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# taz.de -- Waffenhandelsring in Bayern: Rechtsextreme Getriebe
> In Bayern wird gegen einen rechten Waffenhandelsring mit Verbindungen
> nach Kroatien ermittelt. Sollte mit den Verkäufen der Aufbau einer
> AfD-nahen Organisation finanziert werden?
Bild: Ein Ziel der Gruppe: eine neue Heimat jenseits von „Gender-Mainstreamin…
Es gibt ein Foto von Alexander R. aus dem Jahr 2016. Er und seine
Kamerad*innen halten ein Transparent, vor das sich Björn Höcke gestellt
hat. Darauf der Name der Gruppe: „Patriotische Alternative“. Alexander R.
trägt einen Anstecker in Schwarz-Weiß-Rot. „Deutschland über alles“, ste…
darauf geschrieben. Es ist das Kyffhäuser-Treffen 2016, eine Art
politisches Sommerfest des [1][rechtsextremen AfD-Flügels], und eine der
wenigen Gelegenheiten, zu denen sich die „Patriotische Alternative“ als
Unterstützungsverein des Flügels öffentlich präsentiert.
Vier Jahre später fliegt ein Waffenhandelsring auf. Alexander R., ein
ehemaliger Zollbeamter, 48 Jahre alt, soll Kopf des Ganzen sein. Er sitzt
seit vergangenen Sommer in Untersuchungshaft. Gleich mehrere der
Beschuldigten aus den Waffenermittlungen waren damals treibende Kräfte beim
Aufbau der „Patriotischen Alternative“. Manche trafen sich an dem Tag, als
das Foto entstand, zum ersten Mal.
## Der Handel
Wer heimlich Waffen verkaufen will, überlegt sich gern Codenamen. Eine
Uzi-Maschinenpistole könnte dann schon mal „UZ Getriebe“ heißen, die
dazugehörige Munition „9mm Flansch“, aus Gewehr wird „Pumpe“ oder
„Kurbelwelle“, ein Verkaufsgespräch klingt dann so:
Am 22. Juni 2016 schreibt Alexander R. einem Bekannten aus Sachsen eine
private Facebooknachricht – die Fehler alle wie im Original: „bekomm am
freitag vom autozulieferbetrieb 4× UZ Getriebe mit 9mm flansch und 4 x AK
Getriebe mit 7,62 flansch jedes Getriebe neu Stück 1500 Euronen“. Der
Bekannte schreibt: „dan weiss ich ja bescheid, der lieferservice kommt
drauf <?„ Alexander R. schreibt: „1× UZ und 1× Ak sind schon verkauft, al…
noch 4 Getriebe verfügbar“.
Zwei Jahre später verhaften Ermittler*innen einen Mann an der Autobahn.
Sie halten ihn für einen Kurier, der illegal Waffen aus Kroatien nach
Deutschland bringt. Die Festnahme markiert den Beginn jahrelanger
Ermittlungen, die von Kroatien nach Deutschland führen, nach Österreich und
in die Schweiz.
Sie wühlen ein Geflecht auf, in dem ein kroatischer Waffenhandelsring
andere Waffenhandelsringe mit Ware versorgt, darunter auch eine Gruppe, die
hauptsächlich von Bayern aus agiert, geschmuggelte Waffen gekauft und
weiter vertickt haben soll. Ihr mutmaßlicher Kopf: Alexander R.
Inzwischen ermittelt der Fachbereich Extremismus und Terrorismus der
Generalstaatsanwaltschaft München gegen 16 Personen. Es geht um Verstöße
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz. Das Besondere an
der Gruppe: Die meisten von ihnen sind Teil der rechtsextremen Szene, und
einige von ihnen haben mit der [2][AfD] zu tun, als Mitglieder,
Mitarbeitende oder Strippenzieher am rechten Rand der Partei – mit
Kontakten bis in den Bundestag und zu Björn Höcke.
Manche der Beschuldigten sind bereits aufgefallen – wegen Verstößen gegen
das Waffenrecht. Die Frage ist: Was hatten die Beschuldigten mit den Waffen
vor? Wollten sie eine militante Gruppe aufbauen?
Im Januar 2020 durchsuchen die Münchner Ermittler*innen zum ersten Mal
Wohnhäuser und Büros mehrerer Beteiligter in Deutschland und der Schweiz,
sie nehmen Handys mit, Computer, Datenträger.
Im Juli 2020 kommen sie erneut, sie sind überzeugt, dass Alexander R. und
fünf weitere Personen mit Waffen handelten, darunter ein Reichsbürger, der
Geld mit Vorträgen über das „BRD-System“ verdient und ein Neonazi; zehn
Verdächtige gelten als ihre Abnehmer*innen. Jetzt verhaften sie einen
Beschuldigten in Bayern und Alexander R. in Kroatien. R. hat zeitweise dort
gelebt, seine Frau ist Kroatin und mit ultranationalistischen Veteranen
paramilitärischer Milizen vernetzt, die im Kroatienkrieg kämpften. R. wird
nach Deutschland ausgeliefert und sitzt bis heute in Untersuchungshaft.
Blickt man auf die Ermittlungen und die Verhaftungen, ließe sich eine
Erfolgsgeschichte erzählen. Davon, wie Ermittler*innen einen
Waffenschiebering sprengen, bevor er die rechtsextreme Szene in großer
Zahl mit Waffen und Kriegswaffen versorgen konnte – und diese zum Einsatz
kommen konnten.
Interne Chatnachrichten, E-Mails und Dokumente, die wir zugespielt
bekommen, zeichnen aber ein anderes Bild. Darin lesen wir, wie der Kern der
Gruppe begann, den Handel aufzuziehen und wie Alexander R. zeitgleich daran
arbeitete, neue rechtsextremistische Zirkel zu erschaffen.
Er sucht die Nähe von rechtsextremen Organisationen, wirkt selbst daran
mit, neue zu gründen, wozu es dann meist nicht kommt. Das alles macht er
jahrelang, ohne dass ihn jemand daran hindert. Dass Alexander R. nicht noch
gefährlicher geworden ist, liegt nicht an den Sicherheitsbehörden, sondern
wohl allein an ihm selbst.
## Das Umfeld
Am 9. Januar 2016 schreibt Alexander R. eine E-Mail an die [3][„Identitäre
Bewegung“]: „Hallo Euch. Ich möchte mich beteiligen am Kampf für die
Erhaltung unserer Heimat. Bitte nehmt Kontakt mit mir auf.“ R. wird in den
Verteiler der Ein-Prozent-Bewegung aufgenommen, die damals am Entstehen
ist, bestellt Antiasyl-Aufkleber der Partei „Dritter Weg“, nimmt Kontakt
zur Schweizer „Avalon-Gemeinschaft“ auf und zur „Europäischen Aktion“;
alles Organisationen, die rassistisches und rechtsextremes Gedankengut
verbreiten, viele von ihnen sind damals schon für Geheimdienste
interessant. Am 13. Februar 2016 begrüßt ihn die AfD als Neumitglied.
Alexander R. war schon Jahre früher in rechtsextremen Kreisen unterwegs, in
der Kameradschaftsszene und bei der NPD in München, tauchte dann aber ab.
Jetzt, zu Beginn des Jahres 2016, bereitet er seine erste Rede für eine
Pegida-Demonstration vor. Es sind die Monate, in denen überall in
Deutschland Gruppierungen zusammenfinden, die ihre rassistische Ideologie
mit Kritik an der Flüchtlingspolitik tarnen.
Und Alexander R. versucht, bei möglichst vielen dabei zu sein. Er schreibt
Organisationen an und einzelne Akteure und sagt immer: Ich will mitmachen.
Und: Lass uns kooperieren. Er macht das verblüffend systematisch.
Alexander R. ist einer, der Mails mit „Front heil“ oder „Alex von der
Südfront“ unterschreibt. Der in persönlichen Nachrichten sagt, dass er
Schwule „krank“ finde, der von „Revolution“ und „Freikorps“ träumt…
im „Kampf gegen eine Diktatur“ wähnt. Einmal schreibt er: „Wir müssen d…
Elite des weissen Europas bilden“. Ein anderes Mal verschickt R. das Foto
einer lebensgroßen Puppe in SS-Uniform, Betreff „Mein neuer Untermieter“.
Sucht man R. im Internet, findet man einen Geschäftsmann: Ausgebildet beim
Zoll, Erfahrung bei großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen in München, dann
als Berater und Experte für Import- und Exportgeschäfte tätig. Zuletzt
hatte er in der Schweiz erfolglos versucht, eigene Firmen aufzubauen.
Alexander R.s Anwalt antwortet uns auf mehrere Anfragen nicht.
Also besuchen wir Orte, an denen sich R. aufhielt, wir treffen Menschen,
die ihn gut kennen. Manche, die nichts Schlechtes über ihn zu sagen und
andere, die mit ihm gebrochen haben. Ein Mann aus R.s Umfeld nennt ihn
„intelligent“, „er hat ja auch studiert“. R. ist einer, der Anzug träg…
der sich vermeintlich Dinge leisten kann. Auch wenn er in Wahrheit ständig
Geldsorgen hat, sich Geld leiht, das er oft nicht zurückzahlt. Die anderen
sind Handwerker, eine Sekretärin, ein Mitarbeiter einer Hotelverwaltung,
Hausmeister.
Es sind Menschen, die sich damals, als Telegram noch nicht verbreitet war,
in Gruppen bei Facebook oder in Mailverteilern politisch heißreden,
Pamphlete teilen, gegenseitig Ängste schüren. Menschen, die sich auch mal
schnell mit losen Onlinekontakten verabreden, weil sie Gleichgesinnte sind.
Wir besuchen einen Mann, der von R. eine Waffe gekauft haben soll, das aber
bestreitet, im Münchner Umland. An seinem Haus hängt das Wappen des
Königreichs Bayerns, eines, das Reichsbürger*innen nutzen. Über R. sagt
er: „Korrekter Typ. So wie ich.“
Als wir ankommen, sitzt der Mann, Stefan S., in einem Bagger und schiebt
Schnee beiseite. Als er fertig ist, fährt er damit in seine Lagerhalle,
neben dem Eingang hängt ein Gewehr und das Bild einer nackten Frau. S. ist
Zimmermann. Als im vergangenen Sommer die Ermittler*innen sein
Grundstück samt Lagerhalle durchsuchten, fanden sie eine Pistole in seinem
Auto. Klein genug, um in eine Damenhandtasche zu passen, sagt S. Illegal
genug, um ihn als Beschuldigten zu führen, sagen die Ermittler*innen.
Als sie ihn befragen, antwortete Stefan S. kaum. Uns erzählt er, wie er
Alexander R. 2016 bei einem Treffen in einem Gasthaus im Ort kennenlernte,
ein [4][Reichsbürger] hatte dort einen Vortrag über den „gelben Schein“
gehalten. Das ist ein Dokument, mit dem Behörden Deutschen im Ausland die
Staatsbürgerschaft bescheinigen. Inzwischen beantragen das auch
Reichsbürger, um aus der BRD auszusteigen. Klassische Ausweise wie den
Personalausweis lehnen sie ab, weil er sie als Angestellte der „BRD GmbH“
kennzeichne.
Recherchen der taz ergeben, dass neben Stefan S. mindestens ein weiterer
mutmaßlicher Waffenkäufer im Gasthaus anwesend war; der Referent des Abends
zählt sogar zum Kern von R.s mutmaßlicher Verkäufergruppe.
Die Ermittler*innen wissen nichts von diesem Treffen, erfahren wir. Sie
wissen nicht, ob an diesem Abend auch über Waffen gesprochen wurde. Oder ob
es darum ging, sich als Gruppe zu formieren. Dabei ist aus
Ermittler*innenkreisen auch zu hören, dass Alexander R. den Ertrag
aus dem Waffenhandel nutzen wollte, um eine neue politische Organisation
aufzubauen.
In einer kleinen Anfrage wollten die Grünen des Bayerischen Landtages
wissen, ob es sich bei den Waffenhändlern um eine kriminelle Vereinigung
handele. Das Bayerische Justizministerium wiegelt ab: „Nach derzeitigem
Erkenntnisstand ist dies nicht der Fall.“ Auf die Frage, zu welchem Zweck
die Gruppe in Bayern die Waffen verkaufte, antwortet das Ministerium nicht
– und verweist auf die laufenden Ermittlungen.
Bereits im April 2019 hat ein kroatisches Gericht insgesamt elf Personen
verurteilt, die in den internationalen Handel mit Kriegswaffen und Waffen
involviert waren. Der Prozess fördert einen entscheidenden Tipp zutage: Ein
Zeuge sagte, dass er wisse, an wen die Waffen gehen sollten: an die AfD.
## Im Bundestag
Tatsächlich finden sich unter den Beschuldigten neben Alexander R. noch
weitere AfD-Mitglieder und Sympathisanten der Partei. Eine Frau ist sogar
die Mitarbeiterin eines AfD-Bundestagsabgeordneten. Dagmar S. arbeitet im
Münchner Wahlkreisbüro von Petr Bystron.
Am 30. September 2016 schreibt Alexander R. eine Nachricht an einen seiner
Geschäftspartner: „Hast Du irgendwie die Möglichkeit bei Dagmar das
Getriebe und Drucker abzuholen? ich trau der irgendwie gar nicht mehr. die
macht Spielchen mit uns.“ Nun kann in solchen Nachrichten vieles stehen,
sie sind kein zweifelsfreier Beleg – doch das Justizministerium bestätigt:
Dagmar S. ist beschuldigt, zeitweise eine Kriegswaffe aufbewahrt zu haben.
Unsere Recherchen ergeben darüber hinaus: Mindestens einmal stellte sie
zudem einem potenziellen Käufer den Kontakt zu Alexander R. her, wie uns
dieser bestätigt. Trotzdem zählen die Ermittler*innen sie nicht zur
Kerngruppe.
Beinahe hätte Dagmar S. den Waffenhandelsring schon im August 2017
auffliegen lassen. Schon damals durchsuchten Ermittler*innen ihre
Wohnung – und fanden eine Pistole, die sie illegal erworben hatte. Kurz
darauf ist sie die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten. Sie selbst
möchte uns nichts über ihre Beziehung zu Alexander R. und den anderen
Beschuldigten sagen, nur so viel: Sie sei bestimmt nicht als
Waffenhändlerin durch Deutschland gezogen, und sie wolle mit der Sache
jetzt nichts mehr zu tun haben.
Ihr Chef, Petr Bystron, sitzt Anfang Februar auf einem Ledersofa vor dem
Plenarsaal im Bundestag. Er hat einem Gespräch zugestimmt, daraus zitieren
dürfen wir aber nicht. Bystron ist einer der Hardliner im Parlament, der
Verfassungsschutz hatte ihn 2017 schon beobachtet, bevor er Abgeordneter
wurde.
Später schickt Bystron ein Statement, indem er einen Gedanken aus dem
Gespräch aufgreift: Er glaube schon, dass durch Geflüchtete insbesondere
bei Frauen das Bedürfnis nach Schutz gestiegen sei. Er könne
nachvollziehen, wenn sie eine Waffe zur Selbstverteidigung besitzen
wollten. Er schreibt, rigide Waffengesetze seien schuld, wenn sie, auf der
Suche nach diesem Schutz, in die Fänge von Betrügern gerieten.
Was der Bundestagsabgeordnete Bystron sagt, gleicht der Angstpropaganda von
Pegida-Kundgebungen. Geflüchtete Menschen werden pauschal als Gefahr
dargestellt, gegen die man sich schützen muss, im Zweifel auch mit einer
illegal besorgten Waffe.
Dagmar S. schwieg damals bei den Ermittlungen über die Herkunft der
Pistole. Ein Gericht verurteilte sie wegen unerlaubtem Besitz und Führens
dieser halbautomatischen Kurzwaffe zu einer langen Bewährungsstrafe und
Sozialstunden.
Diese frühere Verurteilung wirft Fragen auf: Warum stießen die
Ermittler*innen nicht schon damals auf den Waffenhandelsring? Wurden
Alexander R. und die anderen durch die Ermittlungen gegen Dagmar S.
gewarnt? Ließen sie Waffen verschwinden?
Betrachtet man die bekannten Eckdaten des Falls, irritiert es, dass gleich
sechs Männer mit den Waffen gehandelt haben sollen, mindestens ein Dutzend
offenbar Interesse am Kauf hatten. Und wie wenige Waffen schließlich
sichergestellt wurden: ein Schießkugelschreiber, ein Elektroschockgerät,
eine Pumpgun, zwei Pistolen, ein paar Patronen, ein Schalldämpfer, eine
nicht zugelassene Gaspistole.
Was fehlt: Uzi-Maschinenpistolen, AK-47-Sturmgewehre, die Kriegswaffen
also, die R. und die anderen in ihren Verkaufsgesprächen Getriebe,
Kurbelwellen, Pumpen nannten. Haben die Ermittler*innen nicht alles
gefunden?
## Die Käufer*innen
Einmal verabredet sich ein damaliges AfD-Mitglied, das südlich von München
lebt, mit Alexander R. zum Waffenkauf. In den Nachrichten, die sich die
beiden 2016 und 2017 schreiben, vergisst der Mann manchmal die
Sprachregelung mit den Autoteilen und schreibt eindeutig von einer
„uzzi.mit Schuß“. Er verhandelt um Preise, fragt, ob er in Raten zahlen
kann oder mit seiner Taschenuhrsammlung, schiebt ein Treffen immer wieder
raus. Alexander R. schickt ihm die Adresse zu einem Treffpunkt, eine
Self-Storage-Lagerhalle in Hohenbrunn.
Die verzierten Fachwerkhäuser in dem Dorf am Fuße der Alpen, in dem der
Mann lebt, ruhen Ende Januar unter Schnee. Der Mann ist überrascht, als wir
bei ihm klingeln, um ihn nach dem Waffendeal zu fragen. Die Polizei war
nicht bei ihm. Er sagt, er habe in einer Facebook-Gruppe für Motorradfahrer
von R.s Waffen erfahren, weil Alexander R. sie dort angeboten habe.
Er erinnert sich an das Foto einer Maschinenpistole, an ein anderes, auf
dem ein Karabiner, ein historisches Gewehr, zu sehen gewesen sei. Deshalb
habe er Alexander R. geschrieben. Nur zum Treffen hingefahren sei er dann
nie – aus Angst, er könnte abgezogen werden. Und auch wegen seiner Frau:
„Wie soll ich ihr denn erklären, dass ich mit ’ner Knarre nach Hause
komme?“
Was der Mann nicht erklären kann: Was er mit der Waffe vorhatte. Einerseits
spricht er von Neugier, andererseits davon, dass er selbst nicht wisse, wo
man überhaupt mit einer Uzi schießen solle. Auf Merkel jedenfalls nicht.
Bislang hat die Polizei sich bei diesem Mann nicht gemeldet, auch das
Lagerhaus in Hohenbrunn hat sie sich nicht angeschaut.
Einer der Beschuldigten lebt in einem Schloss in Sachsen. Dort gäbe es
viele Orte, um Beweise zu verstecken, trotzdem durchforstete niemand das
ganze, teils baufällige Gebäudeensemble mit Motorradgarage und Werkstätten,
als das SEK im Sommer das Gelände stürmte. Lediglich die Wohnung des
Beschuldigten wurde durchsucht, und die Ermittler*innen zogen ziemlich
schnell wieder ab – so schildert es uns der Beschuldigte selbst bei einem
Gespräch.
Die Polizist*innen fragten ihn offenbar nicht nach den Waffenteilen,
die er aus Tschechien besorgen sollte oder wollte, da gehen die Aussagen
auseinander. Code laut Chatnachrichten: „Skodateile aus CZ“.
## Die Pläne
Die „Patriotischen Alternative“ um Alexander R. entstand zunächst in
Hessen, als eine Art Förderverein zur Unterstützung des rechtsextremen
Flügels der AfD um [5][Höcke]. Die Ermittler*innen glauben, dass mit
dem Geld aus den Waffenverkäufen ein bayerischer Landesverband dieser
Organisation aufgebaut werden sollte. In einer Facebook-Nachricht schreibt
Alexander R. Anfang 2017: „jetzt nur noch getriebe losbekommen und aufwärts
gehts“.
Unsere Recherche aber ergeben: Die Pläne hinter den Kulissen gingen weit
darüber hinaus: Es gehe darum, „zielorientiert und effizient Kräfte zu
Bündeln und Parallelstrukturen zu schaffen für nationale volksbewusste
Deutsche und Europäer“, so formuliert es Alexander R. in einem internen
Dokument. Deutsche Bürger sähen sich „immer mehr einer Diskriminierung und
Erpressung seitens des herrschenden Systems ausgesetzt“.
Die meisten in der Gruppe hatten sich damals, 2016, gerade erst
kennengelernt – auf Facebook, bei Pegida-Demos, bei Vortragsabenden oder
weil wohlmeinende Bekannte sie miteinander vernetzten. Sie planten,
deutsche Siedlungen in Ungarn, Russland und Kroatien aufzubauen, als
Rückzugsort „fernab von Gender-Mainstreaming und geschichtlicher
Indoktrinierung“.
Von Kampftrainings und Sicherheitsunternehmen ist in den Unterlagen und
Nachrichten die Rede, auch Observationen sollte Teil des Geschäfts sein.
Organisiert unter dem Deckmantel einer Tarnorganisation, die erst mal
unpolitisch daherkommt, mit dem Namen „Hexagon“.
Immer wieder lädt Alexander R. Personen, die er mal besser, mal flüchtiger
kennt, zu Vernetzungstreffen ein, etwa in die „Gedächtnisstätte
Guthmannshausen“ in Thüringen, einem Treffpunkt von
Holocaust-Leugner*innen. Es geht dabei um Rückzugsräume und auch
Krisenvorsorge. Eines dieser Treffen fand im Herbst 2016 im thüringischen
Suhl statt.
Geplant war, eine „gemeinschaftliche Aktions-Plattform“ zu schaffen, mit
der „Identitären Bewegung“ und der „Europäischen Aktion“, von der sich
führende Mitglieder in Österreich gerade wegen Terrors vor Gericht
verantworten müssen. Auch dabei: die „Patriotische Alternative“, ein
Zahnrad im rechtsextremen Getriebe.
Im März 2016 spricht Alexander R. den AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg
Müller bei einem Vortrag der AfD-Mittelstandsorganisation an. R. möchte mit
ihm Kupfer importieren, über Monate hinweg sondieren sie Preise, suchen
Abnehmer*innen, verhandeln. Das Geschäft wird nie abgeschlossen.
Eben jener Bundestagsabgeordnete unterstützt R. auch mit Kontakten. Er
vermittelt jemanden, der ebenfalls über „Fluchtburgen in Ungarn“ nachdenke,
so formuliert es Müller selbst in einer Mail. Ein anderes Mal schickt er
den Kontakt einer wohlhabenden Frau von der FPÖ, „wäre vielleicht jmd für
Euer Netzwerk“. Müller selbst gibt ihm 800 Euro. Eine Leihgabe, sagt Müller
auf Anfrage, als R. einmal pleite gewesen sei.
Eine Quittung dafür kann er nicht vorlegen, auch nicht plausibel erklären,
warum er dafür einen Blogger Geld nach Liechtenstein überweisen lässt, wie
es aus Mails hervorgeht. An Waffengeschäfte will sich Müller nicht
erinnern. Aber jetzt daran, dass R. ihm noch Geld schulde.
Und so schuldet Alexander R. vielen noch etwas. Der NPD zahlt er die Gebühr
für ein Videoseminar nicht vollständig, von einem Reichsbürger kauft er
Funktechnik, bezahlt aber nicht, sogar die AfD prellt er um Fahrtkosten und
Mitgliedsbeiträge. Kurz bevor Alexander R. ins Visier der
Ermittler*innen gerät, pendelt er zwischen seinem Leben als
Geschäftsmann in der Schweiz und in München, mal ist er Ehemann in
Kroatien, dann wieder in Österreich.
Die Tarnorganisation Hexagon wird nie formal im Handelsregister angemeldet,
stattdessen zieht sich R. Anfang 2017 aus dem Vorstand zurück. Dann bricht
er mit der AfD. In einer Facebooknachricht schreibt er: „Die AfD ist eine
vom System implementierte Partei der Plutokratie! Ich unterstütze sie
nicht!“ Und er fügt an: „Ich bin, war und bleibe Nationalist und
Sozialist!“
Dass Alexander R. nicht gefährlicher geworden ist, liegt nicht an
polizeilichen Ermittlungen, die ihn stoppten. Es liegt an seinem eigenen
Scheitern und daran, dass er viel will und dann alle Verbindungen kappt.
Oft ging es ums Geld. Fragt man die Personen von damals, wie ihre
Geschichte mit R. endete, antworten viele: Sie haben nichts mehr von ihm
gehört.
20 Feb 2021
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Fl%C3%BCgel
[2] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
[3] /Identitaere-Bewegung/!t5207749
[4] /taz-Serie-Die-Reichsbuerger/!t5352138
[5] /Bjoern-Hoecke/!t5008289
## AUTOREN
Christina Schmidt
Sebastian Erb
Luisa Kuhn
Doris Akrap
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