# taz.de -- Regierungsgespräche mit China: Handel statt Wandel | |
> Politisch wendet sich die Stimmung hierzulande zunehmend gegen China. | |
> Doch wirtschaftlich ist Deutschland von der Volksrepublik abhängiger denn | |
> je. | |
Bild: Angela Merkel während der digitalen deutsch-chinesischen Wirtschaftskons… | |
BERLIN taz | Eigentlich sind Regierungskonsultationen, an denen fast das | |
gesamte Kabinett teilnimmt, nur mit Ländern vorgesehen, mit denen | |
Deutschland ein besonderes Verhältnis pflegt. Frankreich, Italien und Polen | |
gehören dazu, [1][ebenso Israel.] Auch Russland und Indien sind in den | |
letzten Jahren dazugekommen. Und China. China? | |
Zum Auftakt der Gespräche am Mittwoch hat Merkel noch einmal betont, wie | |
wichtig ihr diese seit 2011 alle zwei Jahre stattfindenden Gespräche sind. | |
Wirtschaft sei von Beginn an ein wichtiges Feld der Kooperation gewesen, | |
betonte die Kanzlerin. Und dies bleibe auch so. „Aber das Spektrum unserer | |
Zusammenarbeit ist viel breiter geworden. Es reicht von der Außenpolitik | |
und der Abstimmung darüber, wie wir bestimmte Konflikte auf der Welt regeln | |
und lösen, bis hin zum Klimaschutz und zur Gesundheit.“ | |
Merkel betonte, auch bei der Eindämmung der Pandemie könnten China und | |
Deutschland eine wichtige Rolle spielen, etwa bei der Beschleunigung der | |
Impfstoffproduktion. Die Beratungen sollten dieses Mal eigentlich in Peking | |
stattfinden. Doch wegen der Pandemie fanden sie virtuell statt. | |
Neben der Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung und dem Klimaschutz | |
wollte Merkel auch die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen ansprechen. | |
Zur Partnerschaft gehöre auch, „dass wir schwierige Themen ansprechen und | |
alles auf den Tisch legen können“, kündigte sie gleich zu Beginn der | |
Gespräche an. Als Beispiel nannte sie die Situation in Hongkong, wo Peking | |
mit einem Sicherheitsgesetz im vergangenen Jahr die politischen Freiheiten | |
massiv eingeschränkt hat und seitdem gezielt Demokratieaktivisten verfolgen | |
lässt. | |
Direkt an den chinesischen Premierminister Li Keqiang gewandt sagte Merkel, | |
sie wünsche sich, „dass wir baldmöglichst auch den Menschenrechtsdialog | |
wieder in Gang setzen könnten“. Die knappe Antwort des chinesischen | |
Premiers darauf: „China und Deutschland haben verschiedene Ansichten in | |
einigen Fragen. Das ist eine objektive Tatsache.“ | |
Nicht nur Menschenrechtsinitiativen, sondern auch Experten, die sich mit | |
Chinas Politik beschäftigen, kritisieren schon länger, dass die | |
Konsultationen vor allem für China als PR-Show dienen. Denn wenn es um | |
schwierige Fragen geht, scheint die Führung des Landes einfach wegzuhören. | |
Die Bundesregierung und allen voran Merkel, [2][die in ihrer 16-jährigen | |
Amtszeit so oft in China war wie in keinem anderen Land außerhalb Europas], | |
sprach die aus chinesischer Sicht nicht gewollten Themen zwar an, aber | |
nicht öffentlich. | |
## Ton auf beiden Seiten schärfer | |
Mit dieser sogenannten stillen Diplomatie wollte sie vermeiden, die | |
chinesische Regierung zu düpieren. Einiges konnte Merkel auf diese Weise | |
auch erreichen, etwa die Ausreise des Künstlers Ai Weiwei oder von [3][Liu | |
Xia, der Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo.] | |
Exportorientierte Länder wie Deutschland sind längst abhängig geworden von | |
China – und nicht mehr umgekehrt. Allein im vergangenen Jahr exportierten | |
deutsche Unternehmen Güter im Wert von 95,9 Milliarden Euro in die | |
Volksrepublik. Besonders die deutschen Autobauer konnten die Coronakrise | |
vor allem wegen der Nachfrage aus der Volksrepublik abfedern. Zum fünften | |
Mal in Folge war China laut dem Bundeswirtschaftsministerium Deutschlands | |
größter Handelspartner. | |
Zugleich verschärft sich der Ton auf beiden Seiten. Zum ersten Mal seit | |
mehr als 30 Jahren hat die Europäische Union im März Sanktionen gegen | |
chinesische Beamte verhängt. Ihnen wird die Unterdrückung der Minderheit | |
der muslimischen Uiguren im Nordwesten des chinesischen Staatsgebiets | |
vorgeworfen. Die Führung in Peking setzte daraufhin zehn | |
Politiker:innen aus Europa sowie vier Organisationen auf eine Schwarze | |
Liste – [4][darunter den Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer sowie | |
das Mercator-Institut für China-Studien (Merics) in Berlin.] | |
## Den Dialog wollen alle | |
Von einem „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ sprach der | |
SPD-Außenpolitikexperte Nils Schmid am Dienstag auf einer | |
Merics-Veranstaltung. Er sprach sich auch dafür aus, die noch ausstehende | |
Bestätigung des chinesisch-europäischen Investitionsabkommens, CAI, infrage | |
zu stellen. Dabei hatte die Kanzlerin persönlich in der deutschen | |
EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 darauf gedrängt, es nach | |
sieben Jahren Verhandlung rasch zu verabschieden. | |
Die Grünen hatten schon während der Verhandlungen kritisiert, dass die EU | |
die Frage der Zwangsarbeit von Uiguren nicht ausreichend angesprochen habe. | |
Und auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert | |
Röttgen (CDU), warnt vor zu viel Vertrauensseligkeit. „China verfolgt in | |
Deutschland und anderen Teilen der Welt eine strategische | |
Softpower-Politik“, sagte er. | |
Einen Gesprächsabbruch fordert allerdings niemand. Grünen-Außenpolitiker | |
Omid Nouripour betont bei aller Kritik, ein „Decoupling“ sei keine Option, | |
„weil wir die Klimakrise als Menschheitsaufgabe meistern wollen“. Und ohne | |
China als größten Produzenten von Treibhausgasen geht dies nicht. | |
28 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Felix Lee | |
Finn Mayer-Kuckuk | |
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