# taz.de -- Wendepunkt im US-Wahlkampf: Trump braucht die Opferrolle | |
> Donald Trumps erste Wahlkampfveranstaltung seit der Pandemie war ein | |
> Reinfall. Es wird immer deutlicher, wie sehr er Feindbilder braucht. | |
Bild: Kein Mindestabstand, kaum Mundschutz – Trump-Anhänger*innen bei Wahlka… | |
BERLIN taz | Wohl zum ersten Mal in seiner Kandidaten- und | |
Präsidentschaftsgeschichte hat Donald Trump ein Stadion nicht gefüllt | |
bekommen. Ganze Sektionen der eigentlich 19.000 Besucher*innen fassenden | |
Halle in Tulsa, Oklahoma blieben leer, als Trump am Samstagabend dort | |
seinen [1][ersten öffentlichen Wahlkampfauftritt] seit Beginn der | |
Coronapandemie zelebrierte. | |
Dabei hatte sein Organisationsteam zuvor noch verkündet, es habe über eine | |
Million Ticketanfragen gegeben, man plane, einen großen Außenbereich mit | |
Leinwänden einzurichten, wo Trump dann auch noch selbst kurz auftreten | |
wollte. Das wurde schnell wieder abgesagt, als offensichtlich wurde, dass | |
die Menschenmassen einfach nicht auftauchten. | |
Über Zehntausend mögen es dann doch gewesen sein, die in der Halle rund 100 | |
Minuten lang ihrem Präsidenten zuhörten – weitgehend ohne Maske und | |
Mindestabstand. Gesundheitsbehörden hatten gewarnt, eine | |
Indoor-Veranstaltung dieser Dimension könne zum Virenschleuder-Event | |
werden. Es gab sogar den Versuch, die Veranstaltung per einstweiliger | |
Anordnung stoppen zu lassen. | |
Das scheiterte, aber womöglich überlegten es sich Trump-Anhänger*innen dann | |
doch, ob sie sich dieser Gefahr aussetzen wollten – erst recht, nachdem | |
einige Stunden vor Beginn bekannt wurde, dass sechs Mitarbeiter*innen des | |
Organisationsteams positiv getestet worden waren. | |
## Trump am Wendepunkt | |
Für Trump selbst waren allerdings andere daran schuld, dass die Halle so | |
leer blieb: Demonstrant*innen hätten seinen Fans den Zugang erschwert – | |
tatsächlich waren allerdings nur sehr wenige Protestierende in der Nähe des | |
Geländes aufgetaucht. Außerdem, so Trump, hätten die Lügenmedien mit ihrer | |
Coronapanik die Menschen abgeschreckt. Trump lobte sich selbst für die | |
Bekämpfung des „chinesischen Virus“: „Wir haben Hunderttausende Leben | |
gerettet.“ | |
Dennoch werde er dauernd kritisiert, jammerte er. Im Übrigen vertrat er die | |
Ansicht, dass zu viel getestet würde. „Wenn man mehr testet, findet man | |
auch mehr Fälle. Deshalb habe ich meinen Leuten gesagt, sie sollen das | |
Testen herunterfahren“, sagte Trump. Ein Satz, den sein Team später als | |
„Scherz“ wegzuerklären versuchte. | |
Dieser erste Auftritt Trumps seit Coronabeginn markiert einen Wendepunkt. | |
Noch im Februar konnte Trump davon ausgehen, nach überstandenem | |
Amtsenthebungsverfahren, getragen von einer starken Wirtschaft, niedrigen | |
Arbeitslosenzahlen und hohen Aktienkursen, im November recht sicher gegen | |
einen schwachen demokratischen Kandidaten wie Joe Biden eine zweite | |
Amtszeit gewinnen zu können. | |
Vier Monate später existiert diese Welt nicht mehr. Die Wirtschaft | |
schlittert nicht nur in den USA in eine Rezession, die Arbeitslosenzahlen | |
sind durch die Decke geschossen. Sein Corona-Krisenmanagement, noch im März | |
von einer Mehrheit der US-AmerikanerInnen gutgeheißen, steht 120.000 Tote | |
später in der Kritik. In der [2][aktuellen Rassismusdebatte] stellt er sich | |
an die Seite weißen Überlegenheitsdenkens. | |
## Rechter Populismus braucht Feinde | |
Trumps Beliebtheit sinkt. Joe Biden, der designierte | |
Präsidentschaftskandidat, führt in den Umfragen nicht nur landesweit mit | |
durchschnittlich fast 9 Prozentpunkten Vorsprung. Auch in entscheidenden | |
Swing States wie Florida, Pennsylvannia, Wisconsin oder Arizona liegt Biden | |
klar vorne. | |
Auf der Wahlkampfbühne in Tulsa teilte Trump dann aus gegen „sleepy Joe“, | |
wie er Biden auf Twitter stets nennt. Der sei eine Marionette Chinas und | |
der radikalen Linken, die in der Demokratischen Partei das Sagen habe und | |
in den USA ein totalitäres Regime errichten wolle. | |
Trumps Auftritte, seine ganze politische Persönlichkeit und letztlich auch | |
seine Präsidentschaft leben von Feindbildern: den Medien, China, | |
Klimapolitik, seinen Vorgängern, den Immigrant*innen, den Muslim*innen, dem | |
Establishment, den Demokrat*innen, dem „linksradikal-anarchistischen“ und | |
„terroristischen“ Mob, der Justiz, säumigen Nato-Verbündeten oder | |
ehemaligen Mitstreiter*innen, die sich gegen ihn gewandt haben. | |
So wie gerade besonders prominent [3][John Bolton, sein früherer Nationaler | |
Sicherheitsberater], dessen Abrechnungsbuch am kommenden Dienstag nun | |
tatsächlich erscheint, nachdem Trump mit dem Versuch gescheitert ist, die | |
Auslieferung gerichtlich verbieten zu lassen. Trumps Präsidentschaft zeigt, | |
wie sehr der rechte Populismus die Feinde braucht – und die Opferrolle. Ein | |
präsidentiell versöhnendes Wort, etwa in der Debatte um Rassismus und | |
Polizeigewalt, wäre aus Trump’scher Denke deshalb geradezu | |
markenschädigend. | |
## Kein Wort über Rassismus | |
Und so erwähnte Trump am Samstag mit keinem Wort [4][den Juneteenth, den | |
US-Feiertag zur Abschaffung der Sklaverei] am 19. Juni. Oder das Massaker | |
von 1921 in Tulsa, eines der schlimmsten rassistischen Exzesse der | |
US-Geschichte. Stattdessen klagte der Präsident über die Protestierenden, | |
die „unsere schönen Denkmäler zerstören wollen“. Gemeint sind jene von | |
Konföderierten und Sklavenhaltern. Über die jüngst von der Polizei | |
ermordeten George Floyd und Rayshard Brooks sprach Trump nicht. | |
Nicht nur zu Wahlkampfzwecken [5][inszeniert sich Trump gern als Opfer,] | |
sondern auch, um die Gewaltenteilung im demokratischen Rechtsstaat | |
auszuhebeln. Jüngster Schritt: Am Samstag sorgte Trump für den Rauswurf von | |
Geoffrey S. Berman, Bundesstaatsanwalt in Manhattan. Berman hatte Trumps | |
ehemaligen persönlichen Anwalt ins Gefängnis gebracht und ermittelte gegen | |
den derzeitigen. | |
21 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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