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# taz.de -- Ehemalige NS-Lehranstalt in Haselünne: Abriss statt Erinnerung
> Im Emsland sind die meisten Zeugnisse der NS-Herrschaft beseitigt worden.
> Jetzt soll ein Gebäude weichen, das Teil des Napola-Netzwerks war.
Bild: Ist nicht baufällig, soll aber trotzdem weg: ehemalige NS-Lehranstalt im…
Osnabrück taz | Josef Rosche ist ein Mann der klaren Worte: „Das Kind ist
schon tief im Brunnen“, sagt er. „Es ist nur noch nicht unten
aufgeschlagen.“ Viel Hoffnung, dass „das dünne Band nicht reißt, an dem w…
es derzeit noch halten“, hat er nicht.
Es geht um den Altbau des Kreisgymnasiums St. Ursula in Haselünne. Anfang
Oktober 2020 hat der Kreisausschuss des Landkreises Emsland seinen Abriss
beschlossen, nichtöffentlich. „Gebäude A“ soll weg, Kosten 350.000 Euro.
Ein Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses, eingebracht von der
SPD-Kreistagsfraktion für die Kreistagssitzung am Montag, wurde von Landrat
Marc-André Burgdorf (CDU) abgewehrt: Es seien „keine triftigen Argumente
hinzugekommen“. Die Abrissarbeiten sind ausgeschrieben.
„Mich wundert, ehrlich gesagt, dass das Ding überhaupt noch steht“, sagt
Carsten Primke, Vize-Fraktionschef der Kreistags-SPD. „Das wurde ja alles
im Hauruckverfahren durchgeprügelt. Fatal. Gerade in Zeiten
wiedererstarkenden rechten Gedankenguts sind solche Orte wichtiger denn
je.“
Rosche sieht das genauso. „Was hier geschieht, tut richtig weh“, sagt er.
„Ich kenne viele, denen das den Schlaf raubt.“ Rosche engagiert sich sowohl
im Heimatverein Haselünne als auch in der Initiative zum Erhalt des
Schulaltbaus am Kreisgymnasium St. Ursula. Beide kämpfen für den Erhalt des
geschichtsträchtigen, allerdings nicht denkmalgeschützten Gebäudes.
Von 1941 bis 1945 war die einstige Ursulinen-Klosterschule Teil des
Napola-Netzwerks, also eine „Nationalpolitische Lehranstalt“ für
uniformierte, paramilitärische „Jungmannen“, die zur Elite des
„Führernachwuchses“ des NS-Regimes erzogen werden sollten. Sollte Gebäude…
abgerissen werden, würde mit ihm eines der letzten baulichen Zeugnisse der
NS-Herrschaftsinfrastruktur im Emsland beseitigt.
„Mit Ignoranz allein ist das nicht zu erklären“, sagt Rosche. „Das Gebä…
verweist ja nicht nur auf Jahrhunderte der Klostergeschichte, prägt das
Ortsbild und ist der historische Kern der Schule. Das hat doch
Mahnmalcharakter.“ Baufällig ist der monumentale Viergeschosser von 1910
nicht. Er soll nur weg. Ersatzlos. Für einen „campusähnlichen Schulhof“.
Mitte Juli 1941 vertrieb ein Gestapo-Kommando die Nonnen aus ihrer Schule,
80 Jahre danach könnte der Ort eingeebnet sein.
Andreas Lembeck, ehemaliges Vorstandsmitglied des Aktionskomitees
Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager, sieht darin ein
„destruktives Geschichtsverständnis“, zumal von den 15 NS-Konzentrations-,
Straf- und Kriegsgefangenenlagern des Emslands baulich nicht viel geblieben
ist.
Landrat Burgdorf gibt sich dagegen formalistisch: Das Gebäude werde „nicht
mehr für den Schulbetrieb benötigt“. Durch seine Lage inmitten des
Schulgeländes behindere es „die weitere Entwicklung der Schule“.
Schulleitung und Schulvorstand, damit auch Lehrer-, Eltern- und
Schülervertreter, hätten sich „ausdrücklich für einen Abriss
ausgesprochen“.
Man mache „die Erinnerungskultur nicht am Gebäude fest“, sagt Burgdorf. Im
Lehrplan der Schule werde die Geschichte des Gymnasiums behandelt. Die am
Altbau befestigte Erinnerungstafel an die Napola werde „an einer geeigneten
Stelle auf dem Schulgelände platziert“. Außerdem gebe es ja die
Gedenkstätte Esterwegen. Der Landkreis habe „damit einen Gedenkort
geschaffen, der vom Selbstverständnis her ‚Lernort‘ für alle“ sei.
Die Schule, in Trägerschaft des Landkreises, behauptet auf ihrer Website
zwar, hier habe „Geschichte eine große Bedeutung“, hier entstehe
„Geschichtswissen durch lokale Spurensuche“. Aber das schließt das eigene
Schulgebäude offenbar nicht ein. Schulleiter Norbert Schlee-Schüler, von
der taz um Kommentierung gebeten, schweigt und verweist auf den Landkreis.
Nutzungskonzepte für das Gebäude, das, so Lembeck, „fast noch original
erhalten ist wie in Napola-Tagen“, gibt es viele. „Das ist doch eine
Riesenchance“, bestätigt Rosche. “Artists in residence“ waren im Gesprä…
im Zeichensaal im Dachgeschoss, in dem schon Horst Janssen zeichnen lernte,
in seiner Napola-Zeit. Ein kommunales Jugendzentrum war im Gespräch, ein
Dokumentations- und Informationszentrum „Schule im Nationalsozialismus“,
ein Heimatarchiv. Es half alles nichts.
Aber noch gibt es Hoffnung. Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten aus
Celle, „leider erst kurz vor Abriss ins Boot geholt“, so Jens Binner,
Leitung Kommunikation, hat beim Kultusministerium ein Moratorium angeregt,
„eine Prüfung, ob im Entscheidungsprozess die Napola-Thematik ausreichend
berücksichtigt wurde“. Ein solches Gebäude könne „ein hervorragender
Ausgangspunkt für Bildungsarbeit zur NS-Zeit sein“. Je weniger Zeitzeugen
es gebe, desto wichtiger seien Original-Orte, so Binner, „mit all ihrer
Aura“. Ginge es nach Burgdorf, bliebe nichts von ihr.
19 Jan 2021
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Emsland
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
NS-Dokumentationszentrum
Mahnmal
Aachen
Leibniz Universität Hannover
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