# taz.de -- Spitzenkandidat*innen für Landtagswahlen: Grüner und weiblicher | |
> Die Grünen in Berlin küren Bettina Jarasch zur Spitzenkandidatin für die | |
> Landtagswahl 2021. In BaWü darf Kretschmann feiern. | |
Bild: Führt die Berliner Grünen als Spitzenkandidatin in die Abgeordnetenhaus… | |
Berlin/Karlsruhe taz | Die [1][frühere Landesvorsitzende Bettina Jarasch] | |
soll die Berliner Grünen 2021 zum zweiten Wahlsieg bei einer Landtagswahl | |
führen und die erste Frau und Grüne an der Spitze des Stadtstaats werden. | |
Bei einem digitalen Parteitag am Samstag stimmten 96,6 Prozent der 150 | |
Delegierten für Jarasch. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus, dem Berliner | |
Landesparlament, steht im Herbst parallel zur [2][Bundestagswahl am 26. | |
September 2021] an. Derzeit sind die Grünen kleinster Partner einer | |
SPD-geführten rot-rot-grünen Koalition, waren aber in den jüngsten Umfragen | |
stärkste Kraft im linken Lager. Bundesweit führen die Grünen bislang nur in | |
Baden-Württemberg eine Landesregierung an. | |
Landes- und Fraktionsvorstand der Partei hatten Anfang Oktober überraschend | |
Jarasch als Spitzenkandidatin vorgeschlagen. Favoritinnen waren eigentlich | |
[3][Wirtschaftssenatorin Ramona Pop] (in Berlin heißen die Landesminister | |
Senatoren, d. taz) und [4][Fraktionschefin Antje Kapek] – in den | |
vergangenen Jahren ihre bekanntesten Gesichter der Grünen. Als Grund gelten | |
Schwierigkeiten, den Landesverband geschlossen hinter eine der beiden zu | |
bekommen. | |
Jarasch war zwar von 2011 bis 2016 Parteivorsitzende der Berliner Grünen | |
und führte in dieser Zeit mit ihrem Co-Vorsitzenden einen zeitweise tief | |
gespaltenen Landesverband wieder zusammen. Nachdem sie sich aber Anfang | |
2017 vergeblich um eine Kandidatur für die Bundestagswahl bewarb, | |
verschwand sie auf Jahre aus der vordersten Reihe und agierte als | |
religions-und flüchtlingspolitische Sprecherin der | |
Abgeordnetenhausfraktion. Außerhalb der Partei gilt sie weithin als | |
unbekannt. | |
In ihrer 25-minütigen Bewerbungsrede am Samstag sah sich Jarasch an einem | |
zentralen Punkt der Berliner Geschichte und als mögliche Regierungschefin | |
in einer Reihe mit den früheren Stadtoberhäuptern Adolf Wermuth, Willy | |
Brandt und Richard von Weizsäcker. „Es geht um nicht weniger, als den | |
Planeten zu retten“, sagt die 52-jährige gebürtige Augsburgerin, die für | |
ein Politologie-Studium nach Berlin kam, dem Realo-Lager der Partei | |
zugerechnet wird und stark in der katholischen Kirche engagiert ist. | |
## Kritik an Koalitionspartner SPD | |
Jarasch stellte ebenso wie der Landesvorstand in einer kurzen Rede die | |
Grünen als treibende Kraft in der jetzigen rot-rot-grünen Landesregierung | |
dar und als verantwortlich für mehr Mieterschutz, den Beginn einer | |
Mobilitätswende und mehr Ökologie in der 3,8-Millionen-Stadt. In Richtung | |
des grünen Regierungspartners SPD sagte Jarasch, es sei nicht | |
verantwortungsvoll, „wenn ihr jetzt so tut, als wärt ihr die Opposition.“ | |
Die Berliner Sozialdemokraten hatten zwei Wochen zuvor bei einem Parteitag | |
Bundesfamilienministerin [5][Franziska Giffey zur Landesvorsitzenden | |
gewählt] und zwei Tage später auch zur Spitzenkandidatin gekürt. Michael | |
Müller als aktueller Regierende Bürgermeister, wie der Ministerpräsident in | |
Berlin heißt, tritt nicht erneut an. Er will stattdessen in den Bundestag | |
und strebt ein Ministeramt an. | |
Gleich zwei mal versprach Jarasch, dass die Grünen eine Klimawende | |
sozialverträglich gestalten würden – die SPD hatte der Partei zuletzt | |
mehrfach vorgeworfen, das außer Acht zu lassen. „Ohne soziale | |
Nachhaltigkeit keine ökologische Transformation“, sagte Jarasch. Ihr | |
Regierungsstil soll ausdrücklich kein Macher-Stil sein, sondern einer, der | |
vorrangig auf Bündnisse und Kompromisse setzt. Als Beispiel nannte Jarasch | |
einen „KlimabürgerInnen-Rat“, den ihre Fraktion am Dienstag beschlossen | |
habe. Das soll laut Jarasch zu „radikal-vernüftigen Lösungen“ führen. | |
„Zusammen noch viel weiter“ war auch das Motto des Parteitags. | |
In einer Videobotschaft hatte [6][Grünen-Bundesvorsitzende Annalena | |
Baerbock] für Jarasch geworben: Die sei „aus Augsburg und doch vom Land, | |
gläubig und grün – eine Frau mit Power, eine Mutter, die weiß, was wirklich | |
zählt, wenn es darum geht Prioritäten zu setzen.“ | |
## Kretschmann siegt bei Parteitag in Baden-Württemberg | |
Auch in Baden-Württemberg versammelten sich am Samstag die Grünen zum | |
digitalen Parteitag. Dort bestätigten sie [7][Ministerpräsidenten Winfried | |
Kretschmann] mit 91,47 Prozent als Spitzenkandidaten. Es dürfte das wohl | |
letzte Mal sein. Kretschmann möchte nach der jetzigen, dritten Kandidatur, | |
nicht noch mal antreten. Und die Grünen im Südwesten wissen, was sie an dem | |
grünen Konservativen haben. Nur er kann einen weiteren Wahlerfolg | |
garantieren. | |
Kretschmann dankt spitzbübisch für das Ergebnis, auch für die Abgabe der | |
wenigen Gegenstimmen. Das zeige, dass die Wahl echt ist, sagt er. | |
Bei der letzten Landtagswahl 2016 sah es schon einmal so aus, als würde der | |
erste Grüne Ministerpräsident eine Episode in dem ansonsten fast immer | |
schwarz regierten Baden-Württemberg bleiben. Doch wenn auch von beiden | |
Seiten ungewollt, war es die AfD, die mit ihrem Einzug ins Parlament der | |
CDU entscheidende Sitze wegnahm und den Grünen die Mehrheit sicherte. Mit | |
gravierenden Folgen für die politische Kultur im Land. | |
Diesmal könnte eine Kleinstpartei vom Fleisch der Grünen dafür sorgen, dass | |
es gerade nicht mehr reicht für einen Grünen Ministerpräsidenten: Die | |
Klimaliste ist noch damit beschäftigt, in jedem Wahlkreis überhaupt | |
genügend Unterstützer zu finden. Doch hat Kretschmann sie schon vor Wochen | |
zum politischen Gegner geadelt. Sie könnten schon jetzt dafür sorgen, dass | |
sich die Kretschmann-Grünen in diesmal Wahlkampf nicht bis zur | |
Verwechselbarkeit der CDU anverwandeln. | |
## Kohleausstieg 2030 | |
Schon beim letzten Parteitag in Sindelfingen hatte Kretschmann gesagt, dass | |
[8][die Fridays-For-Future-Bewegung] ihm zu einem „radikaleren Sound“ | |
verholfen hatte. Natürlich appelliert Kretschmann trotzdem auf dem | |
Parteitag in Reutlingen gewohnt präsidial an den gesellschaftlichen | |
Zusammenhalt. Aber er watscht auch gleich die Corona-Demonstranten ab „die | |
wohl eher verquer als quer denken“. Er lobt pflichtgemäß den schwäbischen | |
Tüftlergeist, der die Grundlage für den baden-württembergischen Wohlstand | |
sei. Aber er sagt auch, dass die tiefgreifenden Veränderungen gestaltet | |
werden müssen. Etwa die Dekarbonisierung von Industrie und | |
Individualverkehr. Dazu gehöre auch ein [9][Kohleausstieg schon bis 2030]. | |
Es geht den Landes-Grünen nach zehn Jahren als Regierungspartei an diesem | |
Wochenende darum, ein Bild der Ge- und Entschlossenheit abzugeben. Zuletzt | |
hatte das gelitten. Da ist koalitionärer Kleinkampf mit Kultusministerin | |
Susanne Eisenmann über die Frage, ob und wann die Schulen vor den | |
Weihnachtsferien wegen der Pandemie geschlossen werden. Eine Debatte, die | |
weder Kretschmanns Herausforderin noch den Grünen genutzt hat. Zumal er | |
sich doch eigentlich mit der CDU-Spitzenkandidatin darauf verständigt | |
hatte, keinen Wahlkampf mit [10][Corona] zu führen. | |
Und da muss ausgerechnet der grüne Umweltminister Franz Untersteller mit | |
über 170 in der 120er-Zone gestoppt werden. Vor allem aber haben die Grünen | |
die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart leichtfertig aus der Hand gegeben. | |
„Ein Schuss vor den Bug sei das gewesen“, sagt Kretschmanns | |
Regierungssprecher und grüner Langzeitstratege Rudi Hoogvliet in der | |
Stuttgarter Zeitung. Und warnt: „Wir werden die Landtagswahl nicht im | |
Schlafwagen gewinnen.“ | |
Deshalb würzt die grüne Landesvorsitzende Sandra Detzer ihre | |
Begrüßungsworte auf dem Parteitag mit viel Pathos und einem bemerkenswert | |
anhaltenden Lächeln. Aber sie setzt auch den ersten Akzent gegen die CDU | |
als Koalitionspartner, der ein Klotz am Bein der Grünen gewesen sei. Die | |
CDU habe eine Reform des Wahlrechts und an vielen Stellen mehr Klimaschutz | |
verhindert. Das ist schon richtig, lag aber wohl auch daran, dass der | |
Ministerpräsident in den letzten fünf Jahren lieber das eine oder andere | |
Grüne Ziel hintanstellte – um des lieben Koalitionsfriedens willen. Und so | |
weigert sich Kretschmann, im heraufziehenden Wahlkampf eine | |
Koalitionsaussage zu treffen. | |
Dass der Parteivorstand eine rot-rot-grüne Regierung ins Spiel gebracht | |
hat, dürfte Kretschmann nicht gefallen, zumal die Linkspartei wenig | |
Aussicht auf einen Einzug in den Landtag hat und die Landes-SPD wegen | |
chronischer Schwäche als alleiniger Partner ausfallen dürfte. | |
Auf dem Landesparteitag, der wegen der Pandemie wie überall nur digital | |
stattfindet, präsentieren sich die Grünen deshalb grüner, als sie es sich | |
das im letzten Wahlkampf getraut haben. Ein erster Wahlwerbespot listet die | |
umweltpolitischen Erfolge der beiden grünen Regierungsperioden vom | |
Nationalpark bis zum Artenschutzgesetz auf. Robert Habeck sagt in einer | |
Videobotschaft, Kretschmanns Regierungszeit sei eine „Grünpause“ für die | |
Bundespartei. Schließlich wird von der ersten Landtagswahl im Jahr 2021 ein | |
wichtiges Signal für die Grünen im Bund ausgehen. Kretschmann, vom Lob des | |
Bundesvorsitzenden und dem Wahlergebnis sichtlich geschmeichelt, sagt: „Ich | |
werde alles geben.“ | |
12 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-Spitzenkandidatin-Bettina-Jarasch/!5725077 | |
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[6] /Annalena-Baerbock-ueber-Kanzlerinnenamt/!5734264 | |
[7] /Winfried-Kretschmann-aergert-die-Gruenen/!5710323 | |
[8] http://www.medienconcret.de/files/content/archiv/2020/Finger%20in%20die%20W… | |
[9] /Kommentar-Kohleausstieg-2030/!5602244 | |
[10] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Benno Stieber | |
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