# taz.de -- NS-Belastung an Hochschulen: Erschreckende Zahlen | |
> Als erste deutsche Hochschule prüft die Uni Hannover systematisch die | |
> NS-Vergangenheit ihres akademischen Personals. Die Ergebnisse sind | |
> düster. | |
Bild: 70 Prozent der Rektoren an der Uni Hannover hatten zwischen 1945 und 1975… | |
BERLIN taz | Da ist zum Beispiel Professor Wilhelm Wortmann, geboren im | |
Jahre 1897. 1933 war er förderndes Mitglied der SS und zeitweise | |
unterstützendes SA-Mitglied. 1937 erfolgte sein Eintritt in die NSDAP. Im | |
Jahr 1942 avancierte Wortmann zum kommissarischen Leiter der Stelle Wohnung | |
und Siedlung im Rassepolitischen Amt der Partei. 1943 betonte er in einem | |
Aufsatz die grundlegende Bedeutung von „Blut“ und „Rasse“ und kam zu dem | |
Schluss: „Eine Mischung des deutschen mit dem rassefremden Blut ist auf | |
alle Fälle zu vermeiden, da sie unweigerlich letzten Endes zur | |
Leistungsminderung führt.“ | |
Man sollte meinen, eine solche Karriere verbiete eine anschließende | |
Beschäftigung als Professor an einer Universität. Tatsächlich wurde der | |
Oberbaurat 1945 von der US-Militärregierung in Deutschland entlassen, sein | |
Antrag auf Wiedereinstellung als Baudirektor in Bremen zwei Jahre später | |
abgelehnt. Nicht anders erging es damals 13 Professoren an der Technischen | |
Hochschule (TH) Hannover – sie wurden 1945/46 wegen erheblicher | |
Verstrickungen im NS-Staat aus der Uni entfernt. Doch bald wehte ein | |
anderer Wind. Der Kalte Krieg hatte begonnen, die Bundesrepublik genoss | |
eine eingeschränkte Souveränität. Eine NS-Vergangenheit war [1][nicht mehr | |
so wichtig.] | |
Schon in den 1950ern erhielt Wortmann einen Lehrstuhl für Städtebau, | |
Wohnungswesen und Landesplanung an der TH Hannover. Von 1963 bis 1965, dem | |
Jahr seiner Emeritierung, wirkte er als geachteter Direktor dieses | |
Instituts, 1964/65 war er zugleich Dekan der Fakultät. Seine | |
Veröffentlichungen zwischen 1933 und 1945 ließ Wortmann bei dieser Karriere | |
unter den Tisch fallen. | |
Der Aufstieg des 1995 Verstorbenen steht exemplarisch für die Mehrheit der | |
Professoren an der TH Hannover, die inzwischen Leibniz Universität heißt. | |
Sie zählt zugleich zu den verborgenen Biografien deutscher Wissenschaftler | |
in der Nachkriegszeit. Denn bisher hat keine bundesdeutsche Hochschule eine | |
systematische Untersuchung der NS-Belastung ihres akademischen Personals | |
gewagt. Die Leibniz Universität [2][hat nun einen solchen Schritt getan] – | |
mit eindeutigen Ergebnissen. | |
Fast Dreiviertel waren belastet | |
Zwischen 1945 und 1957 waren demnach unter den Professoren der TH Hannover | |
53 Prozent „substantiell belastet“, das heißt, sie waren eingeschriebene | |
Mitglieder von NSDAP, SS oder SA. Weitere 21 Prozent gelten als „formal | |
belastet“, wie es in der [3][kürzlich veröffentlichten Studie] „Eine neue | |
Zeit. Ein neuer Geist? Eine Untersuchung über die NS-Belastung der nach | |
1945 an der Technischen Hochschule Hannover tätigen Professoren unter | |
besonderer Berücksichtigung der Rektoren und Senatsmitglieder“ heißt. | |
Die Beschäftigung ehemaliger Nationalsozialisten blieb keine Angelegenheit | |
der 1950er Jahre: Von 1945 bis 1978 lag der Anteil der substantiell | |
belasteten Hochschullehrer noch immer bei 38 Prozent. | |
Und: Der Fisch stank vom Kopf her. 70 Prozent der Rektoren an der | |
Technischen Hochschule Hannover hatten zwischen 1945 und 1975 eine | |
einschlägige NS-Vergangenheit, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass der | |
Anteil von NSDAP-Mitgliedern in der gesamten erwachsenen deutschen | |
Bevölkerung wesentlich geringer ausfiel. Nur zwei der 20 Rektoren im | |
Zeitraum zwischen 1945 und 1978 hatten sich von jeglichen NS-Organisationen | |
ferngehalten. | |
Die der Studie beigefügten Kurzbiografien der Professorenschaft nach dem | |
Zweiten Weltkrieg machen das ganze Elend der „Vergangenheitsbewältigung“ in | |
der jungen Bundesrepublik deutlich – es gab sie kaum. Stattdessen konnten | |
Wissenschaftler ungeachtet ihrer NS-Verstrickungen Karriere machen. Unter | |
ihnen waren sicher auch kleine Fische. Aber eben auch Personen, die den | |
Massenmord an Juden in Osteuropa vorangetrieben hatten. | |
Dazu zählt etwa ein gewisser Konrad Meyer. Zwischen 1956 und 1968 wirkte | |
Meyer als ordentlicher Professor für Landesplanung und Raumforschung. Davor | |
aber zählte er im Rang eines SS-Oberführers und im Auftrag von Heinrich | |
Himmler zu den Autoren des „Generalplan Ost“, der zugleich die | |
„Germanisierung“, Vertreibung und Ermordung der einheimischen Bevölkerung | |
in Teilen Osteuropas vorsah. Es hat ihm nicht geschadet. | |
27 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /NS-Anhaenger-als-Namensgeber/!5661249 | |
[2] /Historiker-ueber-Professoren-nach-1945/!5725659 | |
[3] https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/profil/geschichte/aufarbeitung-… | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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