| # taz.de -- Die Abwicklung des Mietendeckels: Deckel-Kater in Berlin | |
| > Der Senat will nach dem gekippten Mietendeckel einen Härtefallfonds | |
| > auflegen. Ebenso gibt es Forderungen nach einem Deckel auf Bundesebene. | |
| Bild: Sehen die Mietenfrage anders als Karlsruhe: riesige Spontandemo nach dem … | |
| Berlin taz | Einig ist sich der rot-rot-grüne Senat nach dem [1][gekippten | |
| Mietendeckel] in einem Punkt schon jetzt: Bausenator Sebastian Scheel | |
| (Linke) hat einen Schutzschirm für betroffene Mieter:innen angekündigt. | |
| Der Senat hat sich im Koalitionsausschuss auf Hilfen geeinigt. Ein | |
| Härtefallfonds soll wohl mit einem zweistelligen Millionenbetrag | |
| ausgestattet werden, wie [2][Raed Saleh (SPD)] sagte. Ein Etat dafür hatte | |
| der Senat offenbar bereits vorsorglich angelegt, wie aus dem | |
| Koalitionsausschuss zu hören war. Wie dieser Härtefallfonds allerdings | |
| konkret aussehen soll, will der Senat am Dienstag vorstellen. Das Geld soll | |
| denjenigen helfen, die jetzt fällige Nachzahlungen nicht sofort stemmen | |
| können. | |
| Auf einen solchen Härtefallfonds angewiesen sein könnten nach Schätzungen | |
| der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen rund 40.000 Personen. | |
| Mit dem Deckel hätten rund 340.000 Haushalte die Mieten senken können. Die | |
| Verwaltung schätzt, dass nun jeder zehnte Haushalt bei der Rückzahlung auf | |
| einen Schlag in eine wirtschaftliche Notlage geraten könne – also 34.000. | |
| Hinzu käme allerdings noch das Problem der Schattenmieten. Da geht der | |
| Senat von 5.700 Mietverhältnissen aus bei geschätzten 57.000 | |
| Neuvermietungen während der Deckel galt. Diese Haushalte benötigten für | |
| etwaige Nachzahlungen nach Einschätzung des Senats ebenfalls | |
| Unterstützungen im Rahmen eines Härtefallfonds. „Insgesamt gehen wir also | |
| von rund 40.000 Berliner:innen aus, die potentiell finanzielle | |
| Unterstützung benötigen könnten“, schreibt Sprecherin Katrin Dietl auf | |
| taz-Anfrage. | |
| Die Zeit drängt jedenfalls: Die wohnungspolitische Sprecherin der Linken, | |
| Gaby Gottwald, sagte der taz, dass zur Finanzierung eventuell ein | |
| sofortiges und unkompliziertes Darlehen der Investitionsbank in Frage käme. | |
| „Leute müssen zahlen können. Wir müssen Cash auf den Tisch legen“, so | |
| Gottwald. Wichtig sei, dass Betroffene noch vor einem Brief vom Vermieter | |
| überweisen, weil sie sonst säumig seien. | |
| Beim Schutzschirm ginge es nur um Härtefälle, sagt Gottwald. | |
| Transferleistungsempfänger seien ausgenommen, weil Kosten für die | |
| Unterkunft rückwirkend aufgestockt würden. Ebenso seien für landeseigene | |
| Wohnungsbaugesellschaften die Mietpreise weiter begrenzt und Mieterhöhungen | |
| bis zum September wegen Corona ohnehin politisch ausgeschlossen worden. | |
| Auch werde es im Mai einen neuen Mietspiegel geben. Bis dahin gelte der | |
| Alte. Auch die grüne Spitzenkandidatin [3][Bettina Jarasch] hatte sich für | |
| einen Schutzschirm ausgesprochen. Selbst die CDU, die gegen den Deckel | |
| geklagt hatte, forderte Unterstützungen. | |
| Immerhin gibt es nach dem [4][Mietendeckel]-Kater womöglich die | |
| Bestätigung, dass Hausverwaltungen doch schnell reagieren können: Einige | |
| Mieter:innen berichten in den sozialen Medien bereits von | |
| Nachforderungen. Wie viele wirklich betroffen sind, ist derzeit noch | |
| unklar. Klar ist: Alle, die senken durften, müssen schnell nachzahlen, weil | |
| sonst Kündigungen drohen, wie der [5][Berliner Mieterverein] befürchtet – | |
| und zugleich Vermieter:innen bat, Fairness walten zu lassen. | |
| ## Schattenmietverträge prüfen lassen | |
| Der Senat hatte beim Beschluss im Juni 2019 dazu angehalten, | |
| Differenzbeträge abgesenkter Mieten zu sparen, um notfalls nachzahlen zu | |
| können. Angesichts von Corona konnten sich das sicher nicht alle leisten. | |
| Auch auf der [6][Spontandemo] von über 10.000 Mieter:innen am | |
| Donnerstagabend war zu hören, dass viele auf einen Schlag verschuldet seien | |
| und nicht wüssten, wie sie Nachzahlungen im bis zu vierstelligen Bereich | |
| stemmen sollen. Viele Wohnungssuchende haben zudem Schattenmietverträgen | |
| zugestimmt – die möglicherweise gegen die geltende Mietpreisbremse | |
| verstoßen. | |
| Die grüne Fraktionsvorsitzende Antje Kapek sagte: „Niemand darf aufgrund | |
| dieses Beschlusses die Wohnung verlieren.“ Sie riet Mieter:innen, die | |
| kostenfreien Beratungsstellen im Bezirk aufzusuchen, um etwaige | |
| Schattenmieten überprüfen zu lassen. „Der Bund muss jetzt endlich seine | |
| Blockade gegen eine soziale Wohnungspolitik aufgeben und den Ländern | |
| gesetzlich erlauben muss, Mietendeckel einzuführen“, forderte Kapek. Die | |
| Bundestagswahl entscheide darüber, ob eine soziale Mietenwende gelinge. | |
| Ziel in Berlin sei weiter, „nach dem Vorbild Wiens mindestens 50 Prozent | |
| der Wohnungen in gemeinwohlorientierte Hand zu bekommen“. | |
| Wohnungsunternehmen forderte Kapek dazu auf, angesichts der Coronakrise von | |
| Nachzahlungen abzusehen. | |
| Tatsächlich versprachen die Wohnungsfirmen Vonovia (42.000 Wohnungen in | |
| Berlin) und Heimstaden (5.300 Wohnungen in Berlin) in einer PR-Offensive, | |
| auf Rückforderungen zu verzichten. Allerdings blieb das bisher die | |
| Ausnahme: Berlins größter Vermieter, die Deutsche Wohnen (114.000 Wohnungen | |
| in Berlin) versprach aber immerhin, niemanden wegen der Rückforderungen aus | |
| der Wohnung zu schmeißen. „Auf den Ausgleich der Außenstände komplett zu | |
| verzichten, würde jedoch unseren Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen, | |
| seinen Mitarbeitern und Eigentümern nicht gerecht werden“, schrieb Sprecher | |
| Marko Rosteck auf taz-Anfrage. | |
| Man werde aber den Gerichtsbeschluss mit einem „Höchstmaß an sozialer | |
| Verantwortung umsetzen“, hieß es. Der Konzern musste seine Mieten in Berlin | |
| um insgesamt 6,1 Prozent senken (im Gesamtbestand waren es 4,1 Prozent) – | |
| und hatte trotzdem eine [7][Rekord-Dividende] an seine Aktionäre | |
| ausgeschüttet. | |
| ## Enteignungsforderung wird lauter | |
| Maren Kern, Vorständin im Verband der Wohnungswirtschaft BBU, in dem neben | |
| privaten Wohnungsfirmen auch die Landeseigenen und Genossenschaften | |
| organisiert sind, sprach von Absenkungen in lediglich zwölf Prozent der | |
| Mietverhältnisse, die zumeist ohnehin in einem geringen Umfang seien. Bei | |
| „sozialen Härten“ hielt Kern die Geschäftsführungen und Vorstände ihrer | |
| Mitgliedsunternehmen dazu an, Lösungen zu finden. Das sollten sein: | |
| Ratenzahlungen, Stundungen „oder der Verzicht auf Räumungen bei im | |
| Zusammenhang mit dem Mietendeckel aufgelaufenen Mietschulden. | |
| Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller forderte direkt nach dem | |
| Urteil ein Mietenmoratorium auf Bundesebene. Auch SPD-Spitzenkandidatin | |
| Franziska Giffey forderte am Freitag schärfere Regelungen gegen zu hohe | |
| Mieten auf Bundesebene – obwohl sie natürlich selbst Teil der | |
| Bundesregierung ist. Sie zielte damit allerdings offenbar eher auf eine | |
| erneute Nachschärfung der Mietpreisbremse: „Wir fallen jetzt ja nicht ins | |
| Bodenlose, sondern es gibt ein Instrumentarium zur Kontrolle der | |
| Mietenentwicklung auf der Basis des geltenden Mietspiegels – das muss zum | |
| Einsatz gebracht werden“, so Giffey. | |
| Die Linke forderte angesichts der Schlappe in Karlsruhe einen Mietendeckel | |
| auf Bundesebene. Von der Linksfraktion hieß es in einem gemeinsamen | |
| Statement mit Spitzenkandidat und Kultursenator Klaus Lederer, dass man | |
| sich weiter „für die Rekommunalisierung möglichst vieler Wohnungen“ | |
| einsetzen werden, namentlich auf Landesebene nun voll auf | |
| Vergesellschaftung im Sinne des Volksbegehrens Deutsche Wohnen und Co. | |
| enteignen setze. Gegen steigende Mieten müsse nach der Bundestagswahl im | |
| September dann eine Bundesregierung ohne CDU aktiv werden: „Für ein | |
| soziales Mietrecht, einen bundesweiten Mietendeckel oder eine | |
| Öffnungsklausel, die den Ländern die Begrenzung der Mieten ermöglicht, | |
| brauchen wir einen konsequenten Politikwechsel im Bund.“ | |
| Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen verzeichnete nach dem | |
| Urteil Zulauf. Die Initiative, die Wohnungsbestände großer Konzerne mit | |
| mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften will, sprach von vielen neuen | |
| Unterstützer:innen, die bei der Sammlung der für eine Volksabstimmung | |
| 175.000 Unterschriften helfen wollten. Das Volksbegehren strebt eine | |
| Vergesellschaftung nach Artikel 15 im Grundgesetz an und ist nicht nur nach | |
| Auffassung der Innenverwaltung zulässig. Ein Enteignungsgesetz wäre – | |
| anders als der Mietendeckel – auch per Gesetz auf Landesebene zulässig. | |
| 16 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mietendeckel/!t5567229 | |
| [2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1150799.mietendeckel-ein-schlag-in… | |
| [3] /Gruene-Spitzenkandidatin-zu-Mietendeckel/!5760589 | |
| [4] /Berliner-Mietendeckel-gekippt/!5763152 | |
| [5] /Fragen-zum-Mietendeckel/!5760653 | |
| [6] /Protest-nach-Entscheid-zum-Mietendeckel/!5766763 | |
| [7] /Deutsche-Wohnen-erhoeht-Dividende/!5757229 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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