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# taz.de -- Obdachlosigkeit im Winter: Gegen das Sterben auf der Straße
> Tausende in Deutschland frieren auf der Straße, dabei gibt es leere
> Betten en masse. „Öffnet jetzt die Hotels für Obdachlose!“ fordert nun
> eine Petition.
Bild: Ein Hotel wäre definitiv besser: obdachlos in Köln
Wie viele obdachlose Menschen in Deutschland leben, ist unbekannt,
statistische Erhebungen darüber gibt es nicht. Ebenso wenig über die Dauer
und Ursachen von Obdachlosigkeit oder die Anzahl von Erfrierungstoten. Wer
sich mit dem Thema auseinandersetzt, hat das Gefühl, auf einen blinden
Fleck zu stoßen.
Eine Situation, die sich durch die Coronakrise noch mal verschlechtert hat:
Essens- und Beratungsangebote fallen gerade ebenso weg wie Spenden, die
Bedingungen für Flaschensammeln und Betteln haben sich erschwert. Allein in
Hamburg sind seit Dezember 13 Menschen auf der Straße gestorben,
gleichzeitig stehen seit dem zweiten Lockdown Tausende Hotels und Pensionen
leer.
Diesem unerträglichen Missstand würden die deutschen Straßenzeitungen
Asphalt, BISS, bodo, Donaustrudl, Draußen!, Draussenseiter, fiftyfifty,
Hinz&Kunzt, Jerusalëmmer, KiPPE, Straßenkreuzer, Strohhalm und Trott-war
nur allzu gern ein Ende bereiten.
Mit ihrer Petition „Gegen das Sterben auf der Straße: Öffnet jetzt die
Hotels für Obdachlose!“ wenden sie sich direkt an die Länderchefs. Offene
Hotels sehen sie als Win-win-Situation: So wäre nicht nur den Menschen auf
der Straße geholfen, auch die Hotels könnten ihr Geld mit echten Gästen
verdienen, statt allein auf Nothilfen angewiesen zu sein. Bis
Donnerstagnachmittag haben die Petition bei change.org 4.543 Menschen
unterschrieben.
## „Unhaltbare Zustände müssen an die große Glocke!“
Ins Netz gestellt hat sie Volker Macke, Chefredakteur des Asphalt-Magazins
in Hannover. „Die Menschen sterben aktuell auf der Straße“, warnt auch er.
Oft würden sie an ihren Krankheiten sterben, manchmal erfrören sie aber
auch. Gerade werde in Hannover ein Mann obduziert, der wahrscheinlich
gestorben sei, weil er aus einer überdachten U-Bahn-Station in die Kälte
getrieben wurde.
„Diese unhaltbaren Zustände müssen an die große Glocke!“, sagt Macke und
berichtet von einem Modellprojekt namens „Plan B – OK“, das 21 Hannoveran…
Obdachlose von der Straße holen soll. Dies sei zwar toll, sagt er, aber bei
bis zu 400 Obdachlosen auf Hannovers Straßen viel zu wenig. Auch dass
dieses Projekt durch Spenden mitfinanziert wurde, sei absurd: „Schließlich
ist Gefahrenabwehr eine staatliche Aufgabe.“
Jörg Richert, Gründer der Berliner Sozialgenossenschaft Karuna, hätte
deshalb am liebsten auch ein bundesweites Programm, das die kommunale
Unterbringung von Obdachlosen in Hotels sicherstellt. Auch Werena Rosenke,
Geschäftsführerin bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, ist
der Ansicht, dass die Bundesregierung die durch die Coronapandemie immer
prekärer werdende Lebenslage wohnungsloser Menschen nicht genug auf dem
Schirm hat.
Fragt man hingegen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach, heißt
es, dass die Unterbringung und Versorgung der Obdachlosen im
Zuständigkeitsbereich der Kommunen liege – dies schließe auch ihre
Versorgung während der Pandemie mit ein.
Hinsichtlich der Hotelöffnungen für Obdachlose hält sich die Berliner
Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Elke Breitenbach (Die Linke)
jedoch bedeckt. „Wir haben im Rahmen der Kältehilfe zusätzlich drei Hostels
für obdachlose Menschen geöffnet und auch zuvor schon mehrere
24/7-Unterkünfte mit sozialer Beratung, Vollverpflegung und passender
Infrastruktur geschaffen“, sagt sie.
Darüber hinaus unterstütze man die Bezirke dabei, weitere dauerhafte
Unterkünfte einzurichten. „Unser Ziel ist es, obdachlose Menschen in
Wohnungen unterzubringen.“ Dafür sei das Modellprojekt „Housing First“ d…
richtige Weg.
Eine schnelle unbürokratische Hilfe in Deutschland sähe anders aus.
30 Jan 2021
## AUTOREN
Lea Schulze
## TAGS
Obdachlosigkeit
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