# taz.de -- Masha Gessen über den US-Präsidenten: „Trump ist erschreckend e… | |
> Donald Trump lügt um des Lügens willen, sagt die russisch-amerikanische | |
> Publizistin Masha Gessen. Die Demokraten hätten dem wenig | |
> entgegenzusetzen. | |
Bild: Hat Erfahrung mit Autokratien: die amerikanisch-russische Publizistin Mas… | |
taz am wochenende: Masha Gessen, kurz nach der Wahl von Donald Trump | |
beschrieben Sie 2016 in einem Essay „Regeln für das Überleben in einer | |
Autokratie“. Dabei haben Sie sich auch auf Ihre Erfahrungen in Russland | |
berufen. Inwiefern hilft der Vergleich, die Präsidentschaft Trumps zu | |
verstehen? | |
Masha Gessen: Natürlich gibt es große politische und kulturelle | |
Unterschiede zwischen den USA und Russland. Ich hatte damals aber gerade | |
mein Buch über Russland beendet, das davon handelte, wie das Land unter | |
Putin sich von der Demokratie abgekehrt und in eine Autokratie verwandelt | |
hatte. Und da kamen mir bei Trump manche Sachen vertraut vor. Ich wusste, | |
was es bedeutete, wenn ein Kandidat gewinnt, dessen Absicht es ist, die | |
demokratischen Institutionen zu schleifen und eine Alleinherrschaft zu | |
errichten. | |
Sie warnten vor der Haltung, Trump lasse sich im Oval Office einhegen. | |
Er machte ja nie einen Hehl daraus, wohin mit ihm die Reise geht. Er konnte | |
dabei aber auch an bestehende Denkmuster anschließen. In den USA ist | |
bereits seit den 1980er Jahren die Vorstellung weit verbreitet, dass die | |
Regierung an sich einfach schlecht ist – egal, wie die Regierungspolitik | |
genau aussieht. Die Regierung wird nicht als Teil des Volkes gesehen, | |
sondern als etwas Illegitimes, das einem von oben übergestülpt wird. Aus | |
dieser Haltung machte Trump eine Waffe. Er griff im Wahlkampf die | |
Vorstellung von Regierung und Regiertwerden an. | |
Trump ist es in seiner Amtszeit gelungen, für nichts zur Verantwortung | |
gezogen zu werden. Er hat die Vorstellung, dass Politiker den Wählern | |
Rechenschaft abzulegen haben, völlig zerstört. Wie hat er das geschafft? | |
Das ist eines seiner wichtigsten Projekte – und damit war er leider | |
erschreckend erfolgreich. Er hat dafür verschiedene Strategien angewandt. | |
Ein Schritt war es, die tägliche Pressekonferenz im Weißen Haus | |
abzuschaffen. | |
War die so wichtig? | |
Die war früher oft auch langweilig und nicht sonderlich informativ, aber es | |
war ein tägliches Ritual, bei dem sich die Regierung den Fragen der | |
Öffentlichkeit stellen und ihr Handeln erklären musste. Trump hat zuerst | |
die Fernsehkameras rausgeschmissen, dann gab es keine täglichen | |
Pressebriefings mehr – und irgendwann gar keine mehr. Jetzt kann er ganz | |
allein entscheiden, wann und in welchem Setting er mit der Presse spricht, | |
wer dabei sein darf, auf welche Fragen er antwortet. Dadurch werden die | |
Pressekontakte unplanbar, überraschend – und er kontrolliert den | |
Nachrichtenzyklus. | |
Welche Strategien hat er noch, um die Vorstellung von Verantwortlichkeit zu | |
zerstören? | |
Dazu gehören natürlich auch seine Lügen. Er lügt ja über alles Mögliche. … | |
lügt über offensichtliche Sachen wie das Wetter, er lügt über empirisch | |
überprüfbare Fakten – und er lügt, um einfach seinen Anspruch zu | |
untermauern, alles sagen zu können, was er will. Bisher waren wir es | |
gewohnt, dass Politiker lügen, um ihre Taten besser dastehen zu lassen – | |
was wir so noch nicht kannten, war das Lügen, um des Lügens willen. Einfach | |
um zu zeigen: „Ich habe ein großes Mikrofon – und ihr müsst berichten, was | |
ich erzähle. Selbst wenn ihr ganz genau wisst, dass ich gerade lüge.“ Es | |
ist eine Machtdemonstration. | |
Was ist mit dem System der Checks and Balances? Warum greifen die | |
Kontrollmechanismen der Gewaltenteilung nicht stärker? | |
Trump feuert regelmäßig jene, die dafür da sind, die Arbeit der Regierung | |
zu kontrollieren. Nach dem Rücktritt von Präsident Nixon hatte der Kongress | |
das Amt des Inspector General geschaffen – es gibt Inspector Generals für | |
jeden Teilbereich der Regierung, interne Aufpasser. Ihr Auftrag ist es, die | |
Regierungspolitik zu überwachen, Missmanagement und Betrug aufzudecken und | |
die Ausgaben zu kontrollieren. Sie berichten direkt an den Kongress. Es ist | |
ein Kontrollinstrument der Legislative gegenüber der Exekutive. Mit einer | |
Schwäche. Der Präsident kann einen Inspector General jederzeit feuern. Das | |
hatte zuvor kein Präsident gewagt, Trump macht es wöchentlich und zerstört | |
so dieses Instrument. | |
Zu Ihren Empfehlungen für das Überleben in einer Autokratie gehörte auch | |
die Warnung: „Die Institutionen werden uns nicht retten.“ | |
Amerikaner haben ein Vertrauen in ihre politischen Institutionen, das | |
quasireligiöse Züge trägt. Dieser Glaube besagt: Vor 250 Jahren haben die | |
Gründerväter ein System geschaffen, das perfekt und von ewiger Dauer ist. | |
Das ist Quatsch. Kein System ist perfekt oder kann sich selbst reparieren, | |
jedes System muss von Zeit zu Zeit angepasst werden. Unsere Welt ist | |
ungleich komplizierter als die der Gründerväter. | |
Welche Schwächen der Institutionen macht sich Trump zunutze? | |
Die Institutionen sind auf den guten Willen derjenigen angewiesen, die in | |
ihnen arbeiten. Trump kann mit gutem Willen und Gemeinwohl aber gar nichts | |
anfangen. Recht und Gesetz nimmt er nur als Hindernisse wahr, die es zu | |
überwinden gilt. Hinzu kommt: Institutionen funktionieren nicht richtig, | |
wenn die Menschen nicht hinschauen. Sie brauchen das Licht der | |
Öffentlichkeit – und kritische Bürger. Trump aber hat die Gesellschaft | |
weiter polarisiert und das gemeinsam geteilte Realitätsempfinden stark | |
beschädigt. Deswegen fehlt den Institutionen heute das Umfeld, in dem sie | |
richtig arbeiten können. | |
Hat es Sie überrascht, dass es in der republikanischen Partei so wenig | |
Widerstand gegen Trump gab? | |
Nein. Trump hat die Fäden in der Hand, mit denen er über die | |
Wiederwahlchancen der Abgeordneten entscheiden kann. Natürlich haben diese | |
auch politische Ziele und Vorstellungen, die sich von seinen oft | |
unterscheiden, aber am Ende wollen sie ihre Mandate behalten. In einer | |
Demokratie adressieren Politiker die Wählerschaft, in einer Autokratie ist | |
der Adressat der Autokrat. Es ist also eine Ein-Mann-Zielgruppe. Um ihren | |
Job zu behalten, versuchen also die meisten Republikaner, Trump | |
zufriedenzustellen. | |
Trump im Weißen Haus zu haben, war vorher schon schlimm, aber dann kam auch | |
noch die Pandemie dazu. | |
Ja, und die hat uns gezeigt, wie gefährlich es ist, Trump als Präsidenten | |
zu haben. Vieles, was wir vorher auch schon über ihn wussten, wurde wie | |
unter einem Brennglas vergrößert. Wir wussten, dass er inkompetent ist, | |
dass er Expertenwissen verachtet und keinen Respekt vor Menschenleben hat, | |
mit der Ausnahme seines eigenen. Das Coronavirus hat uns gezeigt, wie fatal | |
es ist, wenn der Pandemiestab aufgelöst wird, weil man | |
Regierungsorganisationen blöd findet. Was es heißt, keine politische | |
Führung zu haben und einen Präsidenten, der sich nur für die Wirtschaft und | |
seine Einschaltquoten interessiert. Ich fürchte, wir haben bei der Pandemie | |
bisher nur ein Vorspiel gesehen – in den USA wird gerade rücksichtslos | |
alles gelockert. Selbst in jenen Bundesstaaten, die das Virus bisher sehr | |
ernst genommen haben. | |
Sehr kritisch sehen Sie auch die Rolle des Journalismus. | |
Es gibt ein großes Dilemma, mit dem wir alle kämpfen: Wie berichten wir | |
über diese Präsidentschaft, ohne den Schaden zu vergrößern, den Trump | |
sowieso schon anrichtet? Ich schreibe Kolumnen, da habe ich es noch | |
einfach, weil sie subjektiv sein können. Aber für die New York Times ist | |
das keine Option. Wenn sie ihre Vorstellung von Neutralität und einer | |
Perspektive aus einem überparteilichen Niemandsland aufgibt, muss sie eine | |
andere einnehmen. Das ist sehr schwierig. Ich denke, dass man in Zeiten von | |
Trump Journalismus zunächst einmal als Schadensvermeidung betreiben muss. | |
Der größte Fehler ist, über Trumps andauernde Lügen so zu berichten, als | |
könnte man über Fakten diskutieren – darauf dürfen wir uns nicht einlassen. | |
In der „New York Times“ gab es gerade einen Aufstand der Belegschaft, | |
nachdem ein Gastbeitrag eines trumpfreundlichen Senators erschienen war, | |
der gefordert hatte, das Militär gegen die Black-Lives-Matter-Demonstranten | |
einzusetzen. | |
Da handelte es sich um ein Meinungsstück, das ist etwas anderes als die | |
normale Berichterstattung. Da geht es nicht um Neutralität, sondern um die | |
Frage: Ist diese Meinung innerhalb dessen, was wir diskussionswürdig | |
finden? Und in diesem Fall würde ich auch sagen, die New York Times hat es | |
nicht so richtig gut hingekriegt. Man sollte nicht darüber diskutieren, ob | |
das Militär gegen die eigenen Bürger eingesetzt wird. Durch die Diskussion | |
über den Gastbeitrag wurde die Times ganz in Trumps Framing gefangen. Die | |
Frage war nur: Sollen wir Truppen reinschicken oder nicht? Dabei gibt es | |
viele andere Möglichkeiten, über Proteste zu sprechen – gerade in den USA, | |
wo Proteste oft Teil der politischen Kultur waren und die | |
Demonstrationsfreiheit in der Verfassung verankert ist. | |
Wie können die USA den Trumpismus überwinden? | |
Ein Problem, das wir dabei haben, ist sicher die Demokratische Partei, die | |
als einzige Oppositionspartei sehr an einem technokratischen Verständnis | |
von Politik hängt. Und an der Idee, dass wir einfach nur zu einem Zustand | |
vor Trump zurückkehren müssten und alles wäre in Ordnung. Damit wird man | |
Trump aber nicht schlagen. Um seinem Versprechen einer imaginären | |
Vergangenheit – die weiß, männlich, traditionell sein soll – etwas | |
entgegenzusetzen, braucht es eine überzeugende Vision einer besseren | |
Zukunft. Eine Vision, die alle einschließt. Wir haben PolitikerInnen, die | |
so etwas verkörpern – zum Beispiel die junge Alexandria Ocasio-Cortez. Joe | |
Biden müsste dringend seine Botschaft verändern, sonst könnten wir im | |
November wieder eine ganz böse Überraschung erleben. | |
Was müsste Biden vertreten? | |
Ideen, die bei den Menschen populär sind, innerhalb der demokratischen | |
Partei aber unpopulär – eine Krankenversicherung für alle, radikale | |
Klimapolitik, radikale Polizeireformen. | |
Welche Rolle können die Proteste, die wir gerade sehen, für den politischen | |
Wandel spielen? | |
Es ist gerechtfertigte Empörung, die die Menschen auf die Straßen treibt. | |
Die Proteste sind emotional kompliziert, aber was sie eint, ist die | |
Sehnsucht, eine Welt zu schaffen, in der wir anders und besser | |
zusammenleben. Es fühlt sich gerade schon wie ein revolutionärer Moment an. | |
Ein Gefühl von Wandel liegt in der Luft – auch weil nicht nur in den großen | |
Städten protestiert wird, sondern überall, auch in vielen Kleinstädten. Und | |
die Protestierenden sind sehr divers. Ideen, die bisher eher am Rand zu | |
finden waren, bekommen jetzt auf einmal auch eine große Zustimmung in der | |
Mitte der Gesellschaft. | |
13 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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