# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Alte und neue Krisen | |
> Die seltsame Pandemiezeit spiegelt sich in der Ausstellung „How to human“ | |
> wie auch der Kunst von Cytter / Roebas. Sergej Jensen bleibt indes | |
> abstrakt. | |
Bild: Hängen notgegrunden gemeinsam ab: Die beiden Knuddelwesen von Cytter/Roe… | |
Im April dieses Jahres, als sich die ganze Welt in ihre Wohnungen zurückzog | |
und aus den Radios in allen Sprachen nur noch die neuesten | |
Coronainfektionszahlen gemeldet wurden, da zog [1][Masha Gessen] in ihrer | |
Kolumne für den New Yorker Parallelen zwischen der aktuellen Covid-19-Krise | |
und der HIV-Epidemie in den früheren 1990er Jahren: „Es gibt keinen | |
Vergleich. Aber natürlich vergleichen wir weiter, weil Aids eine globale | |
Pandemie war, die Millionen von Menschen getötet hat, und wegen dieser | |
Mischung aus Trauer und Angst, die sich heute so vertraut anfühlt“. | |
Als eine von neun Künstler:innen, die Galeristin [2][Tanja Wagner] gerade | |
zu ihrem zehnjährigen Bestehen unter dem Titel „How to human“ versammelt, | |
zeigt Lina Scheynius Fotografien von ihrem leeren Bett. Vier sanfte | |
Aufnahmen von einem noch zerknüllten Kissen im trügerischen Morgenlicht | |
dieses Lockdown-Frühlings. Der Blick darauf schien ihr „extrem derzeitig“. | |
Scheynius, eine viel postende Instagram-Nutzerin, muss das geradezu | |
ikonische Bild eines anderen leeren Bettes kennen, mit dem der | |
kubanisch-amerikanische Künstler Félix González-Torres 1991 versuchte, der | |
Tragik der Aids-Epidemie öffentlich Ausdruck zu verleihen: Auf Plakatwänden | |
in New York City zeigte er die ebenso sanfte und zugleich hart | |
konfrontative Aufnahme von der Leere in seinem Bett, die sein am HIV-Virus | |
verstorbener Lebenspartner hinterlassen hatte. | |
Und so vermengen sich in der Betrachtung der Videos, Fotos, Malereien und | |
Installationen, mit denen sich die neun Künstler:innen in der Galerie Tanja | |
Wagner an diese seltsame Zeit der Coronapandemie annähern, unweigerlich | |
auch [3][die alten und neuen Krisen]. | |
Kunst aus dem Schlafzimmer | |
Es sind vielmehr die inneren Krisen, die Keren Cytter in ihren Büchern, | |
Filmen und Theaterstücken zu absurden wie melancholischen Geschichten | |
verarbeitet. Gemeinsam mit John Roebas übersetzt sie diese Erzählungen in | |
Rauminstallationen, wie jetzt mit „Softpop II“ bei [4][Schiefe Zähne]. | |
Cytter /Roebas – wie sich die beiden offiziell als Duo bezeichnen – zeigen | |
in dem kleinen Hinterhofraum so etwas wie die bildhauerische Variante einer | |
Bedroom Production aus der Popmusik: Mit den Dingen, die das Schlafzimmer | |
so bietet, den Billigschmuck-Ketten, den Kissen, dem Nähzeugs, all dem | |
Nippes, haben sie eine grotesk-melancholische Szene aufgebaut, auf der sich | |
die psychologische Ambivalenz der Großstadt-Einzimmerwohnung nur so | |
spiegelt. | |
Zwei Knuddelwesen (Glitter und Knöpfe zeigen: Es handelt sich um Mann und | |
Frau) drehen sich auf einer wackeligen Apparatur im Kreis. Das Licht | |
flackert, der softe Popsong leiert und die beiden rotieren unentwegt | |
umeinander, doch sie berühren sich nicht. | |
Auch Sergej Jensen wird in der [5][Galerie Neu] gerade erzählerisch. In den | |
Nullerjahren war es sozusagen sein Signet, alltägliche Gebrauchstextilien | |
zusammenzunähen und auf klassischen Painting-Formaten mit Farbe zu | |
Kompositionen zu verarbeiten. Ganz Oberfläche und Textur, ganz konkret. | |
Jetzt widmet sich Jensen tatsächlichen Motiven und abstrahiert sie. Man | |
weiß nicht genau was: Faltenwürfe, Schatten, Katzen? Es bleibt | |
verschlüsselt und ungegenständlich. Aber einen Effekt arbeitet er auf | |
seinen nach wie vor geflickten Leinwänden besonders aus: dieses | |
Hineinziehen in irgendeine Tiefe, die doch nur auf der Oberfläche sitzt. | |
1 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Masha-Gessen-ueber-den-US-Praesidenten/!5689405 | |
[2] https://tanjawagner.com/ | |
[3] /Von-HIV-fuer-Corona-lernen/!5728862 | |
[4] http://www.schiefe-zaehne.com/ | |
[5] https://www.galerieneu.net/ | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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