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# taz.de -- Buchbesprechung „Muslimaniac“: Fleck in der Familie
> Wie Muslim*innen bis heute als „Problem“ erfunden werden: In
> „Muslimaniac“ seziert der Berliner Ozan Zakariya Keskinkılıç rassistis…
> Stereotype.
Bild: Muslime*innen werden hierzulande weiterhin gerne als „Fremde“ konstru…
Berlin taz | Das Buch „Muslimaniac“ beginnt sehr alltäglich und persönlic…
Der Autor bringt sein neugeborenes Kind zur Kinderärztin, die Mutter des
Kindes erholt sich gerade von der Hausgeburt. Die Kinderärztin prüft das
Kind – alles dran, Reflexe sind okay – und weist den Autor auf den
Mongolenfleck hin. Mongolenfleck?, wundert sich Ozan Zakariya Keskinkılıç
und wundert sich noch mehr, kommt doch das Kind gerade aus der Mutter und
nicht aus der Mongolei – und der Vater des Kindes aus Hessen. Aber das
interessiert eine gestandene Kinderärztin nicht, denn sie sagt zur Herkunft
des Vaters: „Ja, aber nicht wirklich.“
Dann macht der Autor sich auf die Suche im Internet nach einem dunklen
Fleck kurz über dem Po, von Kinderärz*innen als „Mongolischer Fleck“
oder „Hunnenfleck“ benannt, und wird fündig. Die Verwirrung über diese
ersten Zeilen in „Muslimaniac“ könnten bei mir größer nicht sein. Denn a…
meinem Kind wurde von einem Kinderarzt im Krankenhaus kurz nach der Geburt
ein solcher „Mongolenfleck“ bescheinigt. Ich allerdings habe diese
Kennzeichnung als fremd hingenommen, und der Fleck wurde bei uns eher
belustigt ab und zu erwähnt. Bis jetzt.
Denn was der Autor an dieser Stelle erkennt, ist die rassistische
Fortschreibung einer Entdeckung von Erwin Bälz, einem Anthropologen, der
sich Anfang des letzten Jahrhunderts mit der Rassenforschung beschäftigte.
Keskinkılıç kommt zu dem Schluss, dass die medizinische Fachdebatte über
den „Mongolenfleck“ nicht neutral sei.
Das Buch des [1][Berliner Politikwissenschaftlers und Lyrikers] ist
durchsetzt mit solch persönlichen Anekdoten, die sich abwechseln mit
aktuellen politischen Bezügen zu den rechtsterroristischen Morden in Hanau
und den NSU-Morden, aus denen, wie Keskinkılıç richtig anmerkt, im Hinblick
auf eine Veränderung der Sprache wenig gelernt wurde. Nach der unsäglichen
Bezeichnung „Döner-Morde“ für die Taten des Terrornetzwerks des NSU wurden
die Morde in Hanau im Februar 2020, bei dem neun junge Menschen getötet
wurden, als „Shisha-Morde“ bezeichnet.
## „Kairo in Berlin“ mit „echten“ Ägyptern
Zu den aktuellen Anmerkungen, wie Muslim*innen immer wieder als das
Fremde markiert werden, siehe die Kopftuchdebatte bei Lehrer*innen, kommen
in diesem sehr kurzweilig geschriebenen Buch historische Bezüge, die auch
den meisten Berliner*innen nicht geläufig sein dürften. Oder wussten
Sie, dass es 1896 im Treptower Park im Rahmen einer Kolonialausstellung
eine Sonderschau „Kairo in Berlin“ gab? Natürlich durften ägyptische
Einwohner*innen nicht fehlen.
Ebenso erinnert Keskinkılıç an die Völkerschau 1927 im Berliner Zoo, simpel
angekündigt als „Tripolis in Berlin“. Auch hier sollte das arabische
Alltagsleben dargestellt werden mit einer Moschee als Kulisse und mit
Menschen aus Nordafrika, die der damaligen Presse in die Notizblöcke
diktierten, dass sie, wenn man sie nicht hinausließe, sie dort alles in
Scherben schlagen würden.
Neben diesen für damalige Verhältnisse als „exotisch“ (auch so ein Wort)
geltenden Orientschauen gibt es in diesem Buch auch eine Öffnung des
Horizonts, etwa in dem Kapitel über die muslimisch-queere Szene. Es ist
gespickt mit interessanten Rechercheansätzen des Autors, etwa diesem:
„Hassan und ich begannen, schwule Pornoproduktionen aus den USA auf
Stereotype zu durchforsten.“ Schön auch, dass Keskinkılıç seine eigene
Spiritualität nicht außen vor lässt und der Leserin eloquent erzählt, warum
für ihn die Sprache und die Lyrik erst durch die Religion erfahrbar wurden.
Denn er möchte, so sagt er, „Perspektiven drehen und Geschichte gegen den
Strich lesen, das Nichterzählte zwischen den Zeilen herauskitzeln und
verschüttete Spuren auflesen und alternative Linien ziehen, die gewohnte
Ordnung irritieren, und stets zurückblicken“. Manchmal braucht es eben
solch ein Buch, um zu erkennen, dass man sich jahrelang vermeintliche
Steppenvolk-Urahnen in die Familiengeschichte hineininterpretiert hat. Das
mit dem Irritieren hat also geklappt. Ein Dank an den Autor dafür und Adieu
„Mongolenfleck“.
Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes. Körber-Stiftung, ISBN:
978-3-89684-289-3
8 Dec 2021
## LINKS
[1] /Ueber-alltaeglichen-Rassismus/!5676807
## AUTOREN
Ebru Tasdemir
## TAGS
antimuslimischer Rassismus
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der mit Betroffenen macht, zu seinem Beruf gemacht.
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