# taz.de -- Neuerscheinungen zum Thema Klimaschutz: Grünes Paradox | |
> Zwei Neuerscheinungen scheitern bei dem Versuch, Klimaschutz und | |
> ökonomische Theorie zu verbinden. Das ist der ganze Konflikt. | |
Bild: Der Staat muss die Preise für fossile Brennstoffe direkt festlegen und s… | |
Die Zeit drängt: Bis 2035 muss Deutschland fast klimaneutral sein, wenn wir | |
dazu beitragen wollen, dass sich die Erde nicht um mehr als 1,5 Grad | |
erhitzt. Aber was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Dieser Frage | |
widmen sich zwei Neuerscheinungen. | |
Da ist zunächst der Sammelband der „economists4future“: 25 deutsche | |
WirtschaftswissenschaftlerInnen beschreiben, wie sich ihr Fach wandeln | |
müsste, damit es die Klimakrise adäquat erfasst. Leider verbleiben die | |
meisten Texte auf einer abgehobenen Meta-Ebene und fordern, dass die | |
Ökonomie „pluralistisch“, „reflexiv“, „transparent“, „ganzheitli… | |
„interdisziplinär“ sein müsse. Das ist nicht falsch, wird aber durch | |
permanente Wiederholung nicht richtiger. | |
Einzig der kurze Text von [1][Helge Peukert] sticht heraus. Der | |
VWL-Professor aus Siegen legt knapp und übersichtlich dar, welche Theorien | |
es in der Ökonomie bisher gibt und wie sie auf die Klimakrise anwendbar | |
wären. Von der Institutionenökonomie bis zum Feminismus kommt alles vor. | |
Man hätte sich gewünscht, dass dieser kleine Text die Einleitung gewesen | |
wäre – und sich alle weiteren Autoren an die konkrete Arbeit gemacht | |
hätten, die Klimakrise ökonomisch auszuleuchten. Aber vielleicht kommt das | |
ja noch, es wäre zu hoffen. | |
## Keine tragfähigen Konzepte | |
Auch der einstige Chefökonom der Unctad (Welthandels- und | |
Entwicklungskonferenz), [2][Heiner Flassbeck], konstatiert, dass es bisher | |
keine tragfähigen Konzepte gibt, um die Klimakrise zu lösen. Also hat er | |
eine muntere Polemik verfasst, in der er unter anderem mit den Grünen, den | |
Neoliberalen und den „Energiewendevertretern“ abrechnet. | |
Flassbeck arbeitet dabei klar heraus, warum CO2-Steuern für Chaos auf den | |
Energiemärkten sorgen würden. Stattdessen muss der Staat die Preise für | |
fossile Brennstoffe direkt festlegen und Gas, Öl und Kohle beständig teurer | |
machen – so dass die Unternehmen berechenbar kalkulieren können und | |
zunehmend in erneuerbare Energien investieren. | |
Überzeugend ist auch, dass es eine globale Kooperation aller Länder | |
braucht. Würde nur Deutschland auf fossile Energie verzichten, würde | |
hierzulande zwar die Nachfrage nach Öl oder Gas sinken – aber die Folge | |
wäre, dass damit auch die Preise für fossile Energie nachgeben, was dann | |
andere Länder animieren dürfte, noch mehr Öl zu verbrauchen, weil es doch | |
so billig ist. | |
Flassbeck schreibt mit einem Furor, als hätte er als Einziger erkannt, dass | |
ausgerechnet Klimaschutz dazu führen kann, dass noch mehr Öl konsumiert | |
wird. Doch tatsächlich ist dieses „grüne Paradox“ so offensichtlich, dass | |
der neoliberale Ökonom Hans-Werner Sinn bereits 2008 dazu ein ganzes Buch | |
verfasst hat. Seltsamerweise kommt Sinn bei Flassbeck aber nirgends vor. | |
Dies ist nicht nur wissenschaftlich unredlich, sondern bringt die Leser um | |
die Erkenntnis, dass sich keynesianische und konservative Ökonomen | |
gelegentlich einig sind. | |
## Klimakrise unterschätzt | |
Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass Flassbeck die Klimakrise | |
unterschätzt. Frohgemut schreibt er: „Der Klimawandel wird in Zukunft unser | |
Leben auf die gleiche Weise bestimmen wie das Wetter heute, nämlich | |
eigentlich gar nicht.“ Überhaupt hält Flassbeck die Bewältigung des | |
Klimawandels für „ein intellektuell im Grunde wenig anspruchsvolles | |
Problem“. | |
Dieser Dünkel schadet dem Buch. Flassbeck ist ein bedeutender Ökonom, aber | |
beim Thema Klimaschutz bleibt er weit unter seinen Möglichkeiten. | |
13 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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