# taz.de -- Waffenhandelsring in Bayern: Rechtsextreme Getriebe | |
> In Bayern wird gegen einen rechten Waffenhandelsring mit Verbindungen | |
> nach Kroatien ermittelt. Sollte mit den Verkäufen der Aufbau einer | |
> AfD-nahen Organisation finanziert werden? | |
Bild: Ein Ziel der Gruppe: eine neue Heimat jenseits von „Gender-Mainstreamin… | |
Es gibt ein Foto von Alexander R. aus dem Jahr 2016. Er und seine | |
Kamerad*innen halten ein Transparent, vor das sich Björn Höcke gestellt | |
hat. Darauf der Name der Gruppe: „Patriotische Alternative“. Alexander R. | |
trägt einen Anstecker in Schwarz-Weiß-Rot. „Deutschland über alles“, ste… | |
darauf geschrieben. Es ist das Kyffhäuser-Treffen 2016, eine Art | |
politisches Sommerfest des [1][rechtsextremen AfD-Flügels], und eine der | |
wenigen Gelegenheiten, zu denen sich die „Patriotische Alternative“ als | |
Unterstützungsverein des Flügels öffentlich präsentiert. | |
Vier Jahre später fliegt ein Waffenhandelsring auf. Alexander R., ein | |
ehemaliger Zollbeamter, 48 Jahre alt, soll Kopf des Ganzen sein. Er sitzt | |
seit vergangenen Sommer in Untersuchungshaft. Gleich mehrere der | |
Beschuldigten aus den Waffenermittlungen waren damals treibende Kräfte beim | |
Aufbau der „Patriotischen Alternative“. Manche trafen sich an dem Tag, als | |
das Foto entstand, zum ersten Mal. | |
## Der Handel | |
Wer heimlich Waffen verkaufen will, überlegt sich gern Codenamen. Eine | |
Uzi-Maschinenpistole könnte dann schon mal „UZ Getriebe“ heißen, die | |
dazugehörige Munition „9mm Flansch“, aus Gewehr wird „Pumpe“ oder | |
„Kurbelwelle“, ein Verkaufsgespräch klingt dann so: | |
Am 22. Juni 2016 schreibt Alexander R. einem Bekannten aus Sachsen eine | |
private Facebooknachricht – die Fehler alle wie im Original: „bekomm am | |
freitag vom autozulieferbetrieb 4× UZ Getriebe mit 9mm flansch und 4 x AK | |
Getriebe mit 7,62 flansch jedes Getriebe neu Stück 1500 Euronen“. Der | |
Bekannte schreibt: „dan weiss ich ja bescheid, der lieferservice kommt | |
drauf <?„ Alexander R. schreibt: „1× UZ und 1× Ak sind schon verkauft, al… | |
noch 4 Getriebe verfügbar“. | |
Zwei Jahre später verhaften Ermittler*innen einen Mann an der Autobahn. | |
Sie halten ihn für einen Kurier, der illegal Waffen aus Kroatien nach | |
Deutschland bringt. Die Festnahme markiert den Beginn jahrelanger | |
Ermittlungen, die von Kroatien nach Deutschland führen, nach Österreich und | |
in die Schweiz. | |
Sie wühlen ein Geflecht auf, in dem ein kroatischer Waffenhandelsring | |
andere Waffenhandelsringe mit Ware versorgt, darunter auch eine Gruppe, die | |
hauptsächlich von Bayern aus agiert, geschmuggelte Waffen gekauft und | |
weiter vertickt haben soll. Ihr mutmaßlicher Kopf: Alexander R. | |
Inzwischen ermittelt der Fachbereich Extremismus und Terrorismus der | |
Generalstaatsanwaltschaft München gegen 16 Personen. Es geht um Verstöße | |
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz. Das Besondere an | |
der Gruppe: Die meisten von ihnen sind Teil der rechtsextremen Szene, und | |
einige von ihnen haben mit der [2][AfD] zu tun, als Mitglieder, | |
Mitarbeitende oder Strippenzieher am rechten Rand der Partei – mit | |
Kontakten bis in den Bundestag und zu Björn Höcke. | |
Manche der Beschuldigten sind bereits aufgefallen – wegen Verstößen gegen | |
das Waffenrecht. Die Frage ist: Was hatten die Beschuldigten mit den Waffen | |
vor? Wollten sie eine militante Gruppe aufbauen? | |
Im Januar 2020 durchsuchen die Münchner Ermittler*innen zum ersten Mal | |
Wohnhäuser und Büros mehrerer Beteiligter in Deutschland und der Schweiz, | |
sie nehmen Handys mit, Computer, Datenträger. | |
Im Juli 2020 kommen sie erneut, sie sind überzeugt, dass Alexander R. und | |
fünf weitere Personen mit Waffen handelten, darunter ein Reichsbürger, der | |
Geld mit Vorträgen über das „BRD-System“ verdient und ein Neonazi; zehn | |
Verdächtige gelten als ihre Abnehmer*innen. Jetzt verhaften sie einen | |
Beschuldigten in Bayern und Alexander R. in Kroatien. R. hat zeitweise dort | |
gelebt, seine Frau ist Kroatin und mit ultranationalistischen Veteranen | |
paramilitärischer Milizen vernetzt, die im Kroatienkrieg kämpften. R. wird | |
nach Deutschland ausgeliefert und sitzt bis heute in Untersuchungshaft. | |
Blickt man auf die Ermittlungen und die Verhaftungen, ließe sich eine | |
Erfolgsgeschichte erzählen. Davon, wie Ermittler*innen einen | |
Waffenschiebering sprengen, bevor er die rechtsextreme Szene in großer | |
Zahl mit Waffen und Kriegswaffen versorgen konnte – und diese zum Einsatz | |
kommen konnten. | |
Interne Chatnachrichten, E-Mails und Dokumente, die wir zugespielt | |
bekommen, zeichnen aber ein anderes Bild. Darin lesen wir, wie der Kern der | |
Gruppe begann, den Handel aufzuziehen und wie Alexander R. zeitgleich daran | |
arbeitete, neue rechtsextremistische Zirkel zu erschaffen. | |
Er sucht die Nähe von rechtsextremen Organisationen, wirkt selbst daran | |
mit, neue zu gründen, wozu es dann meist nicht kommt. Das alles macht er | |
jahrelang, ohne dass ihn jemand daran hindert. Dass Alexander R. nicht noch | |
gefährlicher geworden ist, liegt nicht an den Sicherheitsbehörden, sondern | |
wohl allein an ihm selbst. | |
## Das Umfeld | |
Am 9. Januar 2016 schreibt Alexander R. eine E-Mail an die [3][„Identitäre | |
Bewegung“]: „Hallo Euch. Ich möchte mich beteiligen am Kampf für die | |
Erhaltung unserer Heimat. Bitte nehmt Kontakt mit mir auf.“ R. wird in den | |
Verteiler der Ein-Prozent-Bewegung aufgenommen, die damals am Entstehen | |
ist, bestellt Antiasyl-Aufkleber der Partei „Dritter Weg“, nimmt Kontakt | |
zur Schweizer „Avalon-Gemeinschaft“ auf und zur „Europäischen Aktion“; | |
alles Organisationen, die rassistisches und rechtsextremes Gedankengut | |
verbreiten, viele von ihnen sind damals schon für Geheimdienste | |
interessant. Am 13. Februar 2016 begrüßt ihn die AfD als Neumitglied. | |
Alexander R. war schon Jahre früher in rechtsextremen Kreisen unterwegs, in | |
der Kameradschaftsszene und bei der NPD in München, tauchte dann aber ab. | |
Jetzt, zu Beginn des Jahres 2016, bereitet er seine erste Rede für eine | |
Pegida-Demonstration vor. Es sind die Monate, in denen überall in | |
Deutschland Gruppierungen zusammenfinden, die ihre rassistische Ideologie | |
mit Kritik an der Flüchtlingspolitik tarnen. | |
Und Alexander R. versucht, bei möglichst vielen dabei zu sein. Er schreibt | |
Organisationen an und einzelne Akteure und sagt immer: Ich will mitmachen. | |
Und: Lass uns kooperieren. Er macht das verblüffend systematisch. | |
Alexander R. ist einer, der Mails mit „Front heil“ oder „Alex von der | |
Südfront“ unterschreibt. Der in persönlichen Nachrichten sagt, dass er | |
Schwule „krank“ finde, der von „Revolution“ und „Freikorps“ träumt… | |
im „Kampf gegen eine Diktatur“ wähnt. Einmal schreibt er: „Wir müssen d… | |
Elite des weissen Europas bilden“. Ein anderes Mal verschickt R. das Foto | |
einer lebensgroßen Puppe in SS-Uniform, Betreff „Mein neuer Untermieter“. | |
Sucht man R. im Internet, findet man einen Geschäftsmann: Ausgebildet beim | |
Zoll, Erfahrung bei großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen in München, dann | |
als Berater und Experte für Import- und Exportgeschäfte tätig. Zuletzt | |
hatte er in der Schweiz erfolglos versucht, eigene Firmen aufzubauen. | |
Alexander R.s Anwalt antwortet uns auf mehrere Anfragen nicht. | |
Also besuchen wir Orte, an denen sich R. aufhielt, wir treffen Menschen, | |
die ihn gut kennen. Manche, die nichts Schlechtes über ihn zu sagen und | |
andere, die mit ihm gebrochen haben. Ein Mann aus R.s Umfeld nennt ihn | |
„intelligent“, „er hat ja auch studiert“. R. ist einer, der Anzug träg… | |
der sich vermeintlich Dinge leisten kann. Auch wenn er in Wahrheit ständig | |
Geldsorgen hat, sich Geld leiht, das er oft nicht zurückzahlt. Die anderen | |
sind Handwerker, eine Sekretärin, ein Mitarbeiter einer Hotelverwaltung, | |
Hausmeister. | |
Es sind Menschen, die sich damals, als Telegram noch nicht verbreitet war, | |
in Gruppen bei Facebook oder in Mailverteilern politisch heißreden, | |
Pamphlete teilen, gegenseitig Ängste schüren. Menschen, die sich auch mal | |
schnell mit losen Onlinekontakten verabreden, weil sie Gleichgesinnte sind. | |
Wir besuchen einen Mann, der von R. eine Waffe gekauft haben soll, das aber | |
bestreitet, im Münchner Umland. An seinem Haus hängt das Wappen des | |
Königreichs Bayerns, eines, das Reichsbürger*innen nutzen. Über R. sagt | |
er: „Korrekter Typ. So wie ich.“ | |
Als wir ankommen, sitzt der Mann, Stefan S., in einem Bagger und schiebt | |
Schnee beiseite. Als er fertig ist, fährt er damit in seine Lagerhalle, | |
neben dem Eingang hängt ein Gewehr und das Bild einer nackten Frau. S. ist | |
Zimmermann. Als im vergangenen Sommer die Ermittler*innen sein | |
Grundstück samt Lagerhalle durchsuchten, fanden sie eine Pistole in seinem | |
Auto. Klein genug, um in eine Damenhandtasche zu passen, sagt S. Illegal | |
genug, um ihn als Beschuldigten zu führen, sagen die Ermittler*innen. | |
Als sie ihn befragen, antwortete Stefan S. kaum. Uns erzählt er, wie er | |
Alexander R. 2016 bei einem Treffen in einem Gasthaus im Ort kennenlernte, | |
ein [4][Reichsbürger] hatte dort einen Vortrag über den „gelben Schein“ | |
gehalten. Das ist ein Dokument, mit dem Behörden Deutschen im Ausland die | |
Staatsbürgerschaft bescheinigen. Inzwischen beantragen das auch | |
Reichsbürger, um aus der BRD auszusteigen. Klassische Ausweise wie den | |
Personalausweis lehnen sie ab, weil er sie als Angestellte der „BRD GmbH“ | |
kennzeichne. | |
Recherchen der taz ergeben, dass neben Stefan S. mindestens ein weiterer | |
mutmaßlicher Waffenkäufer im Gasthaus anwesend war; der Referent des Abends | |
zählt sogar zum Kern von R.s mutmaßlicher Verkäufergruppe. | |
Die Ermittler*innen wissen nichts von diesem Treffen, erfahren wir. Sie | |
wissen nicht, ob an diesem Abend auch über Waffen gesprochen wurde. Oder ob | |
es darum ging, sich als Gruppe zu formieren. Dabei ist aus | |
Ermittler*innenkreisen auch zu hören, dass Alexander R. den Ertrag | |
aus dem Waffenhandel nutzen wollte, um eine neue politische Organisation | |
aufzubauen. | |
In einer kleinen Anfrage wollten die Grünen des Bayerischen Landtages | |
wissen, ob es sich bei den Waffenhändlern um eine kriminelle Vereinigung | |
handele. Das Bayerische Justizministerium wiegelt ab: „Nach derzeitigem | |
Erkenntnisstand ist dies nicht der Fall.“ Auf die Frage, zu welchem Zweck | |
die Gruppe in Bayern die Waffen verkaufte, antwortet das Ministerium nicht | |
– und verweist auf die laufenden Ermittlungen. | |
Bereits im April 2019 hat ein kroatisches Gericht insgesamt elf Personen | |
verurteilt, die in den internationalen Handel mit Kriegswaffen und Waffen | |
involviert waren. Der Prozess fördert einen entscheidenden Tipp zutage: Ein | |
Zeuge sagte, dass er wisse, an wen die Waffen gehen sollten: an die AfD. | |
## Im Bundestag | |
Tatsächlich finden sich unter den Beschuldigten neben Alexander R. noch | |
weitere AfD-Mitglieder und Sympathisanten der Partei. Eine Frau ist sogar | |
die Mitarbeiterin eines AfD-Bundestagsabgeordneten. Dagmar S. arbeitet im | |
Münchner Wahlkreisbüro von Petr Bystron. | |
Am 30. September 2016 schreibt Alexander R. eine Nachricht an einen seiner | |
Geschäftspartner: „Hast Du irgendwie die Möglichkeit bei Dagmar das | |
Getriebe und Drucker abzuholen? ich trau der irgendwie gar nicht mehr. die | |
macht Spielchen mit uns.“ Nun kann in solchen Nachrichten vieles stehen, | |
sie sind kein zweifelsfreier Beleg – doch das Justizministerium bestätigt: | |
Dagmar S. ist beschuldigt, zeitweise eine Kriegswaffe aufbewahrt zu haben. | |
Unsere Recherchen ergeben darüber hinaus: Mindestens einmal stellte sie | |
zudem einem potenziellen Käufer den Kontakt zu Alexander R. her, wie uns | |
dieser bestätigt. Trotzdem zählen die Ermittler*innen sie nicht zur | |
Kerngruppe. | |
Beinahe hätte Dagmar S. den Waffenhandelsring schon im August 2017 | |
auffliegen lassen. Schon damals durchsuchten Ermittler*innen ihre | |
Wohnung – und fanden eine Pistole, die sie illegal erworben hatte. Kurz | |
darauf ist sie die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten. Sie selbst | |
möchte uns nichts über ihre Beziehung zu Alexander R. und den anderen | |
Beschuldigten sagen, nur so viel: Sie sei bestimmt nicht als | |
Waffenhändlerin durch Deutschland gezogen, und sie wolle mit der Sache | |
jetzt nichts mehr zu tun haben. | |
Ihr Chef, Petr Bystron, sitzt Anfang Februar auf einem Ledersofa vor dem | |
Plenarsaal im Bundestag. Er hat einem Gespräch zugestimmt, daraus zitieren | |
dürfen wir aber nicht. Bystron ist einer der Hardliner im Parlament, der | |
Verfassungsschutz hatte ihn 2017 schon beobachtet, bevor er Abgeordneter | |
wurde. | |
Später schickt Bystron ein Statement, indem er einen Gedanken aus dem | |
Gespräch aufgreift: Er glaube schon, dass durch Geflüchtete insbesondere | |
bei Frauen das Bedürfnis nach Schutz gestiegen sei. Er könne | |
nachvollziehen, wenn sie eine Waffe zur Selbstverteidigung besitzen | |
wollten. Er schreibt, rigide Waffengesetze seien schuld, wenn sie, auf der | |
Suche nach diesem Schutz, in die Fänge von Betrügern gerieten. | |
Was der Bundestagsabgeordnete Bystron sagt, gleicht der Angstpropaganda von | |
Pegida-Kundgebungen. Geflüchtete Menschen werden pauschal als Gefahr | |
dargestellt, gegen die man sich schützen muss, im Zweifel auch mit einer | |
illegal besorgten Waffe. | |
Dagmar S. schwieg damals bei den Ermittlungen über die Herkunft der | |
Pistole. Ein Gericht verurteilte sie wegen unerlaubtem Besitz und Führens | |
dieser halbautomatischen Kurzwaffe zu einer langen Bewährungsstrafe und | |
Sozialstunden. | |
Diese frühere Verurteilung wirft Fragen auf: Warum stießen die | |
Ermittler*innen nicht schon damals auf den Waffenhandelsring? Wurden | |
Alexander R. und die anderen durch die Ermittlungen gegen Dagmar S. | |
gewarnt? Ließen sie Waffen verschwinden? | |
Betrachtet man die bekannten Eckdaten des Falls, irritiert es, dass gleich | |
sechs Männer mit den Waffen gehandelt haben sollen, mindestens ein Dutzend | |
offenbar Interesse am Kauf hatten. Und wie wenige Waffen schließlich | |
sichergestellt wurden: ein Schießkugelschreiber, ein Elektroschockgerät, | |
eine Pumpgun, zwei Pistolen, ein paar Patronen, ein Schalldämpfer, eine | |
nicht zugelassene Gaspistole. | |
Was fehlt: Uzi-Maschinenpistolen, AK-47-Sturmgewehre, die Kriegswaffen | |
also, die R. und die anderen in ihren Verkaufsgesprächen Getriebe, | |
Kurbelwellen, Pumpen nannten. Haben die Ermittler*innen nicht alles | |
gefunden? | |
## Die Käufer*innen | |
Einmal verabredet sich ein damaliges AfD-Mitglied, das südlich von München | |
lebt, mit Alexander R. zum Waffenkauf. In den Nachrichten, die sich die | |
beiden 2016 und 2017 schreiben, vergisst der Mann manchmal die | |
Sprachregelung mit den Autoteilen und schreibt eindeutig von einer | |
„uzzi.mit Schuß“. Er verhandelt um Preise, fragt, ob er in Raten zahlen | |
kann oder mit seiner Taschenuhrsammlung, schiebt ein Treffen immer wieder | |
raus. Alexander R. schickt ihm die Adresse zu einem Treffpunkt, eine | |
Self-Storage-Lagerhalle in Hohenbrunn. | |
Die verzierten Fachwerkhäuser in dem Dorf am Fuße der Alpen, in dem der | |
Mann lebt, ruhen Ende Januar unter Schnee. Der Mann ist überrascht, als wir | |
bei ihm klingeln, um ihn nach dem Waffendeal zu fragen. Die Polizei war | |
nicht bei ihm. Er sagt, er habe in einer Facebook-Gruppe für Motorradfahrer | |
von R.s Waffen erfahren, weil Alexander R. sie dort angeboten habe. | |
Er erinnert sich an das Foto einer Maschinenpistole, an ein anderes, auf | |
dem ein Karabiner, ein historisches Gewehr, zu sehen gewesen sei. Deshalb | |
habe er Alexander R. geschrieben. Nur zum Treffen hingefahren sei er dann | |
nie – aus Angst, er könnte abgezogen werden. Und auch wegen seiner Frau: | |
„Wie soll ich ihr denn erklären, dass ich mit ’ner Knarre nach Hause | |
komme?“ | |
Was der Mann nicht erklären kann: Was er mit der Waffe vorhatte. Einerseits | |
spricht er von Neugier, andererseits davon, dass er selbst nicht wisse, wo | |
man überhaupt mit einer Uzi schießen solle. Auf Merkel jedenfalls nicht. | |
Bislang hat die Polizei sich bei diesem Mann nicht gemeldet, auch das | |
Lagerhaus in Hohenbrunn hat sie sich nicht angeschaut. | |
Einer der Beschuldigten lebt in einem Schloss in Sachsen. Dort gäbe es | |
viele Orte, um Beweise zu verstecken, trotzdem durchforstete niemand das | |
ganze, teils baufällige Gebäudeensemble mit Motorradgarage und Werkstätten, | |
als das SEK im Sommer das Gelände stürmte. Lediglich die Wohnung des | |
Beschuldigten wurde durchsucht, und die Ermittler*innen zogen ziemlich | |
schnell wieder ab – so schildert es uns der Beschuldigte selbst bei einem | |
Gespräch. | |
Die Polizist*innen fragten ihn offenbar nicht nach den Waffenteilen, | |
die er aus Tschechien besorgen sollte oder wollte, da gehen die Aussagen | |
auseinander. Code laut Chatnachrichten: „Skodateile aus CZ“. | |
## Die Pläne | |
Die „Patriotischen Alternative“ um Alexander R. entstand zunächst in | |
Hessen, als eine Art Förderverein zur Unterstützung des rechtsextremen | |
Flügels der AfD um [5][Höcke]. Die Ermittler*innen glauben, dass mit | |
dem Geld aus den Waffenverkäufen ein bayerischer Landesverband dieser | |
Organisation aufgebaut werden sollte. In einer Facebook-Nachricht schreibt | |
Alexander R. Anfang 2017: „jetzt nur noch getriebe losbekommen und aufwärts | |
gehts“. | |
Unsere Recherche aber ergeben: Die Pläne hinter den Kulissen gingen weit | |
darüber hinaus: Es gehe darum, „zielorientiert und effizient Kräfte zu | |
Bündeln und Parallelstrukturen zu schaffen für nationale volksbewusste | |
Deutsche und Europäer“, so formuliert es Alexander R. in einem internen | |
Dokument. Deutsche Bürger sähen sich „immer mehr einer Diskriminierung und | |
Erpressung seitens des herrschenden Systems ausgesetzt“. | |
Die meisten in der Gruppe hatten sich damals, 2016, gerade erst | |
kennengelernt – auf Facebook, bei Pegida-Demos, bei Vortragsabenden oder | |
weil wohlmeinende Bekannte sie miteinander vernetzten. Sie planten, | |
deutsche Siedlungen in Ungarn, Russland und Kroatien aufzubauen, als | |
Rückzugsort „fernab von Gender-Mainstreaming und geschichtlicher | |
Indoktrinierung“. | |
Von Kampftrainings und Sicherheitsunternehmen ist in den Unterlagen und | |
Nachrichten die Rede, auch Observationen sollte Teil des Geschäfts sein. | |
Organisiert unter dem Deckmantel einer Tarnorganisation, die erst mal | |
unpolitisch daherkommt, mit dem Namen „Hexagon“. | |
Immer wieder lädt Alexander R. Personen, die er mal besser, mal flüchtiger | |
kennt, zu Vernetzungstreffen ein, etwa in die „Gedächtnisstätte | |
Guthmannshausen“ in Thüringen, einem Treffpunkt von | |
Holocaust-Leugner*innen. Es geht dabei um Rückzugsräume und auch | |
Krisenvorsorge. Eines dieser Treffen fand im Herbst 2016 im thüringischen | |
Suhl statt. | |
Geplant war, eine „gemeinschaftliche Aktions-Plattform“ zu schaffen, mit | |
der „Identitären Bewegung“ und der „Europäischen Aktion“, von der sich | |
führende Mitglieder in Österreich gerade wegen Terrors vor Gericht | |
verantworten müssen. Auch dabei: die „Patriotische Alternative“, ein | |
Zahnrad im rechtsextremen Getriebe. | |
Im März 2016 spricht Alexander R. den AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg | |
Müller bei einem Vortrag der AfD-Mittelstandsorganisation an. R. möchte mit | |
ihm Kupfer importieren, über Monate hinweg sondieren sie Preise, suchen | |
Abnehmer*innen, verhandeln. Das Geschäft wird nie abgeschlossen. | |
Eben jener Bundestagsabgeordnete unterstützt R. auch mit Kontakten. Er | |
vermittelt jemanden, der ebenfalls über „Fluchtburgen in Ungarn“ nachdenke, | |
so formuliert es Müller selbst in einer Mail. Ein anderes Mal schickt er | |
den Kontakt einer wohlhabenden Frau von der FPÖ, „wäre vielleicht jmd für | |
Euer Netzwerk“. Müller selbst gibt ihm 800 Euro. Eine Leihgabe, sagt Müller | |
auf Anfrage, als R. einmal pleite gewesen sei. | |
Eine Quittung dafür kann er nicht vorlegen, auch nicht plausibel erklären, | |
warum er dafür einen Blogger Geld nach Liechtenstein überweisen lässt, wie | |
es aus Mails hervorgeht. An Waffengeschäfte will sich Müller nicht | |
erinnern. Aber jetzt daran, dass R. ihm noch Geld schulde. | |
Und so schuldet Alexander R. vielen noch etwas. Der NPD zahlt er die Gebühr | |
für ein Videoseminar nicht vollständig, von einem Reichsbürger kauft er | |
Funktechnik, bezahlt aber nicht, sogar die AfD prellt er um Fahrtkosten und | |
Mitgliedsbeiträge. Kurz bevor Alexander R. ins Visier der | |
Ermittler*innen gerät, pendelt er zwischen seinem Leben als | |
Geschäftsmann in der Schweiz und in München, mal ist er Ehemann in | |
Kroatien, dann wieder in Österreich. | |
Die Tarnorganisation Hexagon wird nie formal im Handelsregister angemeldet, | |
stattdessen zieht sich R. Anfang 2017 aus dem Vorstand zurück. Dann bricht | |
er mit der AfD. In einer Facebooknachricht schreibt er: „Die AfD ist eine | |
vom System implementierte Partei der Plutokratie! Ich unterstütze sie | |
nicht!“ Und er fügt an: „Ich bin, war und bleibe Nationalist und | |
Sozialist!“ | |
Dass Alexander R. nicht gefährlicher geworden ist, liegt nicht an | |
polizeilichen Ermittlungen, die ihn stoppten. Es liegt an seinem eigenen | |
Scheitern und daran, dass er viel will und dann alle Verbindungen kappt. | |
Oft ging es ums Geld. Fragt man die Personen von damals, wie ihre | |
Geschichte mit R. endete, antworten viele: Sie haben nichts mehr von ihm | |
gehört. | |
20 Feb 2021 | |
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