# taz.de -- Bodycams versus Smartphones: Beweismaterial für beide Seiten | |
> Polizeieinsätze werden zunehmend von Außenstehenden gefilmt. Opferverband | |
> spricht von „positiver Entwicklung“. Die Polizei filmt mit Bodycams | |
> zurück. | |
Bild: Demoteilnehmer filmen Polizeieinsatz am 1. Mai in Friedrichshain-Kreuzberg | |
BERLIN taz | Filmszenen wie diese sind öfters im Netz zu finden: Polizisten | |
bringen einen Menschen zu Boden. Dann schiebt sich der Handschuh eines | |
Uniformierten vor die Linse und das Bild wird schwarz. | |
Dass Polizeieinsätze von Außenstehenden gefilmt werden, sei eine positive | |
Entwicklung sagt Biplab Basu, Sprecher der Kampagne für Opfer rassistischer | |
Polizeigewalt (KOP). Mehr noch, [1][KOB rufe zur Filmdokumentation] | |
geradezu auf. Es gehe darum, Polizeigewalt sichtbar zu machen – mit Abstand | |
am häufigsten seien davon People of Colour und Schwarze Menschen betroffen. | |
Die Aufnahmen seien wichtige Beweismaterial. | |
Nun filmt die Polizei zurück. Der Probelauf für die Bodycams, mit der 20 | |
Polizeibeamte ausgestattet sind, begann im September 2021. Inzwischen | |
sollten längst 300 Einsatzkräfte die kleine Körperkamera haben, die | |
unterhalb der Schulter befestigt wird. Aber der Modellversuch stagniert. | |
Die Senatsverwaltung für Inneres erklärte auf Nachfrage, man gehe davon | |
aus, dass die 300 Kameras „noch im Jahr 2022“ beschafft und eingesetzt | |
werden könnten. | |
Der Gewerkschaft der Polizei – kurz GdP – dauert das zu lange. In einer | |
Pressemitteilung forderte sie am Donnerstag neuerlich, den Probelauf zu | |
beenden und alle Berliner Polizistinnen und Polizisten flächendeckend mit | |
der Kamera auszustatten. Mehrere Gründe führt die GdP dafür an: Die Bodycam | |
diene der Eigensicherung, mache [2][polizeiliche Maßnahmen transparenter] | |
und erfülle eine wichtige, präventive Funktion. Allein die Ankündigung, auf | |
Recording zu drücken, habe deeskalierenden Charakter. | |
## Angeblich Chancengleichheit | |
Und da ist noch etwas: Der frühere GdP-Landeschef Norbert Cioma nannte es | |
im April „Chancengleichheit“, angesichts der zahlreichen Smartphones, die | |
auf die Beamten bei [3][polizeilichen Maßnahmen] gerichtet seien. | |
Wann auf Recording gedrückt wird, entscheidet der Kameraträger. Aber er | |
muss den Knopf auch drücken, wenn das polizeiliche Gegenüber die | |
Dokumentation verlangt. Die Bodycams seien eine gute Erfindung, sagt Biplab | |
Basu, aber unter anderen Voraussetzungen, als sie zurzeit gegeben seien. | |
Aber Chancengleichheit? „Davon kann keine Rede sein.“ | |
Dass Menschen zunehmend zum Handy greifen, wenn sie Kontrollen in Parks | |
oder auf der Straße beobachten, empfinden viele Polizisten als Ärgernis. | |
Fast jeden Tag höre er von Fällen, wo Polizisten Leuten androhten: | |
„Entweder du löschst das sofort oder ich beschlagnahme dein Handy“, erzäh… | |
Basu. | |
Manche Beamten seien sogar so dreist und durchsuchten das Handys selbst und | |
löschten die Aufnahmen. Erst unlängst hätten ihn vier Kreuzberger | |
Jugendliche angerufen, erzählt Basu. „Ihr habt uns gefilmt, das ist | |
verboten“, hätten die Beamten behauptet und die PIN-Nummern verlangt, | |
andernfalls würden sie die Geräte beschlagnahmen. | |
Dass Film- und Tonaufnahmen von Polizeiaktionen verboten seien, sei eine | |
Legende, sagt Basu. Es handele sich um öffentliche Handlungen, die | |
Dokumentation davon sei erlaubt. Die Polizei versuche diese aber immer | |
wieder mit juristisch fragwürdigen Argumenten zu unterbinden. Etwa, indem | |
sie sich auf den sogenannten „Abhörparagrafen“ Paragraf 201 StGB | |
(Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) berufe. | |
## Handyaufnahmen zulässig | |
Es ist genau ein Jahr her, dass sich das Oberlandesgericht Osnabrück mit | |
dieser Frage befasst hat. Videoaufnahmen mit Mobiltelefonen bei | |
Polizeieinsätzen sind zulässig, lautete das Urteil. Der Abhörparagraf finde | |
im öffentlichen Raum keine Anwendung. | |
Die Pressestelle der Polizei Berlin hat viel Mühe walten lassen, um die | |
Anfrage der taz nach der Rechtsgrundlage zu beantworten: In Betracht komme | |
etwa Paragraf 94 der Strafprozessordnung – Beschlagnahme von Gegenständen | |
zu Beweiszwecken – sowie der ASOG-Paragraf 38 aus „Gründen der | |
Gefahrenabwehr“, wenn die Bilder zum Beispiel unter Missachtung des Rechts | |
des Polizeibeamten am eigenen Bild auch veröffentlicht würden. | |
Die Antworten muten reichlich spitzfindig an, im Ergebnis immerhin räumt | |
die Pressestelle zumindest das ein: Im Einzelfall könne das Recht am | |
eigenen Bild hinter Artikel 2 und 5 des Grundgesetzes – Handlungs- sowie | |
Presse- und Meinungsfreiheit – zurücktreten. | |
Die GdP teilte mit, die Rechtsprechung sei „nicht ganz eindeutig“. Dass | |
Kollegen selbst Aufnahmen löschen, „ist uns nicht bekannt“. Die | |
Polizeipressestelle erklärte dazu: Eine Löschung der Aufnahmen vor Ort | |
komme „grundsätzlich nicht in Betracht“, weil es sich um Beweismittel | |
handele. | |
Falls es weiterer Beweise bedarf, was Polizisten im Zweifelsfall | |
unternehmen, um Aufnahmen von sich zu unterbinden: Das Amtsgericht | |
Tiergarten sprach im März einen Mann vom Vorwurf des Angriffs auf | |
Vollstreckungsbeamte frei. Der Angeklagte hatte am Lausitzer Platz einen | |
Polizeieinsatz gegen seine Schwester gefilmt. Beteiligte Beamte hatten | |
versucht, ihm das Handy abzunehmen, und ihn zu Boden gebracht. Bei der | |
Festnahme saßen vier Polizisten auf ihm. | |
In der Anklage hieß es, der Mann habe sich mit Fuß- und Kopfstößen gewehrt. | |
Aus zwei Videos von Außenstehenden, die in den Prozess eingeführt wurden, | |
ergab sich: Nichts davon ist wahr. So viel zur Chancengleichheit. | |
21 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://kop-berlin.de/veranstaltung/kampagne-kop-go-film-the-police | |
[2] /Polizeigewalt-in-Delmenhorst/!5856971 | |
[3] /Studie-zu-Rassismus-in-der-Polizei/!5858862 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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