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# taz.de -- Verkehrspolitik in Berlin: Langwierige Spurensuche
> Beim von Rot-Rot-Grün geplanten Ausbau der Busspuren geht es zwar voran –
> aber sehr langsam. Woran liegt das?
Bild: Busspuren überall? Der Ausbaue geht noch zu schleppend voran
Berlin taz | Die Idee ist so einfach wie brilliant, wenn man den
öffentlichen Nahverkehr stärken will: Busse bekommen auf wichtigen Straßen
ihre eigene Spur und können so am Pkw-Stau elegant vorbeipesen. Das hat
sogar einen Lerneffekt für Autofahrer*innen: Seht her, im ÖPNV geht's
flotter. Fragt man die landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG),
bekommt man neben der höheren Reisegeschwindigkeit noch weitere Vorteile
aufgelistet, etwa geringere CO2-Emissionen.
Und doch hat sich die Idee der Busspuren in Berlin nie so richtig
durchgesetzt: Obwohl die ersten bereits 1970 angelegt wurden, gab es 2018
gerade mal 102 Kilometer davon. Und im Vergleich zum Jahr 2008 war das
lediglich ein Kilometer mehr. Angesichts von mehr als 5.000 Kilometern
Straßen insgesamt, ist das sehr überschaubar.
In ihrem Koalitionsvertrag vom Dezember 2016 hatten sich Sozialdemokraten,
Linke und Grüne denn auch den Ausbau des Netzes vorgenommen: „Neue
Busspuren werden dort eingerichtet, wo die Busse im Stau stehen, und Lücken
im existierenden Busspurennetz geschlossen“, heißt es darin.
Doch erst jetzt, auf der Zielgeraden der Legislaturperiode, lässt sich das
in Zahlen bemessen: Fast 45 zusätzliche Kilometer Bussonderfahrstreifen,
wie sie offiziell heißen, seien seit Herbst 2018 entweder angeordnet
worden, in Bearbeitung oder sogar schon umgesetzt, teilt Jan Thomsen,
Sprecher der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther, auf taz-Anfrage mit.
Tatsächlich bereits nutzbar sind davon laut Thomsen „rund 6 Kilometer“,
also ein Zuwachs von ebenfalls rund 6 Prozent. Der Sprecher will diesen
Fortschritt nicht gering geschätzt wissen, schließlich sei „bei diesem
Thema jahrzehntelang kein Fortschritt zu verzeichnen“ gewesen.
## „Dramatisch schlecht“
Euphorische Reaktionen bei den Begünstigten sucht man trotzdem vergebens.
„Der Ausbau liegt noch hinter den Erwartungen der BVG und den ursprünglich
mit dem Senat vereinbarten Zielen zurück“, stellt BVG-Sprecherin Petra
Nelken klar. Und Frank Masurat, beim Berliner ADFC zuständig für Finanzen
und Politik, spricht gar von einer „dramatisch schlechten Geschwindigkeit“.
Erneut stellt sich also in einem verkehrspolitischen Bereich die
rot-rot-grüne Gretchenfrage, die die Berliner*innen angesichts der Wahl
zum Abgeordnetenhaus im Herbst für sich beantworten müssen: Lässt dieser
Senat die Dinge schleifen oder geht es eben alles nicht so schnell, wie
sich manche erhoffen?
Beim ADFC bezieht man die Grundsatzkritik ausdrücklich nicht nur auf den
Ausbau der Busspuren. „Die Grünen wollen zwar, kriegen es aber nicht auf
die Reihe“, sagt Frank Masurat. Vorgaben durch das von Günther selbst
mitentwickelte Mobilitätsgesetz, das bisher benachteiligte
Verkehrsteilnehmer*innen wie den ÖPNV, Radler*innen und
Fußgänger*innen stärken soll, würden nicht eingehalten, die Situation
auf den Straßen werde eher schlechter als besser.
Ein weiterer Ausbau der Busspuren gehöre natürlich zur Verkehrswende dazu,
betont Masurat. Busse dürften nicht ausgebremst werden. Zugleich forderte
er getrennte Radspuren neben den Busspuren, um die Sicherheit Radfahrender
zu gewährleisten. „Das geht nicht überall“, gibt auch der Radlobbyist zu,
an Haltestellen etwa sei es oft schwierig. Aber: „Die planerischen
Herausforderungen müssen angegangen werden.“
Tatsächlich wird es offenbar eher schwieriger als leichter, neue Busspuren
anzulegen. „Die Komplexität der untersuchten Strecken nimmt zu, sodass die
Verfahren nun tendenziell länger dauern“, sagt auch Günthers Sprecher Jan
Thomsen. Selbst vermeintlich einfache Lösungen seien eben nicht immer
einfach umzusetzen.
Ein Beispiel: Viele Berliner Busspuren werden nach der morgendlichen und
abendlichen Rushhour zum Parken freigegeben. Die Radfahrenden werden dann
auf die Kfz-Spuren gedrängt, wo sie von zwei Seiten gefährdet werden: Durch
den schnell überholenden Verkehr links und aussteigende
Autofahrer*innen rechts.
Hier verprach der Koalitionsvertrag Abhilfe: „Die zeitliche Beschränkung
der bestehenden Busspuren wird aufgehoben“, heißt es darin. Das
unterstützte auch die BVG, die zumindest auf eine zeitliche Ausweitung
vieler Busspuren drängte. Die Verkehrsbetriebe benannten ganz konkret 139
Streckenabschnitte.
Doch die pauschale Umsetzung von 24/7-Busspuren ist nicht erlaubt, sagt
Thomsen. Sie könne nur begründet und rechtssicher angeordnet werden, wenn
auf der betreffenden Strecke auch in der Nacht zumindest annähernd
durchgängig Busse fahren. Neun Busse pro Stunde nennt der Sprecher als
Richtwert. Genau das ist aber oft nicht der Fall.
## Es hängt bei den Bezirken
Was die Wünsche der BVG in dieser Hinsicht angeht, meldet Thomsen dennoch
Vollzug: „Alle Geltungszeiten wurden einvernehmlich mit der BVG
abgestimmt.“ Und immerhin rund 25,5 Kilometer aller bestehenden Busspuren
seien nun rund um die Uhr für Autos gesperrt. Allerdings werde die
Umsetzung, in diesem Fall die veränderte Beschilderung, durch die Bezirke
vorgenommen.
Thomsen verweist damit auf das Problem der oft deutlich ausbaufähigen
Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirken – letztere bremsen durchaus
manche gute Ideen aus. Die Verkehrssenatorin solle sich dieses „Pingpong“
nicht länger gefallen lassen, fordert Frank Masurat vom ADFC und verweist
auf Artikel 20 des Mobilitätsgesetzes. Der sieht vor, dass die
Senatsverwaltung in bestimmten Fällen „dringende Gesamtinteressen Berlins“
über die Bezirke hinweg durchsetzen kann.
Aber welche Gesamtlänge an Busspuren sollte Regine Günther anstreben? Eine
schwierige Frage, gibt auch BVG-Sprecherin Petra Nelken zu: „Die Stadt
verändert sich und damit die Störungsquellen. Somit kann man keine feste
Zahl benennen, wie viel Busspuren Berlin benötigt.“ Bei den
Verkehrsbetrieben will man erst mal abwarten, bis die in der Mache
befindlichen 45 Kilometer wirklich nutzbar sind. Nelken: „Wenn wir das
umgesetzt haben, schauen wir weiter.“
15 Feb 2021
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Busverkehr
Verkehrswende
Bus
Autoverkehr
Mobilitätswende
Regine Günther
Polizei Berlin
Radverkehr
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