# taz.de -- Bundestagsdebatte zu Islamfeindlichkeit: Es wäre so einfach gewesen | |
> Jeden Tag gibt es antimuslimische Straftaten in Deutschland. Doch dass es | |
> ein Problem mit Islamfeindlichkeit gibt, will der Bundestag nicht | |
> erkennen. | |
Bild: Hier hätte man sich gegen Islamfeindlichkeit positionieren können: im S… | |
Es wäre so einfach gewesen. Der Islam gehört zu Deutschland. Mit diesen | |
fünf Wörtern hätte der Deutsche Bundestag Donnerstag Abend ein überfälliges | |
Signal schicken können: An die Ehefrau des 26-jährigen Imams aus Ebersbach | |
bei Stuttgart, der kurz vor Weihnachten beim Spaziergang zu Tode geprügelt | |
wurde. | |
An die Frau aus Hamburg, die ein Kopftuch trug und Ende November beleidigt | |
und getreten wurde. An die Angehörigen der Opfer der [1][rassistischen | |
Attentate in Halle] und [2][Hanau]. An die Hinterbliebenen des NSU und die | |
[3][Bedrohten des NSU 2.0]. An alle Menschen in diesem Land, die Jahr um | |
Jahr wegen ihrer Religion ausgegrenzt, beleidigt und angegriffen werden – | |
oder schlicht deshalb, weil sie für Muslim:innen gehalten werden. | |
Es wäre so einfach gewesen. Und so bitter notwendig. Jeden Tag werden im | |
Schnitt drei antimuslimische Straftaten angezeigt – und die Dunkelziffer | |
wird deutlich höher liegen. Muslimische Menschen werden in diesem Land | |
benachteiligt: In der Schule, bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt. | |
Zahlreiche Studien belegen das. Doch der Bundestag wollte den | |
Entschließungsantrag der Linksfraktion nicht annehmen. | |
Er wollte nicht feststellen: [4][Der Islam gehört zu Deutschland.] Und auch | |
nicht: Deutschland hat ein Problem mit Islamfeindlichkeit. Stattdessen | |
lobten die Abgeordneten die Regierung für ihre Bemühungen gegen | |
Diskriminierung (Christoph de Vries, CDU/CSU), sprachen von gewalttätigen | |
Muslimen (Bernd Naumann, AfD), kritisierten den „konstruierten | |
Kampfbegriff“ antimuslimischer Rassismus (beide), wiesen mit dem Finger auf | |
die Vorurteile der Antragsteller gegen Polizeibehörden (Benjamin Strasser, | |
FDP). | |
## Die Grünen enthielten sich. Das ist auch ein Zeichen | |
Schon klar: Bundestagsdebatten sind Show, Anträge aus den Fraktionen werden | |
im Freund-Feind-Schema unterstützt. Regierung versus Opposition, AfD versus | |
Demokrat:innen. In den 30 Minuten, die für solche „Debatten“ angesetzt | |
sind, bleibt jeder Fraktion gerade mal die Zeit für ein paar knackige | |
Sätze; ein bisschen Zuspruch hier, eine wohlplatzierte Pointe da, dann der | |
Gegenangriff. Klar ist auch: Nicht allem, was die Linksfraktion in dem | |
Antrag fordert, muss man zustimmen. Etwa, dass die Länder den | |
Religionsunterricht zugunsten von Ethik für alle aufgeben. | |
Und klar ist, ein Anprangern von Islamfeindlichkeit darf nie heißen, | |
[5][islamistische Gewalt zu relativieren]. Aber dass es eine unabhängige | |
Beschwerdestelle für Polizeiopfer geben muss. Dass Opfer rassistischer | |
Gewalt mehr Schutz und mehr Beratung bedürfen. Dass Polizeibehörden ihr | |
[6][Racial Profiling-Problem] abstellen müssen. Alles überfällig. | |
Dennoch: Es geht nicht um den Antrag und seine Forderungen. Es ist höchst | |
unrealistisch, dass Absichtserklärungen des Bundestages mehr sind als reine | |
Symbolpolitik. Aber genau deshalb hätte der Bundestag gemeinsam anerkennen | |
sollen: Deutschland hat ein Problem mit Islamfeindlichkeit. Christine | |
Buchholz, die für die Linkspartei sprach, hat völlig recht, wenn sie von | |
den demokratischen Fraktionen einfordert, sich gemeinsam positionieren zu | |
müssen. Auch deshalb, weil nicht allen in der Bundesregierung diese fünf | |
Wörter über die Lippen gehen wollen: Der Islam gehört zu Deutschland. | |
Manche Redner:innen haben sich positioniert: Helge Lindh (SPD), der | |
Scham für den offenen Rassismus in diesem Land empfindet. Benjamin Strasser | |
(FDP), der anerkennt, dass Rassismus in Deutschland Lebenschancen zerstört. | |
Lars Castellucci (SPD), der die Vielfalt in der deutschen Gesellschaft | |
wertschätzt und verteidigt. Filiz Polat (Grüne), die Solidarität und | |
Anteilnahme für alle einfordert, die von Ausgrenzung, Hass und Rassismus | |
betroffen sind. Auch vom Bundestag. | |
Er hätte feststellen sollen: die Muslim:innen in Deutschland gehören zu | |
Deutschland. Hat er nicht. CDU/CSU, SPD, FDP und AfD lehnten den Antrag ab. | |
Die Grünen enthielten sich. Das ist auch ein Zeichen. | |
15 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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