| # taz.de -- Wochen gegen Rassismus: „Klare Kante zeigen“ | |
| > Es gibt inzwischen eine ausgeprägte Form von antimuslimischem Rassismus, | |
| > sagt Berlins Justizsenator. Dagegen will er gezielt vorgehen. | |
| Bild: Razzia im Bereich Organisierte Kriminalität in Berlin im Februar 2021 | |
| Herr Behrendt, seit Montag laufen die Internationalen Wochen gegen | |
| Rassismus, am selben Tag hat Innensenator Andreas Geisel den ersten | |
| „Lagebericht Clankriminalität“ vorgestellt. Viele sagen, schon der Begriff | |
| „Clankriminalität“ nehme Menschen in Sippenhaft und schüre rassistische | |
| Vorurteile gegenüber Menschen arabischer Herkunft. Was sagen Sie? | |
| Dirk Behrendt: Wir benutzen den Begriff hier in der Justizverwaltung nicht, | |
| weil er uns nicht trennscharf genug ist und das zu bekämpfende Phänomen | |
| nicht deutlich genug kennzeichnet. Es geht ja um Organisierte Kriminalität, | |
| Verfolgung von einzelnen Straftätern oder auch Gruppen von Straftätern. Das | |
| sollte man auch so benennen. | |
| Manche sehen einen Zusammenhang zwischen der medialen und politischen | |
| Betonung der Gefahr durch „arabische Clans“ und rassistischer Gewalt bis | |
| hin zu den Morden in Hanau. Übertrieben? | |
| Ich sehe den Zusammenhang in der Form nicht. Aber was wir tatsächlich | |
| sehen, ist eine deutlich ausgeprägte Form von antimuslimischem Rassismus. | |
| Das hat nach meiner Beobachtung in den letzten Jahren zugenommen durch das | |
| Hinzutreten neuer politischer Player und durch die Verschärfung von | |
| Debatten und Unkultur im Netz. Deswegen hat Berlin ja auch als erstes | |
| Bundesland eine „Expertenkommission antimuslimischer Rassismus“ eingesetzt, | |
| die sich mit dem Phänomen intensiver beschäftigen wird. | |
| Die Gruppe „Death in Custody“ hat diese Woche erneut auf ungeklärte | |
| Todesfälle in Polizeigewahrsam und Gefängnissen hingewiesen. Dazu zählt sie | |
| Ferhat Mayouf, der im Juli in der JVA Moabit starb, in seiner Zelle war | |
| Feuer ausgebrochen. Ähnliches geschah vorigen März in Tegel. Natürlich | |
| denkt man da an Oury Jalloh. Sind Sie sicher, dass Ihre | |
| Justizbeamt*innen alles richtig gemacht haben? | |
| Es gibt bei jedem Todesfall im Gefängnis staatsanwaltliche Ermittlungen zur | |
| Todesursache. Derzeit habe ich keinen konkreten Anlass zu zweifeln, dass es | |
| in beiden Fällen zu tragischen Selbstinbrandsetzungen mit Todesfolge | |
| gekommen ist. Aber es besteht ja immer die Möglichkeit für Angehörige, das | |
| überprüfen zu lassen. Und wir sind uns bewusst, dass wir für die Menschen | |
| in Haft Verantwortung tragen. Deswegen bedrückt mich auch die hohe Zahl von | |
| Selbsttötungen, die wir im vergangenen Jahr leider hatten. | |
| Aber je mehr derartige Fälle es gibt, desto mehr Zweifel gibt es, ob | |
| Beamt*innen in Polizei und Justiz vorurteilsfrei ihre Arbeit machen. Was | |
| wissen Sie darüber, ob es rassistische Einstellungen bei | |
| Justizbeamt*innen gibt? | |
| Wir haben im letzten Jahr diskutiert, ob man eine solche Untersuchung bei | |
| Polizeibeamten machen sollte – das fand ich richtig. Anlass waren ja die | |
| aufgeflogenen Chatgruppen, in denen es offenbar ein Denken gibt, das uns | |
| als Rechtsstaat und freiheitliche Demokratie nicht gefallen kann. Bei der | |
| Bundeswehr hatten wir ähnliche Chatgruppen. Im Justizbereich mussten wir | |
| einen Beamten aus dem Dienst entfernen, hatten aber sonst keine solchen | |
| konkreten Anhaltspunkte. Und ich habe auch viel Vertrauen in unser gut | |
| ausgebildetes Personal in den Gefängnissen. | |
| Haben Sie das mal genauer untersuchen lassen? | |
| Die Justizverwaltung lässt sich seit dem letzten Jahr demokratiefeindliche | |
| Vorfälle von den Justizvollzugsanstalten berichten, damit wir das im Blick | |
| behalten und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen unternehmen. Denn ein Fall war | |
| bereits einer zu viel. | |
| Was für ein Fall? | |
| Es gab einen Mitarbeiter, der eine rechtsextreme Tätowierung zur Schau | |
| gestellt hat, zudem hat er geschmuggelt. Der Mann wurde aus dem Dienst | |
| entfernt. Der Staat muss da klare Kante zeigen. | |
| Nach der Debatte über Polizeigewalt und den aufgeflogenen Chatgruppen hatte | |
| Geisel eine eigene Studie dazu angekündigt, weil Bundesinnenminister Horst | |
| Seehofer das nicht wollte. Jetzt macht Berlin doch nur eine Untersuchung zu | |
| Alltag und Belastung der Polizei, die „diskriminierungskritische | |
| Organisationsuntersuchung“ soll nur Bestandteil sein. Reicht Ihnen das? | |
| Es wäre richtig gewesen, wenn Seehofer bundesweit diese Studie gemacht | |
| hätte. Und ich habe das so wahrgenommen, dass die SPD-Innenminister gesagt | |
| haben, wir machen darüber hinausgehend etwas Eigenes. | |
| Seit einem halben Jahr gibt es das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), | |
| das Betroffenen von Diskriminierung durch Behörden helfen soll, ihre Rechte | |
| durchzusetzen. Was kommt bei der Ombudsstelle in Ihrem Haus an Beschwerden | |
| an? | |
| Es gibt eine ganze Reihe von Berlinerinnen und Berlinern, die sich mit | |
| Diskriminierungserfahrungen an die Ombudsstelle gewandt haben, vor allem im | |
| Bereich Rassismus und Behinderung. Die Ombudsstelle soll dann im Gespräch | |
| mit den entsprechenden Behörden versuchen Abhilfe zu schaffen. Das ist an | |
| der einen oder anderen Stelle schon gelungen. | |
| Ein Beispiel? | |
| Wir hatten es im Zusammenhang mit Corona mit Fällen von Diskriminierung im | |
| Gesundheitsbereich zu tun – von Menschen, die tatsächlich keine Maske | |
| tragen können und so benachteiligt wurden. Ich meine damit nicht diese | |
| Coronaleugner*innen, die mit selbstgebastelten Attesten umherlaufen, | |
| sondern Kranke, für die die Situation ernst ist. Andere Fälle sind noch in | |
| Bearbeitung. Ich bin gespannt, wann es die ersten Gerichtsverfahren dazu | |
| geben wird. Denn es gibt ja die Möglichkeit für Betroffene, Schadensersatz | |
| und Entschädigung in Anspruch zu nehmen. | |
| Aus welchen Bereichen kommen die meisten Beschwerden? | |
| Es gibt Beschwerden wegen racial profiling, wir haben aber auch Beschwerden | |
| von Schwerbehinderten im Bereich ÖPNV, etwa Zugang zu U-Bahnhöfen. | |
| Insgesamt sind alle Behörden und Verwaltungsstellen des Landes Berlin | |
| betroffen, wobei Polizei eine herausgehobene Rolle spielt. Das ist auch | |
| nicht verwunderlich, denn da gibt es die meisten Bürgerkontakte und | |
| potenzielle Konfliktsituationen. | |
| Beratungsstellen sollen Betroffenen helfen, gegen diskriminierende Behörden | |
| vorzugehen. Doch die sagen wiederum, sie brauchen dafür mehr Geld. Werden | |
| sie es bekommen? | |
| Im Landesprogramm für Demokratie sind die Mittel seit 2016 fast | |
| verdreifacht worden. Es ist sehr viel Geld in die Hand genommen worden für | |
| das Monitoring, also das systematische Erfassen von Vorfällen im Bereich | |
| Rassismus, Homophobie und Antisemitismus, sowie für das Empowern der | |
| Betroffenen, damit sie sich besser wehren können. Wir haben die Förderung | |
| auch ausgeweitet, etwa bei EOTO im Bereich antischwarzer Rassismus, und bei | |
| Amaro Foro im Bereich Antiziganismus. In Zukunft wird es darum gehen, das | |
| abzusichern. | |
| Auch das Neutralitätsgesetz hat für viele Menschen in dieser Stadt mit | |
| Rassismus zu tun: Vordergründig verbietet es religiöse Symbole in Schule, | |
| Polizei und Justiz, aber vor allem ist es gegen Muslimas mit Kopftuch | |
| gerichtet. Nun zieht die SPD vor das Verfassungsgericht, um das Gesetz zu | |
| retten, entgegen der Koalitionsvereinbarung. Warum haben Sie und die | |
| Grünen nicht stärker protestiert? | |
| Meine Position und die der Grünen ist glasklar, dass eine Gesetzesänderung | |
| nötig ist. Aber ich muss wahrnehmen, dass sich der SPD-Koalitionspartner | |
| damit ausgesprochen schwer tut. Doch meine Prognose, dass das Gesetz in | |
| dieser Form aus rechtlichen Gründen nicht haltbar ist, gilt weiterhin. Dass | |
| die SPD nun diese Schleife über Karlsruhe eingelegt hat, ist für die | |
| Betroffenen bedauerlich, sie müssen noch etwas auf die Durchsetzung ihrer | |
| Rechte warten. Aber am Ende des Tages werden wir auch an Berliner Schulen | |
| Lehrerinnen und Lehrer erleben, die religiöse Symbole tragen. | |
| Nochmal zu der neuen Expert*innen-Kommission gegen antimuslimischen | |
| Rassismus: Ist es wirklich sinnvoll, Rassismus zu unterteilen in | |
| antimuslimisch, antischwarz, antiasiatisch etc? | |
| Wir wollen generell gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bekämpfen. Aber | |
| man muss ja wahrnehmen, dass diese sich in unterschiedlichen | |
| Erscheinungsformen ausprägt. Es gibt verschiedene Gruppen auf Täter- und | |
| Opferseite. Deswegen muss man abwägen: Gibt es spezifische Gründe für eine | |
| spezielle Form des Rassismus? Das haben wir beim antischwarzen Rassismus | |
| gemacht, nicht zuletzt weil gerade die UN-Dekade für Menschen afrikanischer | |
| Herkunft läuft, und weil Berlin gesagt hat, wir wollen uns dem Thema als | |
| Stadt, von der viele Kolonialverbrechen ausgegangen sind, stellen. Es gibt | |
| ja tatsächlich noch fortwirkende Stereotype aus dieser Zeit. Und das | |
| funktioniert völlig anders als etwa antimuslimischer Rassismus. Was wir | |
| noch nicht so stark in den Blick genommen haben, was aber durch Corona | |
| offenkundiger wurde, ist Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen. | |
| Darauf sollten wir reagieren. | |
| 19 Mar 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| antimuslimischer Rassismus | |
| Landesantidiskriminierungsgesetz | |
| Kopftuchverbot | |
| Polizei Berlin | |
| Kolumne Über Morgen | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| antimuslimischer Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| Religion | |
| Andreas Geisel | |
| Muslime in Deutschland | |
| taz Plan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Statistik der Polizei in Berlin: Linke waren 2022 netter | |
| Die Zahl der registrierten Gewalttaten mit linksextremistischen Hintergrund | |
| war 2022 stark rückläufig. Rechte Propaganda nahm dagegen zu. | |
| Zurücklehnen oder Mitmischen: Wut auf passive Mitmenschen | |
| Theresa Hannig fühlt sich von Status-Quo-Verteidigern umzingelt. Sie | |
| fordert dazu auf, sich einzumischen. | |
| Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Etwas weniger Feindlichkeit | |
| Die Meldezahlen von antimuslimischem Rassismus sind in der Coronazeit | |
| leicht gesunken, zeigen Daten des Netzwerks gegen Diskriminierung. | |
| Schändung islamischer Gräber in Iserlohn: „Ein Angriff auf uns alle“ | |
| In Iserlohn beschädigen Unbekannte 30 muslimische Gräber. Die Politik | |
| reagiert bis zur Bundesebene bestürzt. Übergriffe auf Muslime nehmen zu. | |
| Buchbesprechung „Muslimaniac“: Fleck in der Familie | |
| Wie Muslim*innen bis heute als „Problem“ erfunden werden: In | |
| „Muslimaniac“ seziert der Berliner Ozan Zakariya Keskinkılıç rassistische | |
| Stereotype. | |
| Ein Jahr LADG: „Wichtige Errungenschaft“ | |
| Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) trat vor einem Jahr in Kraft. | |
| Verbände ziehen positive Bilanz und loben die Arbeit der Ombudsstelle. | |
| Gesetz gegen Diskriminierung in Berlin: 300 Beschwerden im ersten Jahr | |
| Ein Jahr nach Einführung des bundesweit ersten | |
| Anti-Diskriminierungsgesetzes liegt eine erste Bilanz vor. | |
| Kopftuch und Berliner Neutralitätsgesetz: Symbol eines Kulturkampfes | |
| Berlins Schulsenatorin Scheeres hört auf. Bis dahin nutzt sie ihre Zeit | |
| noch zum Kampf gegen das Kopftuch in den Klassen. | |
| Rechtsextremismus in der Polizei: Zu fünft gegen Extremismus | |
| Polizeipräsidentin präzisiert den Auftrag der Ermittlungsgruppe „Zentral“. | |
| Die vom Innensenator angekündigte Studie zum Racial Profling kommt nicht. | |
| Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Frauen besonders betroffen | |
| Das Netzwerk Inssan hat wegen Corona in 2020 etwas weniger Fälle von | |
| antimuslimischem Rassismus gemeldet bekommen, gibt aber keine Entwarnung. | |
| Buch über Integrationskurse: Integriert euch doch selber | |
| Das Kunst- und Rechercheprojekt „Man schenkt keinen Hund“ zeigt wie sehr | |
| Lehrmaterialien Ideen von „Leitkultur“ und „Deutschsein“ transportieren. |