# taz.de -- ADFC zieht Bilanz der Verkehrspolitik: Verfahrene Situation | |
> Trotz einer grünen Verkehrssenatorin habe sich die Lage auf den Straßen | |
> für Radfahrer*innen kaum verbessert, kritisiert der ADFC. | |
Bild: Brauchen keine Autobahn: Radler*innen, hier beim Protest gegen die A 100 … | |
BERLIN taz | Der Berliner ADFC hat der Politik der grünen Verkehrssenatorin | |
Regine Günther ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. „Berlin ist deutlich | |
hinter seinen Möglichkeiten geblieben“, findet Frank Masurat, im Vorstand | |
des Berliner Radler*innenverbands für Politik und Finanzen zuständig. | |
Schlimmer noch: Bis auf die Pop-up-Radwege sei nicht viel passiert; die | |
Sicherheit für Fußgänger*innen und Radler*innen sei nicht besser | |
geworden; die Vorgaben des [1][in dieser Legislatur verabschiedeten | |
Mobilitätsgesetzes] würden nicht eingehalten. „Die Landesregierung bricht | |
Landesrecht“, sagte Masurat am Dienstag vor Journalisten. In Berlin regiert | |
seit Dezember 2016 eine rot-rot-grüne Regierung, im September wird das | |
Abgeordnetenhaus neu gewählt. | |
Anlass des Gesprächs ist der ADFC-Katalog mit Forderungen für die nächste | |
Legislaturperiode. Und die sind ebenso deutlich wie die Kritik an der | |
Senatorin. Zum einen sollte der Verkehrsraum zu Ungunsten des motorisierten | |
Individualverkehrs umgestaltet werden. Der ADFC fordert ein Verbot von | |
Fahrzeugen mit fossilen Verbrennungsmotoren bis 2030; zudem sollte der | |
Autobestand sich bis dahin halbieren. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten | |
jährlich 60.000 Parkplätze wegfallen und die restlichen deutlich teurer | |
werden als bisher. Als Preis für die Parkvignette für Anwohner*innen | |
schweben dem Verband mindestens 240 Euro pro Jahr vor, derzeit sind es 20 | |
Euro. | |
„Für die Verkehrswende müssen die Menschen ihr Verhalten ändern“, betonte | |
Masurat. Die Pandemie sorge derzeit für eine solche Verhaltensänderung. | |
„Wir sollten in Berlin diese Chance nutzen.“ Er fordert deswegen, | |
Modellprojekte wie die autofreie Friedrichstraße in Mitte – also die | |
veränderte Nutzung in einer Geschäftsstraße – auch in anderen Bezirken | |
umzusetzen. Auch sollten sogenannte Kiezblocks, die den Autoverkehr aus | |
Nebenstrecken heraushalten, an fünf Orten in jedem Bezirk eingesetzt | |
werden. Und natürlich dürfe die [2][Stadtautobahn A 100 nicht verlängert] | |
werden. | |
Zudem müssten bestehende Regeln konsequent umgesetzt werden. Bereits seit | |
Sommer 2020 sollte der verpflichtende Radverkehrsplan von Rot-Rot-Grün | |
vorliegen. Doch: „Wir haben nicht mehr viel Hoffnung, dass das bis | |
September noch passiert.“ Der Plan schreibt unter anderem den Ausbau von | |
Radstreifen an Hauptstraßen vor. Für den ADFC ist er das wichtigste | |
Dokument für die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes. | |
Auch lasse sich die Sicherheit von Radler*innen und Fußgänger*innen | |
durch einfache Maßnahmen relativ leicht verbessern. „Wenn klar ist, dass | |
ein Unfall an einer Kreuzung auch auf die Infrastruktur zurückzuführen ist, | |
darf diese Kreuzung nicht einfach wieder freigegeben werden, wie das | |
derzeit passiert“, sagte Masurat. Vielmehr müsste erst Abhilfe geschaffen | |
und zum Beispiel das zweistreifige Abbiegen abgeschafft werden. Generell | |
sollten Kreuzungen nach niederländischem Vorbild umgestaltet werden. | |
## Hoffnung ploppt auf | |
Hoffnung machen Masurat die Pop-up-Radwege, die zu Anfang der Pandemie als | |
temporäre Maßnahme angelegt wurden, aber nun verstetigt werden. „Hier wurde | |
schnell die Infrastruktur der Stadt verändert; die Verwaltung hat agil | |
agiert“, lobte der ADFC-Vorstand. Das Vorgehen sollte ausgeweitet werden, | |
etwa auf die [3][Anlage neuer Busspuren.] | |
2026, so das Wunschbild des Verbands, würden dann keine Radler*in und | |
keine Fußgänger*in mehr im Straßenverkehr sterben müssen, selbst Kinder | |
trauten sich, Radwege zu nutzen; falschparkende Autos gehörten dank | |
umfassender Kontrollen der Vergangenheit an, und auch Firmen setzten auf | |
Lastenräder. Vor allem gehöre das „Zuständigkeitswirrwarr“ zwischen den | |
Verwaltungen dann der Vergangenheit an. | |
Die viel gescholtene Verkehrsverwaltung wies gegenüber der taz den Vorwurf | |
zurück, man sei untätig gewesen: Die Mobilitätswende sei eingeleitet, auch | |
für Fahrräder, teilte Sprecher Jan Thomsen mit. Allerdings bräuchten | |
Infrastrukturverbesserungen immer ihre Zeit, weil umfangreiche | |
Planungsprozesse mit intensiver Bürgerbeteiligung zwingend dazugehörten. | |
Man breche auch nicht das Mobilitätsgesetz: „Über einzelne Umsetzungen gibt | |
es selbstverständlich viele Debatten, auch weil teils komplett neue | |
Prozesse wie die Entwicklung geschützter Radfahrstreifen aufgesetzt | |
wurden“, so Thomsen weiter. Der Verzug beim Radverkehrsplan sei auf dessen | |
Komplexität und auch auf Corona zurückzuführen: „Die Planung eines komplett | |
neu konzipierten, mehrere tausend Kilometer umfassenden Radverkehrsnetzes | |
hat sich als deutlich zeitaufwändiger erwiesen, als dies am Anfang absehbar | |
war.“ Derzeit würde er aber „finalisiert“, auch dank der Anregungen des | |
ADFC. | |
Dessen Vorschlag, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren aus der Stadt zu | |
verbannen, wird von Senatorin Regine Günther unterstützt: Bis 2030 solle | |
dies in der Innenstadt so weit sein, bis 2035 dann in ganz Berlin. „Derzeit | |
werden hierfür die rechtlichen Voraussetzungen geprüft“, so Thomsen. Auch | |
die Erhöhung der Anwohnerparkgebühren stehe auf der Agenda. Aber: „Zur | |
genauen Höhe und Ausgestaltung gibt es noch keine abschließende | |
Positionierung.“ | |
4 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Mobilitaet-ohne-Auto/!5694552 | |
[2] /Debatte-ueber-Stadtautobahn/!5765451 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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