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# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Ein anderes Gestern
> Soundkünstler Emeka Ogboh bringt ein Album beim Berghain-Label A-Ton
> heraus, Stephanie Comilang verknüpft 1886 mit 2017 und Ariel Reichman
> verlinkt das Publikum mit LEDs.
Bild: Stephanie Comilang, „Yesterday in the Years 1886 & 2017“ (video still)
Es war einmal, da machten wir uns an solch regenverhangenen
Sonntagnachmittagen im Januar, wie der letzte einer war, auf in den Club.
Durch den winterlichen Dunst, der Fernsehturm und Bauzäune gleichermaßen in
ein Grau hüllte, in den noch dichteren Dunst des Berghains, der die vielen
Menschen auf der Tanzfläche nur noch erahnen ließ. Den Rest überließen wir
dann dem Zufall und dem Bass.
An diesem Sonntag im Pandemiewinter aber sind die Menschen weit auf dem
neuen Schlossplatz verstreut und werden auf dem nassen Asphalt nur noch zu
Strichen. Würde [1][Emeka Ogbohs] geplante Soundinstallation schon vom Dach
des Humboldt Forums ein nigerianisches Volkslied leise hinunter zum
neubarocken Schlossplatz schallen, die Striche würden vielleicht verlegen
zu tänzeln beginnen. Der in Berlin und Lagos lebende Ogboh, der ohne
Berührungsängste Hoch-und Subkultur in seiner Installations- und Soundkunst
verbindet, kann Orte unterwandern, sie mit (auch ungewollter) Erinnerung
überlagern.
Seine Kunst am Bau für das Schloss wird womöglich ein akustischer Bruch,
das Album hingegen, das Ogboh vor ein paar Tagen beim [2][Berghain-Label
A-Ton] veröffentlichte, ist eine akustische Symbiose. Die Bässe und tiefen
getragenen Synthies, die an anderen Tagen aus den ikonischen
Funktion-One-Boxen des Clubs schallen könnten, vermengen sich darin mit dem
atmosphären Wirbel der Megastadt Lagos.
Hupen, Motorgeräusche, Handyklingeln, Verkaufsgespräche, das Türklacken der
Minibusse arrangiert Ogboh zu der dunklen Verheißung des Berghain-Sounds.
Kopfhörer auf und man meint, an diesem Sonntagnachmittag unter der akkurat
kopierten Justitia des Schlüterhofes einen Danfo-Bus zu sehen, der einen
über den Freeway von Lagos nach Lakki bringt – oder eben dahin, wo der Bass
die Busfahrerin hintreibt.
## Gestern war ein anderes Gestern
“I close one Eye, and I am here. I close the other, and I am there.“: Den
Schwebezustand zwischen Orten und Identitäten beschreibt auch die
kanadische Künstlerin [3][Stephanie Comilang] in ihrem Film „Yesterday in
the Years 1886 & 2017“. Der Projektraum [4][The Institute for Endotic
Research] zeigt gerade die 2-Kanal-Videoinstallation, auch über seine
Webseite. Eine lyrische Stimme aus dem Off verbindet darin die Leben zweier
Personen, die beide von den Philippinen kommen und nach Berlin kamen:
Lourdes Lareza Müller und José Rizal. Müller lebt seit den 1960er Jahren in
Berlin, arbeitete 28 Jahre in der Staatsbibliothek. Rizal hingegen war im
späten 19. Jahrhundert Wissenschaftler, Dichter und Vordenker der
philipinischen Unabhängigkeitsbewegung.
Mit einfachen Aufnahmen vom Wohnhaus Müllers, über deutsche Felder bis zu
einer kuriosen José Rizal-Statue in Wilhelmsfeld bei Heidelberg, überlagert
Comilang Gegenwart, Erinnerung und Gedenken zweier Personen zwischen den
Sphären.
Es ist seltsam während dieses Sonntagsspaziergangs um die ganze Kunst zu
wissen, die gerade hinter grau verhangenen Fassaden darauf wartet
angeschaut zu werden, aber niemand kann sie sehen. „I AM SAFE“, leuchtet es
dann in eisblauen LED-Lettern durch den Januardunst zum Schöneberger Ufer
rüber. Wenn jetzt jemand in den dahinter gelegenen Galerieräumen von PSM
auf einen Knopf drücken würde, könnte aus dem „I AM SAFE“ ein „I AM NOT
SAFE“ werden. [5][Ariel Reichman] tritt mit dieser Lichtinstallation von
seiner derzeit unbesuchbaren Einzelausstellung auf die Straße. Drinnen –
das ist auf der Website der Galerie nachzusehen – zeigt Reichman eine Reihe
bunter geometrischer Malereien und Graphitzeichnungen.
Die Motive für seine Abstraktionen entnahm er den Insignien des
israelischen Militärs und den berühmten Blättern „Desastres de la guerra“
(1810-1814) von Francisco de Goya. Jede Andeutung von Krieg löschte er
allerdings aus seinen Kopien heraus. Es entstanden heitere, zuweilen
romantische Landschaften.
Trügt der Schein? Die Frage stellt uns der israelisch-südafrikanische
Reichman bereits auf der Straße. „I AM SAFE“ or „NOT“ kann man dann au…
per Online-Button ([6][iamnotsafe.digital]) beantworten – und sich an
diesem Pandemiesonntag einsam über das LED-Blinken am Schöneberger Ufer
selber zuwinken. So viel Leichtigkeit erlaubt Reichmans Arbeit trotz
hintergründiger Schwere.
26 Jan 2021
## LINKS
[1] http://emekaogboh.art/news/
[2] https://www.berghain.berlin/en/shop/releases/beyondtheyellowhaze/
[3] http://www.cometomeparadise.com/
[4] http://theinstituteforendoticresearch.org/
[5] https://www.psm-gallery.com/artists/ariel-reichman/
[6] https://iamnotsafe.digital/
## AUTOREN
Sophie Jung
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