habe hier eine Behörde | |
aufgebaut, die wichtig und unverzichtbar ist und die allseits in ihrer | |
Funktion akzeptiert wird. | |
9 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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