# taz.de -- Missionschef über Flüchtlinge in Bosnien: „Die Bedingungen sind… | |
> Nach dem Brand im Camp Lipa sind die Menschen zurückgekehrt. Der | |
> Missionschef der Internationalen Organisation für Migration fordert, sie | |
> rauszuholen. | |
Bild: Niemand weiß, wohin mit ihnen: Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina nach … | |
taz: Herr van der Auweraert, Sie waren gerade im Camp Lipa. Wie schlimm ist | |
die Situation? | |
Peter van der Auweraert: Es befinden sich rund 700 Menschen in Lipa, die | |
von der Polizei in das zerstörte Lager zurückgebracht wurden, als sie | |
versucht hatten, zu Fuß in die Stadt Bihać zu gelangen. Sie dürfen das | |
Lager nicht verlassen. Die Bedingungen dort sind schrecklich: Kein Wasser, | |
kein Strom und die wenigen Zelte, die vom Feuer verschont geblieben sind, | |
sind vom Schnee so schwer, dass sie drohen zusammenzuklappen. Die Migranten | |
wärmen sich an Feuerstellen – was hochgefährlich ist. Wir haben in der | |
letzten Woche gesehen, wie schnell Zelte Feuer fangen können. Wir müssen | |
die Menschen aus Lipa rausschaffen, schon allein aus Sicherheitsfragen. | |
Was ist aus den restlichen Flüchtlingen geworden? In Lipa waren 1.400 | |
Menschen untergebracht. | |
Einige haben es nach Bihać geschafft und sich den [1][Gruppen von Migranten | |
in den Wäldern] und verlassenen Häusern rundherum angeschlossen. | |
Das Feuer wurde mutmaßlich gelegt, nachdem die IOM das Camp geschlossen | |
hat, ohne eine Alternative zu bieten. Dann [2][eskalierte die Situation]. | |
War die Schließung ein Fehler? | |
Wir haben uns die Entscheidung nicht einfach gemacht. Wir haben die | |
bosnischen Behörden seit Mai aufgefordert, für Wasser und Strom zu sorgen. | |
Wir haben die Schließung mehrmals verschoben, weil die Behörden eine | |
politische Einigung versprochen haben. Die IOM muss den Menschen in den | |
Camps Sicherheit und eine grundlegende Versorgung garantieren. Das konnten | |
wir in Lipa nicht. Als der erste Schnee fiel, ist das Gebetszelt | |
zusammengebrochen – glücklicherweise hatte gerade niemand gebetet. Die | |
Migranten waren dort in Gefahr. Auch Toiletten und Duschen hatten sie | |
nicht. | |
Doch die Schließung ohne Alternative hatte weitreichende Folgen. Wie hätte | |
die IOM aus heutiger Sicht besser agieren können? | |
Ich weiß nicht, was wir hätten anders machen können. Wir haben versucht, | |
mit lokalen Politikern und Kommunen Lösungen zu finden. Doch die | |
Bemühungen, etwa eine zwischenzeitliche Verlegung der Migranten nach Bira, | |
um Lipa besser auszubauen, blieben erfolglos. | |
Gibt es jetzt andere Möglichkeiten der Unterbringung? | |
Der Council of Ministers von Bosnien-Herzegowina (die Exekutive der | |
Regierung, Anm. d. Red.) hat vorgeschlagen, die Migranten in das Lager Bira | |
bei Bihać zu bringen. Dort könnten 1.500 bis 2.000 Leute untergebracht | |
werden, auch die Ausstattung ist vorhanden. Die lokalen Politiker haben das | |
verhindert. | |
Wie ist das möglich? | |
Durch das [3][komplexe politische System Bosniens] liegt die Entscheidung | |
bei den einzelnen Kantonen, nicht beim zentralen Council. Wir arbeiten nun | |
an einer Lösung, um zumindest die Migranten in Lipa anderswo | |
unterzubringen. Dann bleiben immer noch 1.500 Menschen, die in den Wäldern | |
campieren. Ihnen hilft die IOM bislang nur mit einigen Schlafsäcken, Jacken | |
und Essensrationen. Am Ende des Tages sind die Migranten die Opfer dieser | |
politischen Verflechtungen, aber auch die lokale Bevölkerung leidet. Denn | |
für die wäre es besser, es gäbe ein zentrales Lager, wo die Polizei für | |
Sicherheit garantieren kann, als hunderte kleine Lipas und Biras. | |
Welche Schuld trägt die EU? Schließlich sind [4][illegale und gewaltsame | |
Pushbacks] durch die kroatische Grenzpolizei lange bekannt. Viele der | |
Flüchtlinge verzweifelten zunehmend. | |
Was die Arbeit der EU in Bosnien-Herzegowina angeht, kann ich keine Kritik | |
üben. Sie haben immer versucht zu vermitteln. | |
Und was Kroatien angeht? | |
Immer wieder sind Migranten mit Verletzungen von der kroatischen Grenze | |
zurückgekehrt. Vor einiger Zeit hat unser Team eine Gruppe junger Männer | |
aufgelesen – nur mit Unterwäsche bekleidet. Wiederholt haben sie berichtet, | |
das seien kroatische Grenzpolizisten gewesen. Ich kann das nicht | |
verifizieren. Aber es braucht eine unabhängige Untersuchung darüber, was | |
auf der kroatischen Seite passiert. Natürlich hat jedes Land das Recht, | |
seine Grenzen zu schützen. Doch das muss innerhalb des internationalen | |
Rechts stattfinden. | |
29 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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