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# taz.de -- Über den Marktwert der Rohstoffe: Reichtum der Natur
> Über die leichtesten Federn der Welt und Kaffee, der aus der Katzenkacke
> kam: Edward Posnett spürt der Ausbeutung der Natur nach.
Bild: Eine Eiderdaunenente auf Island in ihrer Schutzhütte
Die Welt ist voller erstaunlicher Dinge, kleiner Wunderwerke der Natur, von
denen wir viele in unserem Leben nie mit eigenen Augen zu sehen bekommen.
Doch es gibt Menschen, die raren Dingen hinterherjagen, um sie zu sammeln.
Und dann andere, die das Sammeln edler Rohstoffe in einem Maßstab
betreiben, der ihnen größtmöglichen Profit beschert.
Der britische Autor Edward Posnett, der mit „Die Kunst der Ernte“ sein
Buchdebüt vorlegt, ist beruflich lange mit der Beobachtung solchen – oft
Verderben bringenden – Gewinnstrebens beschäftigt gewesen. Von seinem
Büroschreibtisch im Londoner Canary-Wharf-Distrikt aus analysierte er den
Fluss von Finanzströmen. Und es ist dieser am Bewusstsein für den Marktwert
jedes Rohstoffs geschulte Blick, der die Perspektive seines Buches bestimmt
– gepaart mit Trauer darüber, dass menschliche Gier immer wieder dazu
führt, natürliche Ressourcen bis zu ihrer Zerstörung auszubeuten.
Alles fing damit an, dass Posnett auf die Eiderdaunengewinnung in Island
aufmerksam wurde. Dort lassen sich alljährlich große Kolonien von
Eiderenten zum Brüten nieder. Die Entenmütter pflegen sich Federn aus ihrem
Brustgefieder zu reißen, um damit die Nester auszupolstern und gegen die
Kälte zu isolieren. Die sehr feinen, sehr kleinen Daunen sind aufgrund
ihrer besonderen Struktur so beschaffen, dass sie maximalen Kälteschutz bei
minimaler Masse bieten. Mit reinen Eiderdaunen gefüllte Decken oder Jacken
sind Luxuswaren.
Auf Island, so beschreibt Posnett es, habe sich über die Jahrhunderte eine
Tradition der nachhaltigen Eiderdaunenernte entwickelt und erhalten, die
auf einer Art gegenseitiger Win-win-Situation beruht, allerdings auch nicht
ganz ohne gewalttätige Eingriffe in den natürlichen Kreislauf der Natur
bleibt.
## Der Polarfuchs und der Nachtschlaf
Der auf Island ebenfalls heimische Polarfuchs frisst nämlich sehr gern
Eiderenten und muss daran unter allen Umständen gehindert werden, solange
die Vögel brüten. Daher verzichten die Entenbauern wochenlang auf
geregelten Nachtschlaf, um auf Patrouille zu gehen und hungrige Füchse zu
schießen. Die Enten honorieren das Liquidieren ihrer Fressfeinde damit,
dass sie jedes Jahr wieder in der direkten Nähe der Höfe nisten, wo sie
zuvor gut beschützt worden waren.
Sobald die Jungen groß genug sind, die Nester zu verlassen, ziehen die
Vögel weiter, und die Menschen ernten die Daunen (wobei es auch solche
gebe, die den Küken vorher schon die wärmenden Federn aus dem Nest klauen,
gibt Posnett zu), die anschließend einem aufwendigen Reinigungsprozess
unterzogen werden müssen.
Mit seinem Bericht über die isländische Eiderdaunenernte gewann der Autor
einen Essaywettbewerb der Financial Times und beschloss danach, ermutigt
von seinem Agenten, das Thema zu einem Buch zu erweitern. Es folgten
Recherchereisen in verschiedene Weltgegenden, wo Posnett anderen raren
Rohstoffen nachspürte, darunter einer hochpreisigen Kaffeesorte, gewonnen
aus Kaffeebohnen, die vorher den Darm der Zibetkatze passiert haben.
In Indonesien besuchte er Höhlen, in denen in schwindelnder Höhe Salanganen
nisten, jene Vögel, deren aus Speichel hergestellte Nester in der
ostasiatischen Küche als Köstlichkeit gelten. Auf Sardinien ging er den
Geschichten nach, die um die Muschelseide gesponnen werden, einen besonders
seltenen Rohstoff, der insofern als historisch gelten muss, als der Abbau
der Seidenfäden produzierenden Muschelart Pinna nobilis inzwischen verboten
wurde, und um dessen historische Ausdeutung ein regelrechter Kampf
entbrannt ist.
## Die Gesundheit der Arbeiter
In Lateinamerika beobachtete Posnett, wie wildlebende Vikunjas zur Schur
ihres seidenweichen Fells eingefangen werden, und besuchte eine Insel vor
der Küste Perus, auf der einst unfassbare Mengen Guano abgebaut wurden, was
einen britischen Kapitalisten unermesslich reich machte, während es viele
Arbeiter die Gesundheit oder sogar das Leben kostete.
Der Detailreichtum von Posnetts Recherchen ist erstaunlich und der
Informationsgehalt des Buches insgesamt enorm. Auf manchen an sich
informativen Seitenpfad hätte einer größeren Übersichtlichkeit wegen
vielleicht verzichtet werden können; und wo Posnett eigene Reiseerlebnisse
nacherzählt, hätte ein lebendigerer Erzählduktus nicht geschadet. Aber
unter dem Strich ergibt das einen zu verschmerzenden kleinen Abzug in der
B-Note für ein Buch, das durchaus dazu beitragen kann, unseren Blick auf
die Welt zu verändern: den Wunsch zu verstärken, sie zu erhalten. Auch um
den Preis geringeren Profits.
4 Feb 2021
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Natur
Ökonomie
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