| # taz.de -- Geschlechtergerechtigkeit im Alltag: Hälfte-Hälfte ist nicht fair | |
| > Alles gleichmäßig aufzuteilen, ist nicht die Lösung. Die Journalistin | |
| > Caroline Criado-Perez erklärt das gut am Beispiel öffentlicher Toiletten. | |
| Bild: Gerechter wäre, es gäbe viel mehr Damen- als Herrentoiletten | |
| Neulich habe ich gelernt, dass sich die Frage von Geschlechtergerechtigkeit | |
| besonders gut am Beispiel von Toiletten erörtern lässt. Sie kennen das | |
| Problem: Während Männer mal kurz pinkeln gehen, in der Theaterpause, vor | |
| dem Kinofilm, überlegt man als Frau, ob man es schafft, weil die Schlange | |
| ziemlich sicher ziemlich lang ist. | |
| In ihrem Buch [1][„Unsichtbare Frauen“ erklärt die britische Journalistin | |
| Caroline Criado-Perez], warum das so ist: Weil es in Herrentoiletten auch | |
| Urinale gibt, können sie pro Quadratmeter von mehr Personen gleichzeitig | |
| benutzt werden. Dazu kommt, dass Frauen 2,3-mal so lange brauchen für den | |
| Klogang wie Männer. Und sie müssen auch noch öfter zur Toilette, weil sie | |
| zum Beispiel achtmal häufiger an Blaseninfektionen erkranken, die es nötig | |
| machen. | |
| Wenn man das so liest, wäre der logische Schluss zu sagen: Dann müssen | |
| Damentoiletten mit deutlich [2][mehr WCs ausgestattet werden als | |
| Herrentoiletten] (zumindest solange man diese Aufteilung überhaupt | |
| beibehält). Tatsächlich ist das aber selten der Fall, in Großbritannien | |
| steht sogar in den Abwasservorschriften, dass Damen- und Herrenklos gleich | |
| groß sein müssen. | |
| Dinge halb-halb aufteilen heißt noch lange nicht, Dinge gerecht zu | |
| verteilen. Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Manche Menschen | |
| haben einander ähnlichere Bedürfnisse, weil sie alle gerne Fahrrad fahren, | |
| Eis essen oder eine Vulva haben. Klar ist aber: Was für eine Gruppe | |
| funktioniert, funktioniert für eine andere nicht zwangsläufig. | |
| ## Ursache ist der Gender-Data-Gap | |
| Deshalb kann es für diskriminierte Gruppen nie nur darum gehen, ihr Stück | |
| vom Kuchen abzubekommen. Nicht nur die Toiletten, auch die Temperaturnormen | |
| in Büros sind an den Bedürfnissen von Männern ausgerichtet, schreibt | |
| Criado-Perez. Genauso wie die Sicherheitsvorrichtungen von Autos, [3][die | |
| Dosierung von Medikamenten] oder die Maße von Regalen. Die Lösung für eine | |
| gerechtere Wirtschaft und Welt ist nicht, Frauen zu gleichen Teilen an Jobs | |
| und Führungspositionen zu beteiligen, sondern die Strukturen von | |
| Arbeitswelt und Produktion so zu verändern, dass sie sich auch an den | |
| Bedürfnissen von Frauen als Mitarbeiterinnen, Kundinnen, Patientinnen und | |
| pinkelnden Besucherinnen orientieren. | |
| Für Criado-Perez liegt die Ursache für diese Ungerechtigkeiten im | |
| Gender-Data-Gap: Unsere Welt orientiert sich zunehmend an Daten. Diese sind | |
| angeblich objektiv – eigentlich vor allem aber männlich. Für Criado-Perez | |
| kann die Welt für Frauen nur ein besserer Ort werden, wenn ihre Bedürfnisse | |
| besser erforscht und Daten stärker nach Geschlecht analysiert werden, wenn | |
| sich also auch diese Lücke langsam schließt. In den Daten für die | |
| Entwicklung von Medikamenten und Künstlicher Intelligenz, von Produkten, | |
| Arbeitsnormen und Toilettenvorschriften. Damit sich die Welt auch entlang | |
| weiblicher Bedürfnisse organisiert – und nicht einfach die männliche | |
| Vorstellung halb-halb verteilt. | |
| 23 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gender-und-Wissenschaft/!5685021 | |
| [2] /Oeffentliche-Toiletten-in-Berlin/!5752804 | |
| [3] /Geschlechtersensible-Medizin/!5750217 | |
| ## AUTOREN | |
| Susan Djahangard | |
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