| # taz.de -- Temporäre Radwege in Berlin: Ein paar ploppen noch auf | |
| > Auch 2021 wird es weitere Pop-up-Radwege geben. Vor allem | |
| > Friedrichshain-Kreuzberg bleibt dabei sehr aktiv. Doch es gibt ein ganz | |
| > großes „Aber“. | |
| Bild: Radfahrer auf dem Pop-up-Radweg auf der Skalitzer Straße – aktuell lie… | |
| Berlin taz | Ein Termin des [1][Oberverwaltungsgerichts (OVG) | |
| Berlin-Brandenburg] irgendwann im jetzt noch frischen Jahr 2021 wird für | |
| Berlins rot-rot-grüne – oder der Einfachheit halber: grüne – | |
| Verkehrspolitik besonders wichtig: Die Verkündung der endgültigen | |
| Entscheidung darüber, ob die 2020 in mehreren Bezirken angelegten | |
| Pop-up-Radwege rechtens sind. | |
| Gegen die provisorisch mit gelben Linien markierten und mit rotweißen | |
| Warnbaken geschützten Radstreifen hatte im Sommer 2020 ein AfD-Abgeordneter | |
| geklagt: Sie seien rechtswidrig und behinderten seinen Arbeitsweg mit dem | |
| Auto. Das Verwaltungsgericht stimmte ihm zu, dagegen legte der Senat | |
| Beschwerde ein. Das OVG schloss sich Anfang Oktober der Rechtsauffassung | |
| der Landesregierung an. Allerdings nur vorläufig, die eigentliche | |
| Entscheidung steht noch aus. | |
| Interessant wird vor allem sein, welche Rolle die RichterInnen der | |
| Notwendigkeit einer individuellen Begründung für einzelne Pop-up-Streifen | |
| beimessen. Sprich: warum er auf genau dieser Straße und bei der jeweiligen | |
| Verkehrslage sicherheitsrelevant ist. Die Erstinstanz hatte das aus der | |
| Straßenverkehrsordnung (StVO) zwingend herausgelesen, und die | |
| Senatsverkehrsverwaltung lieferte dann auch gleich vorsorglich solche | |
| Begründungen nach. | |
| Davon weicht eine Lesart der StVO ab, zu der auch ein Gutachten der | |
| Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags im Auftrag der Senatsverwaltung | |
| gekommen war: Geschützte Radstreifen lassen sich demnach rechtssicher auf | |
| allen Straßen anordnen – einfach weil mit einem steigenden Anteil des | |
| Radverkehrs auch das generelle Unfallrisiko steige. | |
| ## „Für mehr Sicherheit“ | |
| Natürlich ärgert die Autofraktion aus AfD und Co. am meisten, dass an den | |
| sogenannten „temporären Radfahrstreifen“ eigentlich nichts temporär ist, | |
| auch wenn das am Anfang, im ersten Corona-Lockdown, so verkauft wurde. | |
| Ende März waren in Kreuzberg überraschend die ersten Strecken | |
| „pandemieresilienter Radverkehrsinfrastruktur“ angelegt worden, wie es | |
| damals hieß. Begründet wurden die provisorisch abgegrenzten Radstreifen mit | |
| der Notwendigkeit, dem zunehmenden Radverkehr im Lockdown sichere und | |
| ausreichend breite Wege zu bieten. Ausschlaggebend dürfte aber vor allem | |
| die Gunst der Stunde gewesen sein: Bei deutlich verringertem motorisierten | |
| Verkehrsaufkommen waren die Spuren viel leichter für die Nutzung durch | |
| Fahrradfahrende zu sichern. | |
| Bis zum Sommer folgten weitere solcher „temporären Radfahrstreifen“ in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch in Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow | |
| und Tempelhof-Schöneberg. Wobei „provisorisch“ der treffendere Begriff ist, | |
| denn nicht nur alle bereits eingerichteten Streifen von gut 25 Kilometern | |
| Länge sollen verstetigt – also dauerhaft angeordnet – werden. Auch für | |
| alle, die noch kommen könnten, ist das vorgesehen. Es geht in erster Linie | |
| darum, „mit schnellen Umsetzungen kurzfristig für mehr Sicherheit zu | |
| sorgen“, wie die Verkehrsverwaltung erläutert. | |
| Während auf der Lichtenberger Straße in Friedrichshain der erste | |
| provisorische Streifen kurz vor seiner Verstetigung steht, kommen in Kürze | |
| knapp zwei Pop-up-Kilometer auf dem Steglitzer Damm und der Tempelhofer | |
| Attilastraße hinzu. Ebenso viele sind auch auf der Lindenstraße zwischen | |
| Gitschiner und Oranienstraße vorgesehen, also in Kreuzberg, wo vor einem | |
| Dreivierteljahr alles anfing. Die Kilometerzahl muss man übrigens durch | |
| zwei teilen, um die Straßenlänge zu ermitteln, denn die Radstreifen werden | |
| von der Verwaltung pro Richtung einzeln gerechnet. | |
| ## Nicht unumstritten | |
| Sind sie einmal fertig – also „verstetigt“ –, werden die Radstreifen | |
| unterschiedlich aussehen: Während mancherorts die aktuelle Standard-Lösung | |
| „Poller“ zum Einsatz kommt, arbeitet Friedrichshain-Kreuzberg mit seinem | |
| findigen Straßen- und Grünflächenamtsleiter Felix Weisbrich auch an einer | |
| ästhetisch ansprechenderen Variante: Für die Streifen auf dem Halleschen | |
| und dem Tempelhofer Ufer wurden bei einem mexikanischen Hersteller flache, | |
| zur Radfahrseite hin angeschrägte Elemente aus massivem Kunststoff | |
| bestellt. In einem Testlauf hätten die einerseits die deutlichste | |
| „Protektionsleistung“ gezeigt, sich aber auch als „fehlerverzeihend“ f�… | |
| Radfahrende erwiesen, wie Weisbrich vor einigen Wochen auf einer | |
| BVV-Ausschusssitzung erläuterte. | |
| Gänzlich unumstritten sind diese Elemente, die im Notfall auch von | |
| Einsatzfahrzeugen überfahren werden können, in der AktivistInnenszene | |
| nicht: Denis Petri von [2][Changing Cities e. V.] räumt zwar ein, dass sie | |
| in anderen europäischen Städten, etwa Barcelona, schon länger verwendet und | |
| auch vom Kraftverkehr respektiert werden. | |
| Aber: „Ob das in Berlin ohne massive Kontrollen ausreichen wird, wird sich | |
| zeigen und wahrscheinlich vom konkreten Ort abhängen – also davon, ob dort | |
| Leute ihre Autos regelmäßig abstellen oder nicht.“ In Sachen subjektiver | |
| Sicherheit sieht er wenig Vorteile bei den optisch unaufdringlicheren | |
| Schwellen. | |
| Grundsätzlich sind die Mobilitätsverbände voll des Lobes für die von | |
| Weisbrich zusammen mit der Abteilung Verkehrsmanagement der | |
| Senatsverwaltung entwickelte Idee. „Die Pop-Up-Radwege sind vielleicht das | |
| Beste, was den Radfahrenden in Berlin seit Langem passiert ist“, findet | |
| [3][ADFC]-Sprecherin Lisa Feitsch. „Auf vormaligen Albtraumstrecken wie dem | |
| Kottbusser Damm wurde Radfahren quasi über Nacht sicherer und machte | |
| plötzlich Spaß.“ ADFC und Changing Cities finden aber auch, dass es jetzt | |
| schnell weitergehen muss. | |
| ## „In der Geschwindigkeit wie im Frühjahr“ | |
| Eigentlich müsse „in der Geschwindigkeit wie im Frühjahr“ weitergemacht | |
| werden, um die Ziele des Mobilitätsgesetzes umzusetzen, meint Denis Petri. | |
| „Wir erleben aber, dass nach anfänglicher Aktivität nun wieder auf allen | |
| Ebenen nichts passiert.“ Konkret kritisiert Petri den Fall der Neuköllner | |
| Hermannstraße, die sich seiner Meinung nach „super“ für einen | |
| Pop-up-Streifen eignet, wo aber die beteiligten Behörden nach langem Hin | |
| und Her jetzt gleich auf die dauerhafte Anordnung abzielen. Was dauern | |
| wird. | |
| Friedrichshain-Kreuzberg plant 2021 neben der Verstetigung der aktuellen | |
| Pop-up-Streifen auch auf einigen Straßenabschnitten von vornherein | |
| dauerhafte geschützte Radstreifen, etwa auf der Revaler Straße und an der | |
| East Side Gallery. Hinzu kommt die Verstetigung temporär angelegter | |
| Fahrradstraßen: auf dem Zug Palisadenstraße–Weidenweg–Rigaer Straße in | |
| Friedrichshain sowie auf der Körte- und Grimmstraße in Kreuzberg. | |
| Im Rest der Stadt sieht es eher trübe aus. Warum das so ist? Während sich | |
| in einigen Bezirken der Enthusiasmus der zuständigen PolitikerInnen in | |
| Grenzen hält, sieht Oliver Schruoffeneger, grüner Verkehrsstadtrat von | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf, auch die Senatsverwaltung in der Bringschuld: | |
| Der Pop-up-Radstreifen auf der Kantstraße in seinem Bezirk, der allein 40 | |
| Prozent aller Berliner Pop-up-Kilometer ausmacht, funktioniert zwar für ihn | |
| nach anfänglichem „Rütteln“ ganz gut. Die Planung sei aber wegen vieler | |
| Geschäfte, Gastronomie und Parkplätze deutlich aufwändiger gewesen als etwa | |
| die Streifen an den eher leeren Kreuzberger Uferstraßen. | |
| Bei der anstehenden Verstetigung fühlt sich Schruoffeneger von der grünen | |
| Verkehrssenatorin Regine Günther etwas allein gelassen: „Wir haben die | |
| Verkehrsverwaltung mit der Bitte um Vermessungsleistungen angeschrieben, | |
| aber noch keine Antwort erhalten“, so der Stadtrat zur taz. Dort erwarte | |
| man offenbar, dass es überall so einfach gehe wie in der Kooperation mit | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. Aber: „Wir können mit unseren Mitteln hier nicht | |
| die Planung machen.“ Keine gute Voraussetzung für die rasche Anlage | |
| weiterer Radstreifen, die Schruoffeneger gerne hätte, etwas auf der | |
| Kaiser-Friedrich-Straße oder der Bismarckstraße. | |
| 4 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pop-up-Radstreifen-in-Berlin/!5717138 | |
| [2] https://changing-cities.org/ | |
| [3] https://adfc-berlin.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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