# taz.de -- Neue Regeln für Beamt:innen: Kein Tattoo, kein Kopftuch | |
> Für Beamt:innen gelten bald neue Regeln zum Erscheinungsbild. Obwohl | |
> diese in die Grundrechte eingreifen, wurden sie ohne Debatte beschlossen. | |
Bild: Das sieht interessant aus, aber um Richter zu werden, müsste alles weg | |
Freiburg taz | Für Beamt:innen gelten bald neue Regeln zum äußeren | |
Erscheinungsbild. Auffällige Tattoos und Piercings sind künftig | |
ausdrücklich verboten. Das Gesetz, das von Bundestag und Bundesrat | |
geräuschlos beschlossen wurde, soll auch neue Kopftuchverbote | |
rechtfertigen. | |
Das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten“ | |
greift deutlich in die Grundrechte von 1,7 Millionen Beamt:innen in | |
Deutschland ein. Dennoch wurde es im Bundestag ohne jede Debatte | |
beschlossen. Weder bei der ersten Lesung am 4. März noch beim endgültigen | |
Beschluss am 22. April gab es einen einzigen Redebeitrag. Am Freitag | |
stimmte nun auch der Bundesrat zu, wieder ohne Diskussion. | |
Auslöser für das Gesetz war der [1][Fall eines rechtsextremen Polizisten | |
aus Berlin]. Dessen Nazi-Tattoos führten zwar dazu, dass er wegen fehlender | |
Verfassungstreue aus dem Dienst entfernt werden konnte. Das | |
Bundesverwaltungsgericht merkte jedoch 2017 an, dass eine gesetzliche | |
Grundlage für das Verbot auffälliger Tätowierungen fehlt. | |
Verwaltungsinterne Erlasse seien nicht ausreichend. | |
Diese Lücke haben Bundestag und Bundesrat nun geschlossen. Danach müssen | |
Beamt:innen „hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes Rücksicht auf das | |
ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen“ nehmen. So können Tätowierungen, | |
Schmuck und Symbole „im sichtbaren Bereich“ verboten werden. Auch die „Art | |
der Haar- und Barttracht“ darf eingeschränkt werden. Entscheidendes | |
Kriterium ist, dass die Erscheinungsmerkmale „durch ihre über das übliche | |
Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die | |
amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu | |
drängen“. Diese vage Vorgabe wird im Einzelfall wohl noch für viel Streit | |
sorgen. | |
## Sichtbarkeit bemisst sich nach Sommeruniform | |
In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass die Vorgaben auch für | |
Fingernägel, Kosmetik, Ohrtunnel, Brandings und Dermal Implants gelten. | |
Wann ein Körperschmuck „sichtbar“ ist, bemisst sich nach der Sommeruniform | |
der Polizist:innen, zu der ein kurzärmeliges Hemd gehört. Danach sind | |
Tattoos am Rücken oder Oberarm kein Problem. Aber bei Körperschmuck am | |
Unterarm, an Händen, Hals und Kopf kann es Probleme geben. | |
Die neue Vorschrift im Bundesbeamtengesetz gilt für die 185.000 | |
Bundesbeamt:innen in Ministerien und Bundesbehörden, zum Beispiel beim | |
Bundeskartellamt. Ein weiterer Paragraf im Beamtenstatusgesetz erfasst auch | |
die Beamt:innen in den Bundesländern (1,3 Millionen) und den Kommunen | |
(187.000). Teilweise können Bundesministerien und Länder noch Einzelheiten | |
regeln. | |
## Brisant ist das Thema Religion | |
Besonders brisant sind Regelungen des Erscheinungsbildes, wenn es um | |
„religiös- und weltanschaulich konnotierte Merkmale“ geht, wie das | |
muslimische Kopftuch, das christliche Kreuz oder die jüdische Kippa. Diese | |
sollen nur dann untersagt werden, „wenn sie objektiv geeignet sind, das | |
Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu | |
beeinträchtigen.“ | |
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind | |
[2][generelle Kopftuchverbote bei Lehrerinnen] und [3][Erzieherinnen] | |
unzulässig. [4][Bei Richterinnen hält Karlsruhe sie aber für möglich], wenn | |
auch nicht zwingend notwendig. Für Polizei- und andere Beamt:innen gibt | |
es noch keine Urteile. | |
## Gesetzliche Ermächtigung für Kopftuchverbote | |
Die Gesetzesänderung schafft hier nun zumindest eine gesetzliche | |
Ermächtigung für Kopftuchverbote, die in den meisten Bundesländern bisher | |
nicht bestand. Dagegen sind Gesichtsverhüllungen wie Burkas bereits seit | |
2017 in beiden Gesetzen verboten. | |
Ein dritter Komplex betrifft die Rechte von Soldat:innen. Auch hier [5][gab | |
ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts den Anlass]. 2019 klagte ein | |
Soldat, der sich als Gothic-Fan die Haare lang wachsen lassen wollte, gegen | |
den Haar- und Bart-Erlass der Bundeswehr. Er sah sich diskriminiert, weil | |
Soldatinnen durchaus lange Haare haben dürfen. Das Leipziger Gericht | |
forderte auch hier eine gesetzliche Regelung. | |
Nun gibt es also eine ausdrückliche Regelung im Soldatengesetz. Sie | |
entspricht weitgehend den Vorgaben für Beamt:innen, weist aber eine | |
ausdrückliche Sonderregelung zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen | |
auf: „Soweit Frauen in den Streitkräften unterrepräsentiert sind, können | |
die Vorgaben zum Erscheinungsbild von Soldatinnnen, insbesondere zur | |
Haartracht und zum Tragen von Schmuck, als eine zulässige Maßnahme zur | |
Förderung von Frauen in der Bundeswehr von den Vorgaben für Soldaten | |
abweichend geregelt werden.“ | |
## Petition für „gesellschaftliche Vielfalt“ | |
Das Gesetz wurde im Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD | |
beschlossen. Die Linke stimmte dagegen, FDP und Grüne enthielten sich. | |
Kurz vor der Beschlussfassung im Bundesrat bekam das Projekt dann doch noch | |
öffentliche Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Jurastudentin Rabia Küçüksahin | |
startete [6][eine Petition gegen drohende Kopftuchverbote] und für | |
„gesellschaftliche Vielfalt“ im öffentlichen Dienst. Sie erhielt binnen | |
weniger Tage 164.000 Unterschriften. | |
Im Bundesrat griff dies nur der Thüringer Kultusminister Benjamin-Immanuel | |
Hoff (Linke) auf: „Ich kann nicht über Diversität reden und gleichzeitig | |
sagen, dass bestimmte religiöse Symbole nicht möglich sind.“ Kein anderes | |
Bundesland reagierte auf seinen Einwand. Das Gesetz tritt nach der | |
Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. | |
9 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-zu-entlassenem-Berliner-Beamten/!5464268 | |
[2] /Entscheidung-Bundesverfassungsgericht/!5016887 | |
[3] /!5357933/ | |
[4] /Religioese-Symbole-in-der-Justiz/!5664209 | |
[5] /Beschluss-des-Bundesverwaltungsgerichts/!5569840 | |
[6] https://www.change.org/p/bundesweites-kopftuchverbot-stoppen | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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