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# taz.de -- Die neue Bürgerrechtsbewegung in den USA: Zeiten des Aufruhrs
> In den USA wollen am Wochenende wieder viele AktivistInnen demonstrieren.
> Sechs von ihnen erzählen, was sie antreibt.
Bild: Die Bewegung macht vielen Menschen in den USA Hoffnung
## Nicole Rodriguez, 19, und Joyce Ling, 25, haben sich in New York bei den
Demos kennengelernt
Nicole Rodriguez und Joyce Ling waren eigentlich voll auf ihre Zukunft
fokussiert. Rodriguez auf ihr Studium, Ling auf ihre Arbeit. Doch das war
vor dem Tod von George Floyd am 25. Mai. Die beiden jungen Frauen aus dem
New Yorker Stadtteil Queens lernten sich Ende Mai bei einer Demonstration
in ihrem Bezirk kennen.
Die 19-Jährige und die 25-Jährige waren einem Aufruf der Gruppe
Black-Lives-Matter gefolgt. Seither sind die beiden unzertrennlich. Beide
kommen aus Einwandererfamilien: Rodriguez’ Familie stammt aus Ecuador,
Lings aus China.
Nicole Rodriguez war 12 Jahre alt, als Black-Lives-Matter entstand. Damals
war gerade der weiße Wachmann freigesprochen worden, der in Florida den
unbewaffneten schwarzen Teenager Trayvon Martin auf dem Heimweg zu seiner
Großmutter erschossen hatte. „Ich war ein ruhiges, schüchternes Mädchen“,
sagt sie.
In den vergangenen Wochen hat sie eine radikale Kehrtwende vollzogen. Zu
Hause hat sie laute Diskussionen mit ihrer älteren Schwester, die die
schwarzen AktivistInnen kritisiert, und mit ihrer Mutter, die Verständnis
für die Polizisten zeigt. Rodriguez will die Polizei abschaffen. Manchmal
kommt es ihr so vor, als ob sie und der Rest ihrer Familie in
unterschiedlichen Ländern lebten.
Joyce Ling ist vor einem Jahr zu Hause ausgezogen. Dass ihre Eltern sich in
diesen Wochen Sorgen um sie machen, erklärt sie mit den „traditionellen
Medien“. Bei dem halben Dutzend Demonstrationen, an denen die Tochter seit
Mai teilgenommen hat, gab es nirgends Gewalt. An manchen Tagen finden in
New York vier oder fünf Demonstrationen gleichzeitig statt. Ling wählt auf
Instagram aus, zu welcher sie geht.
Sie hat ihre Eltern immer für tolerant gehalten. Inzwischen sieht sie die
elterliche Mahnung, kein Date mit einem schwarzen Mann zu haben, in einem
anderen Licht. Ling kennt auch Rassismus, der gegen sie gerichtet ist:
Zuletzt spürte sie ihn zu Anfang der Pandemie, als der US-Präsident von dem
„chinesischen Virus“ sprach und KundInnen nicht von ihr bedient werden
wollten.
Queens ist eines der gemischtesten städtischen Gebiete des ganzen Landes.
In ihren Schulen hatten die Frauen weiße, „braune“ („brown“) und schwa…
KlassenkameradInnen. Aber erst in jüngster Zeit steht die „Schwarze
Erfahrung“ im Zentrum ihrer Wahrnehmung. Bei Zoom-Konferenzen hat das
Unternehmen, in dem Ling arbeitet, Schwarze KollegInnen über ihren Alltag
berichten lassen.
Auf der Straße herrscht Konsens darüber, dass die Führung der Bewegung
Schwarz sein muss. Alle anderen – die „braunen“ („brown“) und die wei…
AktivistInnen – sind VerstärkerInnen. „Dies ist ihr Moment“, sagt Ling �…
ihre Schwarzen MitstreiterInnen. Rodriguez fügt hinzu: „Die Leben von allen
zählen erst dann, wenn auch Schwarze Leben zählen.“
In den zurückliegenden Wochen gab es auch Erfolgserlebnisse für die
Bewegung. So hat der Bundesstaat New York in Windeseile das Gesetz 50-A zu
Fall gebracht, mit dem die Polizei jahrzehntelang Informationen über
gewalttätige Beschäftigte unter Verschluss halten konnte.
Die beiden sind stolz darauf, Teil der Bewegung zu sein, die binnen weniger
Tage zustande gebracht hat, woran zuvor Generationen in New York
gescheitert waren. Doch mit kleinen Reformen wollen sie sich nicht
zufrieden geben. Ihr Ziel ist die Abschaffung der Polizei.
„Was wollen wir?“, ruft die bis vor Kurzem schüchterne Nicole Rodriguez mit
lauter, fester Stimme. Die Menge antwortet: „Gerechtigkeit.“ Autofahrer
hupen zur Unterstützung. Eine Frau holt eine Packung Wasserflaschen aus dem
Kofferraum und verteilt sie an DemonstrantInnen. „Wann wollen wir
Gerechtigkeit?“, ruft Joyce Ling. Die Menge antwortet: „Jetzt!“
## Damiana Dendy, 25, erlebt in Washington zum ersten Mal eine von
Schwarzen angeführte Bewegung
Manchmal fassen Leute Damiana Dendy in ihr dichtes lockiges Haar. Oder sie
fragen sie, wie sie „das“ bloß gewaschen kriegt. Wenn sie in einer „sehr
weißen“ Umgebung ist, kommt es auch vor, dass sie stellvertretend für die
komplette Schwarze Community sprechen soll. „Die Leute“, sagt die
25-Jährige am Telefon, „haben einfach keine Ahnung.“
Sie nennt sich „biracial“. Ihre Mutter ist weiß, ihr Vater schwarz. Dieser
Hintergrund hat sie dazu gebracht, viel über die Beziehungen zwischen
schwarz und weiß nachzudenken.
Sie ging schon als Jugendliche zu Bürgerrechtsgruppen, kämpft für die
Rechte von MieterInnen und ist Mitglied der Demokratischen Sozialisten
Amerikas (DSA), einer linken Partei, die seit der Wahl von Donald Trump von
der Bedeutungslosigkeit auf stolze 66.000 Mitglieder angewachsen ist.
Bis zur Pandemie arbeitete sie in der US-Hauptstadt für die Gewerkschaft
Unite Here, die Personal aus dem Tourismus, der Gastronomie und von den
Läden an Flughäfen organisiert. Aber nachdem binnen weniger Wochen 95
Prozent der 300.000 Gewerkschaftsmitglieder arbeitslos wurden und keine
Mitgliedsbeiträge mehr kamen, musste auch die Gewerkschaft ihren
Beschäftigten kündigen. Seit April ist Dendy arbeitslos.
Als sie im Mai das Video von George Floyds letzten Minuten sah, wusste
Dendy: „Das wird sich für immer in mein Gedächtnis graben. Diese
Selbstverständlichkeit, diese Routine, mit der der Polizist auf dem Nacken
seines gefesselten und völlig wehrlosen Opfers kniet.“
Es war eine Zeit, in der die Stimmung ohnehin von Trauer und Schwere
geprägt war. Allwöchentlich erfuhr sie von KollegInnen, die an dem Virus
gestorben waren. Andere überlegten, wie sie nach Ablauf der staatlichen
Hilfen Ende Juni finanziell über die Runden kommen können. Unterdessen tat
der republikanische Chef des Senats, Mitch McConnell, so, als wäre alles in
Ordnung. Und in Minneapolis begegnete die Polizei den DemonstrantInnen mit
Gewalt.
Die junge Frau lebt 40 Minuten Fußweg vom Weißen Haus entfernt. Seit George
Floyds Tod geht sie an vielen Abenden dorthin. Sie tut es immer allein. Am
1. Juni wurde sie im Lafayette Park von einer Tränengaspatrone am Kinn
getroffen. Zum Glück explodierte die erst, nachdem sie auf den Boden fiel
und Dendy sie wegtrat.
Es war einer der chemischen Kampfstoffe, die die Polizei einsetzte, um
friedliche DemonstrantInnen von dem Platz zu vertreiben, damit Donald Trump
ihn überqueren und mit Bibel posieren konnte. Am nächsten Tag ging sie
wieder auf eine Black-Lives-Matter-Demonstration und blieb wieder bis 2 Uhr
morgens auf der Straße.
Dendy erlebt zum ersten Mal eine Bewegung, die von Schwarzen Leuten
angeführt wird. Alles vorangegangene – auch die Frauenproteste gegen Trump
und die Klimabewegung – war mehrheitlich weiß. Diese Gelegenheit will sie
nutzen.
Sie demonstriert gegen Polizeigewalt und Rassismus. Sie hält die Polizei
für nicht reformierbar. Und sie will ihre Abschaffung. Aber zugleich
demonstriert sie auch gegen die nächtliche Ausgangssperre, die die schwarze
Bürgermeisterin der Hauptstadt, die Demokratin Muriel Bowser, verhängt hat.
Eine Ausgangssperre wegen der Pandemie hätte Dendy verstanden. Das hätte
die AfroamerikanerInnen der Stadt vor Ansteckung schützen können. Denn mehr
als drei Viertel der Todesopfer in Washington sind Schwarze, obwohl sie
weniger als die Hälfte der Bevölkerung sind. Aber für eine Ausgangssperre,
um Protest zu verhindern, hat sie nur Worte der Verachtung übrig.
## Mary Hooks, 38, gehört zu den führenden Stimmen der Protestbewegung in
Atlanta. Sie sagt, die Polizei in den USA sei eine rassistische Institution
und das Kernproblem – und will sie abschaffen
taz am wochenende: Frau Hooks, Sie sind in der antirassistischen Bewegung
in Georgia sehr aktiv. Welches Grundübel bekämpfen Sie?
Mary Hooks: Das Grundproblem ist für mich die weiße Vorherrschaft, die in
das System und in die Institutionen des Landes eingebettet ist. Es ist
Kapitalismus, der auf Rassismus basiert, wir nennen das „racialized
capitalism“. Schwarze, insbesondere Arme aus der Arbeiterklasse, sind
besonders stark von Covid-19 betroffen. Sie sind zugleich die Opfer von
Polizei- und von Staatsgewalt. Und sie sind die Leute, die trotz Corona
weiterhin ihre Arbeit als wesentliche Beschäftigte tun, obwohl sie Löhne
bekommen, von denen sie nicht leben können.
Die neue Bewegung greift viele Themen der Bürgerrechtsbewegung der
sechziger Jahre wieder auf. Sind die Älteren denn gescheitert?
In den Sechzigern wollten sich manche Schwarze wirklich integrieren – sie
wollten den Amerikanischen Traum. Anschließend gab es jede Menge gewählte
schwarze Politiker. Aber sie haben sich leider auf kleine Reformen
beschränkt. Die Ursachen haben sie nicht bekämpft. Martin Luther King hat
gewarnt, wir würden uns in „ein brennendes Haus integrieren“.
Sie leben in Atlanta. Die Stadt hat eine Schwarze Bürgermeisterin und – bis
zu ihrem Rücktritt nach den tödlichen Schüssen auf Rayshard Brooks – auch
eine Frau an der Spitze der Polizei. Macht das keinen Unterschied?
Wenn Politiker Karriere machen wollen, gehen sie Kompromisse ein, die jenen
Gemeinschaften schaden, die am Stärksten leiden. Da macht es keinen
Unterschied, ob sie schwarz oder weiß sind. Wenn sie einmal gewählt sind,
fühlen sie sich verpflichtet gegenüber Konzernen, Immobilienhändlern,
Tourismusunternehmen und der republikanischen Regierung von Georgia.
Wen wählen Sie denn im November?
In diesem Land geht es immer um das kleinere Übel. Wir müssen
sicherstellen, dass der weiße rassistische Fanatiker nicht wieder gewählt
wird. Joe Biden hat Schaden für schwarze Gemeinschaften angerichtet. Sein
Gesetz zur Strafjustiz hat sehr viele Schwarze hinter Gitter gebracht. Aber
seine Basis sind nicht weiße rechte Milizionäre und Nationalisten.
Sie haben erklärt, dass Sie die Finanzen der Polizei kürzen wollen. Warum?
Das ist der erste Schritt zur Abschaffung der Polizei. An manchen Orten
bekommt die Polizei fünfzig Prozent des Budgets, während Sozialdienste
gekürzt werden. Wir wollen, dass das Geld in die schwarze Gemeinschaft
investiert wird.
Wenn Sie die Polizei abschaffen, sähen Sie sich mit mehrheitlich weißen,
schwer bewaffneten Männern konfrontiert, von denen viele politisch weit
rechts stehen.
Wir kennen die weiße Bürgerwehr in diesem Land. Aber wir wissen auch, dass
die Polizei uns nicht vor ihr beschützt. Die Polizei ist eine rassistische
Institution. Sie ist das Kernproblem.
Wie wollen Sie dann – beispielsweise – mit Vergewaltigern umgehen, so ganz
ohne Polizei?
Wir müssen das Patriarchat abschaffen, eine der ältesten Formen von
Unterdrückung. Die Polizei, so wie wir sie kennen, hat Vergewaltigungen
nicht gestoppt. Wir müssen uns selbst schützen.
Zur Antirassismusbewegung gehören auch auffallend viele Frauen sowie queere
und trans Personen. Woran liegt das?
Wir waren schon früher aktiv. Aber wir waren noch nie so sichtbar wie
jetzt. Wir kennen die Angst vor der Polizei. Denn wir leben eben an den
Schnittstellen zwischen „Rasse“, Klasse und Geschlecht. Mit unserer Arbeit
haben wir weitere queere und trans Menschen angezogen, die an anderen
Themen arbeiten als weiße schwule Mainstream Männer.
Vielerorts in den USA sind jetzt auch mehr Weiße als sonst bei
antirassistischen Protesten auf der Straße. Was erwarten Sie von ihnen?
Weiße spielen eine wichtige Rolle bei der Abschaffung von weißer
Vorherrschaft, Patriarchat und den anderen Institutionen, die so viel
Schaden angerichtet haben. Sie können die Bewegung unterstützen. Wir haben
jahrelang darauf hingearbeitet, dass Weiße im Namen von Black Lives
mobilisieren. Manchmal sind ein paar Tote nötig, um zu erkennen, dass etwas
faul ist.
Bislang sieht es aus, als hätte die Bewegung keine Führung.
Wir haben jede Menge Führungsfiguren. Aber es ist zu gefährlich, einzelne
davon an die Spitze zu bringen. Wir haben oft gesehen, was passiert, wenn
wir einen einzelnen – meist einen schwarzen Mann – an der Spitze von
Tausenden haben. Die USA killen ihn. Das haben sie mit Malcolm (X), mit
Martin (Luther King) und mit Medgar (Evers) gemacht.
## Elijah Norris, 24, setzt sich in Minneapolis für friedliche Demos ein
Elijah Norris sah das Video noch vor dem Aufstehen am frühen Morgen des 26.
Mai. Auf seinem Handy. Im Bett. Die Worte „kaltblütiger Mord“ kamen ihm in
den Sinn. Bis zu der Gedenkkundgebung um 17 Uhr am Tag nach dem Tod von
George Floyd wollte er nicht warten. Zusammen mit FreundInnen fuhr der
24-Jährige vor die dritte Polizeiwache der Twin Cities Minneapolis und St.
Paul. Zu dem Ort, an dem die Täter in Uniform arbeiteten. Dort verlangten
sie Entlassungen und Anklagen. Als die Randale begann, verließ er die
Demonstration.
Seither ist Norris täglich im Einsatz. „George Floyd war ein Wendepunkt“,
sagt er im Telefongespräch, „danach kann es kein Zurück mehr geben.“ Er
geht zu Mahnwachen. Betet. Weint. Und fährt von einer Demonstration in den
Twin Cities zu nächsten. Er versucht, andere davon abzuhalten, Steine zu
werfen. Warnt sie vor den Konsequenzen für ihr eigenes Leben.
Als nach der Polizeiwache Nummer drei auch Geschäfte in Flammen aufgingen,
griff Norris erneut zum Handy. Dieses Mal saß er in einem Auto und filmte
sich, während er sein Facebook-Publikum warnte, in Stadtteile zu gehen, wo
geplündert wird. „Nehmt nur an Demonstrationen teil, deren Organisatoren
ihr kennt“, riet er. Die Randalierer nennt er „Infiltrierte“ und
„Außenseiter“.
In späteren Videos rief er zu friedlichen Demonstrationen auf. Nach
wenigen Tagen entschied Norris, sein Studium auf Eis zu legen und eine
Organisation mit dem Namen Project Restore Minnesota zu gründen. Er
sammelte Spenden aus anderen Städten – Lebensmittel und Windeln – und
verteilte sie in den Quartieren von Minneapolis und St. Paul, die am
meisten betroffen sind.
Eine weiße Kirche lud ihn zu einem Versöhnungsgespräch mit ihrer Gemeinde
ein. Auch ein halbes Jahrhundert nach der Bürgerrechtsbewegung von Martin
Luther King sind die meisten Kirchen nach Hautfarben getrennt. Der Pastor
der First Evangelical Free Church eröffnete die Veranstaltung auf dem
Parkplatz (seine Kirche ist wegen der Pandemie geschlossen) mit den Worten:
„Wir müssen uns entschuldigen.“
Norris redete über „400 Jahre Plünderungen und Morde“ und darüber, dass …
für einen, der so aussieht wie er, „nie Gerechtigkeit und Freiheit“ gegeben
hat. Anschließend ging er mit den weißen ChristInnen zu der
Straßenkreuzung, an der George Floyd gestorben ist, um gemeinsam acht
Minuten und 46 Sekunden lang zu schweigen.
„Ein guter Anfang“, findet Norris nach der Begegnung, „wenn wir erst einm…
im Gespräch sind, ist ‚Rasse‘ kein Thema mehr.“ Norris will glauben, dass
es jetzt anders wird. Seine Begründung: „Dieses Mal haben wir die
Aufmerksamkeit der Weißen.“
Als er als Zwölfjähriger mit seiner Familie aus der schwarzen Innenstadt
von Chicago nach Minnesota zog, spürte er zum ersten Mal den Unterschied
zwischen schwarz und weiß in seinem Land. Es war ein Kulturschock. In
Chicago durften die Kinder die Schulbücher nicht mit nach Hause nehmen,
weil es nicht genügend gab. An dem neuen Wohnort der Familie, einer
mehrheitlich weißen Siedlung am Rand der Twin Cities, gab es nagelneue
Bücher in Hülle und Fülle.
An seiner Highschool hatte er dunkel- und hellhäutige Freunde. Aber als er
als Student an die in einer ländlichen Gegend gelegene Winona Universität
wechselte, riefen ihm vorbeifahrende Autofahrer „schwarzer Affe“ und
„Nigger“ zu. Im 2016er-Wahlkampf Trumps wurden sie lauter. Da tauchte in
immer mehr Vorgärten die Fahne der Konföderierten auf. „Man muss stark
sein“, sagt er über das Leben als schwarzer Mann im eigenen Land.
## Zoe Bambara, 19, hat sich nach dem Tod von George Floyd politisiert. Sie
hat am Stone-Mountain-Denkmal in Atlanta protestiert. „Wir müssen aufhören,
ein Sklavenhalterregime zu feiern“, sagt sie
„Geh zur Hölle“, riefen PassantInnen der jungen Frau zu, als sie vor dem
Ort der Neugründung des Ku-Klux-Klans demonstrierte, einer der
Haupttouristenattraktionen von Georgia. Sprüche wie „Gott hasst dich“
fielen. Ein anderer Spruch war: „All lives matter“, erzählt Zoe Bambara.
Sie sagt: „Die schwarzen Leben sind in Gefahr. Aber das wollen sie nicht
hören.“
Bis Ende Mai lernte die 19-Jährige an der Kosmetikschule in Atlanta. Ihre
politischen Aktivitäten beschränkten sich auf Nachrichten in den sozialen
Medien. Nach George Floyds Tod organisierte sie mit anderen jungen Leuten
eine Demonstration gegen Polizeigewalt und Rassismus vom Centennial Olympic
Park zum Kapitol des Bundesstaates. Es wurde ein großer Erfolg.
Bambara gab erste Interviews. Und sie machte gleich weiter. Sie wagte sich
an Stone Mountain heran, das weltweit größte Denkmal zu Ehren der
Konföderierten. Auf der Spitze des Felsmassivs hat sich 1915 der weiße
Geheimbund Ku-Klux-Klan neu gegründet. Auf einer Seite des Felsens sind
ganz groß die drei Führungsfiguren des Sklavenhalteregimes eingraviert, das
den Bürgerkrieg verloren hat: Jefferson Davis, Robert E. Lee und Stonewall
Jackson. Zu Füßen des Felsens ist ein Freizeitpark.
Bislang haben die meisten KritikerInnen von Stone Mountain in Atlanta die
Schultern gezuckt. „Dies ist der Süden“, sagen sie resigniert, „da muss …
sich entscheiden, welche Kämpfe man anfängt.“ Der Park bringt Touristen,
Arbeitsplätze und Geld. Aber Bambara will nicht mehr mit den Schultern
zucken. Was werden soll, weiß sie noch nicht. Aber was sie weiß, ist: „Wir
müssen aufhören, ein Sklavenhalterregime zu feiern.“
Für den Umgang mit der eigenen Geschichte ist Deutschlands Umgang mit dem
Holocaust ihr Vorbild. „Deutschland hat aus dem Holocaust und aus dem Krieg
gelernt“, glaubt sie.
In den USA hingegen sieht sie eine jahrhundertelange Kontinuität von
Rassismus und Gewalt: Von der verfassungsgebenden Versammlung von 1787, die
SklavInnen nur als Dreifünftel-Personen betrachtete, über die Segregation,
die auf die Sklaverei folgte, bis hin zum redlining (Diskriminierung auf
dem Immobilienmarkt, die AfroamerikanerInnen den Zugang zu „weißen“
Wohngegenden verwehrt, Anm. d. Red.).
Bei ihrer Protestaktion stand neben ihr ein junger Schwarzer Mann mit einem
geschulterten Gewehr. „Er ist ein Freund“, sagt die junge Frau, „er kommt
zu meinem Schutz und zur Beruhigung meiner Familie mit. Ich bekomme so
viele Drohungen.“ In Georgia ist das offene Tragen von Schusswaffen
erlaubt. Zoe Bambara hat „einen Vater und einen Stiefvater, Brüder und
Onkel und so weiter“, und sie will diese Männer vor Polizeigewalt und
Rassismus schützen.
Aber sie hatte auch eine Großmutter namens Toni, die gestorben ist, lange
bevor Zoe Bambara zur Welt kam – eine schwarze Feministin, die Bücher
geschrieben hat. Sie will nun in die Fußstapfen ihrer Großmutter treten –
und studieren. Bambara will sich dafür einsetzen, dass Schwarze
gleichbehandelt werden. Den Moment hält sie für günstig: „Wir werden die
Geschichte verändern.“
20 Jun 2020
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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