# taz.de -- Neue Bücher über globale Umweltfrage: Im Strudel der dreifachen �… | |
> Josef Settele und Frank Uekötter schreiben unterschiedlich über | |
> hochkomplexe Zusammenhänge. Beide vermeiden Sperrigkeit und Alarmismus. | |
Bild: Viele Arten sind in Mitteleuropa inzwischen sehr selten: eine Blattschnei… | |
Die ökologische Krise wird vielfach unterschätzt oder verdrängt. Sind | |
apokalyptische Storys über schutzlose Eisbären, vergiftete Bienen und | |
andere charismatische Protagonisten gar Teil des Problems? In Medien und | |
Alltag zumindest geht oft die Komplexität dahinter verloren. Zwei neue | |
Bücher wollen das ändern. | |
Das eine hat der Agrarbiologe und Schmetterlingsexperte Josef Settele | |
geschrieben. Es heißt „Die Triple-Krise: Artensterben, Klimawandel, | |
Pandemien“ und ist ein hochaktueller Bericht über den Zustand der Erde. | |
Darin bezieht sich der regierungsberatende Experte auf seine führende Rolle | |
beim [1][Report des Weltbiodiversitätsrats von 2019.] Dessen viel zitiertes | |
Hauptergebnis: Global sind eine Million Arten bedroht. | |
Artensterben, Klimawandel und Pandemien haben dieselben menschengemachten | |
Ursachen und schaukeln sich gegenseitig hoch, so Setteles eindringliche | |
Botschaft. Er beginnt mit einer dystopischen Fiktion fürs Jahr 2040: | |
Pflanzen werden manuell bestäubt und die Wälder sind wegen | |
[2][Krankheitserregern wie dem viel tödlicheren Covid-38] gesperrt. Das sei | |
„ziemlich unwissenschaftlich“, betont er jedoch und bleibt optimistisch. | |
Fortan wendet sich der Autor dem Forschungsstand zu und entfaltet dabei | |
seine Stärke. | |
Besonders bei seinem Spezialgebiet und dem Schwerpunkt des Buches – den | |
[3][Insekten und ihrem fataler Rückgang] – glänzt er mit Fachkenntnis und | |
Verständlichkeit. Nicht jede:r weiß, dass die unentbehrlichen Wildbienen | |
viel gefährdeter sind als die Honigbiene oder warum wärmeliebende | |
Schmetterlinge gerade durch den Klimawandel leiden. Wenngleich Settele | |
seine unstrittigen Forschungsverdienste weniger hätte betonen müssen, zeigt | |
er sympathischen Enthusiasmus, zum Beispiel, wenn er seine Anfänge als | |
Entomologe beschreibt. | |
## Kein Stein der Weisen | |
Der Spagat zwischen ökologischen Analysen und persönlichem Ton funktioniert | |
aber bei politischen Aussagen nicht immer. Das Augenmerk liegt hier auf | |
individuellem Konsum, etablierter Realpolitik und klassischem Naturschutz. | |
Reicht das wirklich, um der wissenschaftlich verbrieften Dringlichkeit | |
gerecht zu werden? Zumal nichtwestliche Perspektiven und soziale Fragen | |
unter den Tisch fallen. Zwar sei das Wirtschaftssystem zu hinterfragen; das | |
versandet jedoch im vagen Ruf nach nachhaltiger Versöhnung von Ökologie und | |
Ökonomie. Settele gibt letztlich zu, dass er keinen Stein der Weisen hat, | |
„nicht mal ein Kieselsteinchen“. | |
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt der Historiker Frank Uekötter mit „Im | |
Strudel. Eine Umweltgeschichte der modernen Welt“. In der ausgiebigen | |
Sammlung quellenbelegter Geschichten aus aller Welt konzentriert er sich | |
auf die Zeit von 1500 bis 1970. Einiges scheint zunächst gar nicht | |
ökologisch; es geht auch um Diskurse, Kulturen, Technologien, | |
Institutionen, Staat und Macht. | |
All das hängt zusammen, sagt Uekötter, der bereits mit Joachim Radkau über | |
[4][Naturschutz im Nationalsozialismus] veröffentlicht hat. Um die | |
resultierende Öko-Krise zu verstehen und anzugehen, seien historische | |
Einsichten unerlässlich. So sei weithin unbekannt, „in welchem Ausmaß die | |
heutige Umweltdebatte von der Vergangenheit geprägt ist“. Um letztere | |
abzubilden, hinterfragt er vieles, verfolgt keine klare These und lässt | |
Ambivalenzen wirken. | |
Auch um Eurozentrismus zu vermeiden, bemüht Uekötter seine | |
Strudel-Metapher. Durch sie soll Umweltgeschichte als „Strom“ mit vielen | |
gleichwertigen Facetten verstanden werden – ohne die Krise, ihre Ursachen | |
und Wirkungen oder auch ungleiche Verantwortung zu relativieren. In langen | |
Erklärungen, vor allem im Nachwort, gerät er zuweilen selbst ins Strudeln. | |
Mal versucht er es mit dem Soziologen Niklas Luhmann, dann schimmert | |
Kapitalismuskritik durch, aber nichts kommt so recht zusammen. | |
## Carl Schmitt, Dodos und essbare Kaulquappen | |
Dabei lenkt das von den Vorzügen des Buches ab. In den 41 Kapiteln finden | |
sich faszinierende Ausführungen über einen sentimentalen Wal-Fan namens | |
Carl Schmitt oder den Dodo als Projektionsfläche und eine schräge Studie | |
zur kulinarischen Eignung von Kaulquappen. | |
Ein riesiger Schiffsfriedhof in Bangladesch als Rückseite des Welthandels | |
ist der Einstieg in die Globalgeschichte des Mülls; man lernt per Ausflug | |
zum südafrikanischen Kruger-Nationalpark, wie verflochten Naturschutz und | |
territoriale Macht sind oder anhand der Geschichte des Guano-Düngers, wie | |
die US-Fleischindustrie mit Perus Schwenk von Vogelschutz zu | |
Fischmehlexport verquickt ist. Und wer noch nicht über die Interaktion von | |
Klimaanlagen und Menschenkörpern nachgedacht hat, wird dazu eingeladen. | |
Man sollte Uekötters Aufforderung ernst nehmen, den eigenen Lesepfad zu | |
finden. Da funktioniert seine „Chaos-Methode“ des nichtlinearen Erzählens | |
nämlich: Wählt man einen der vorgeschlagenen Wege oder hangelt sich entlang | |
der vielen Querverweise, kommt man in den Genuss detailreichen Wissens und | |
einer eleganten Schreibe. Darin stecken unerwartete Wendungen, | |
klug-trockener Humor und kunstvoll frustrierende Pointen. | |
So wird auch hier klar: Es gibt keinen einfachen Ausweg. Insofern sind | |
beide Bücher sehr unterschiedliche, einander aber gut ergänzende Dokumente | |
der Ratlosigkeit im besten Sinne – ausgeruht, informativ, lesenswert. | |
21 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ipbes.net/global-assessment | |
[2] /Biologin-ueber-Pandemien/!5675740 | |
[3] /Agrarministerium-plant-Insektenschutz/!5733727 | |
[4] /BUND-arbeitet-Geschichte-auf/!5057758 | |
## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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