# taz.de -- Kleidung am Arbeitsplatz: Zu aufreizend, zu prüde, zu schrill | |
> Als Frau kann man sich leicht falsch anziehen in der Arbeitswelt – vor | |
> allem, wenn man Kopftuch trägt. Wie neutral können Klamotten sein? | |
Bild: Eine aktuelle Petition beschreibt Kopftuchverbot am Arbeitsplatz als Unte… | |
Vor ein paar Jahren saß ich in einem Seminar, in dem wir lernten, wie man | |
sich erfolgreich bewirbt. Wir simulierten Bewerbungsgespräche und erfuhren, | |
dass für Frauen besondere Regeln galten: Sich mit dem Hinterteil auf dem | |
Stuhl auszubreiten, schickt sich nicht, wir mögen bitte an der Stuhlkante | |
Platz nehmen. Und: Wenn Rock, dann bis zum Knie. Nein, ich hatte mich für | |
diesen Workshop nicht beim „Institut für Re-Konservativmachung der | |
Gesellschaft“ angemeldet. Es war eine ganz normale Veranstaltung in einer | |
ganz normalen Ausbildung. | |
Zu aufreizend, zu prüde, zu schrill, zu spießig: Als Frau kann man sich | |
leicht falsch anziehen in der Arbeitswelt. Manchmal denke ich an meinen | |
Deutschunterricht, in dem wir schriftlich erörterten, ob Schulen eine | |
Uniform brauchen. Die gängigen Pro-Argumente waren: Alle Schüler:innen | |
sind dann gleich (auch wenn damals alle „Schüler“ schrieben), kein | |
Markendruck, man muss sich morgens nicht entscheiden und niemand trägt zu | |
kurze Hosen. Ich hatte nie eine Schuluniform und finde vielleicht auch | |
deshalb die Idee bis heute gar nicht schlecht. Man ist angezogen und kann | |
wenig falsch machen. In der spanischen Netflix-Serie „Die Telefonistinnen“ | |
tragen die Telefonistinnen sogar Uniform bei der Arbeit, ein hellblaues | |
Matrosenkleid. Der Style geht cooler, aber: Why not. | |
So ein Quatsch, heute kann doch jede:r anziehen, was er möchte? Ja, Leute | |
kommen in Jeans, in Sneakern, im Anzug, in High Heels. Aber: overdressed, | |
underdressed, short gedresst, jede:r macht sich da halt auch so seine | |
Gedanken. Die haben selten weitreichendere Folgen als bis zum Flurgespräch. | |
Außer, es handelt sich um das Kopftuch. | |
Das natürlich auch ein religiöses Symbol ist. Der Generalanwalt am | |
Europäischen Gerichtshof (EuGH) schrieb in einem [1][Ende Februar | |
veröffentlichten Gutachten] Es ist zulässig, große religiöse Symbole wie | |
das Kopftuch oder die Kippa am Arbeitsplatz zu untersagen (kleine sind | |
okay). Auslöser waren zwei Fälle aus Deutschland, die an den EuGH gingen, | |
einer [2][wegen einer Erzieherin, die in eine Hamburger Kita mit Hidschab | |
kam] und dafür mehrfach abgemahnt wurde. [3][Rechtlich beruft man sich auf | |
Neutralität:] Mit unbedeckten Haaren zu arbeiten, ist dabei in Deutschland | |
die Norm, aber nicht neutral. Besonders nicht für die Frau, die ihr Haar | |
öffentlich nicht zeigen möchte. | |
Das EuGH wird in ein paar Wochen urteilen. Das Gutachten ist nicht bindend, | |
häufig folgen die Richter ihm aber. Auf change.org haben [4][mehr als | |
43.000 Menschen eine Petition] unterschrieben, die sich an den Präsidenten | |
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte richtet. Darin heißt es: | |
„Mit diesem Verbot wird die Diskriminierung demnach sehr wohl unterstützt. | |
Es fördert das negative Bild, welches sich rechtsradikale Personen machen. | |
Denn nun werden diese Frauen dazu gezwungen, ihren Beruf aufzugeben. Das | |
ist Unterdrückung!“ | |
10 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-schlussantraege-generalanwalt… | |
[2] /Verstoss-gegen-Neutralitaet/!5553729 | |
[3] /Kommentar-zum-Kopftuchurteil-des-EuGH/!5388379 | |
[4] https://www.change.org/p/europ%C3%A4ischer-gerichtshof-kopftuchverbot-am-ar… | |
## AUTOREN | |
Susan Djahangard | |
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