| # taz.de -- Baerbock will ins Kanzleramt: Sie bestimmt | |
| > Annalena Baerbock formuliert ihre Ambitionen aufs Kanzleramt. Die | |
| > Schnappatmung bei männlichen Analytikern ist bemerkenswert. | |
| Bild: Der Blazer stimmt schon mal: Annalena Baerbock will mit den Grünen an di… | |
| Dass [1][Annalena Baerbock] beteuert, sich das Kanzleramt zuzutrauen, hat | |
| in etwa den Nachrichtenwert der Tatsache, dass sich viele Deutsche einen | |
| Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer stellen. Natürlich muss Baerbock sagen, dass | |
| sie das Amt ausfüllen könnte, was denn sonst? Puh, ey, nö, Kanzleramt, das | |
| ist mir ehrlich gesagt eine Nummer zu groß? | |
| Das wäre dann doch eine erstaunliche Wendung, nachdem die Grünen seit über | |
| einem Jahr betonen, das Land führen und die Union im Kampf um Platz eins in | |
| Deutschland herausfordern zu wollen. Nein, wenn die Grünen die | |
| KanzlerkandidatInnen-Frage möglichst lange offenhalten wollen, was sie | |
| wollen, dann muss auch Baerbock das tun, was ihr Co-Chef Robert Habeck im | |
| Sommer schon tat, nämlich Chuzpe demonstrieren. | |
| Aber ein paar Dinge sind an der Causa dann doch interessant. Es ist zum | |
| Beispiel bemerkenswert, welche Schnappatmung es im Jahr 2020 noch auslöst, | |
| wenn eine starke Frau einen Machtanspruch anmeldet. Kaum machten Baerbocks | |
| Sätze auf Twitter die Runde, feuerten männliche Westentaschen-Analytiker im | |
| Dutzend ihren Unfug ins Netz. | |
| Eine Grüne! Eine Frau! Das ist doch die, die mal Kobold statt Kobalt | |
| gesagt, sich also vor laufender Kamera versprochen hat! So weit, so blöd. | |
| Diese, nennen wir sie: liberalkonservative bis neurechte Trollbasis muss | |
| jetzt ganz, ganz tapfer sein. Die Grünen haben nämlich in der Tat eine – | |
| wenn auch sehr kleine – Chance aufs Kanzleramt. Wenn die CDU tatsächlich so | |
| dumm ist, Friedrich Merz Mitte Januar zu ihrem Vorsitzenden zu machen, ist | |
| alles möglich. | |
| ## Kampf um die Merkel-WählerInnen | |
| Der von sich total überzeugte Neoliberale produziert am laufenden Band | |
| Fehler, die die modern denkende [2][bürgerliche Mitte] nachhaltig verstören | |
| könnten. Würden aufgeschlossene und ökoaffine Konservative ihn wählen – | |
| oder doch lieber mit den versöhnlich daherkommenden Grünen flirten? Schwer | |
| zu sagen. Der Kampf um die Merkel-WählerInnen, die mit beinhartem | |
| Marktliberalismus ebenso fremdeln wie mit Merz' schneidiger | |
| Ich-Bezogenheit, wäre offen. | |
| Es ist gut denkbar, dass ein Kanzlerkandidat Merz die Union in die Nähe der | |
| 30-Prozent-Marke drückt, vielleicht sogar darunter. Damit wäre das grüne | |
| Traumszenario Wirklichkeit: eine Aufholjagd, in der die Grünen die Rolle | |
| des ambitionierten Verfolgers hätten. Selbst ein grün-rot-rotes Bündnis | |
| könnte mit Merz in Reichweite kommen. Die Klärung der K-Frage der Grünen | |
| ist deshalb mehr als reine Eigen-PR. | |
| Annalena Baerbocks Bedeutung in diesem Prozess kann man gar nicht | |
| überschätzen. Sie bestimmt, wo es langgeht. Wenn sie den Job der | |
| Kanzlerkandidatin will, wird ihn Robert Habeck ihr nicht verwehren können | |
| und wohl auch nicht verwehren wollen. Nicht nur, weil sie eine Frau ist und | |
| in einer feministischen Partei den ersten Zugriff hat, sondern auch, weil | |
| sie einen innerparteilichen Machtkampf gegen Habeck gewinnen würde. | |
| Baerbocks innergrüne Fanbasis ist groß und schlagkräftig. | |
| ## Im Dienst der Sache | |
| Nun braucht man aber Baerbock in ihrer kühlen Nüchternheit mit Parteilogik | |
| nicht zu kommen, sie blickt auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Und | |
| dort gilt die Frage: Wer ist am besten geeignet, Mehrheiten zu gewinnen? | |
| Das ist die entscheidende Kategorie, für beide in der Grünen-Spitze. Und | |
| Baerbock ist in der Lage, ihre persönlichen Ambitionen in den Dienst der | |
| Sache zu stellen. Auch das unterscheidet sie von einem Friedrich Merz. | |
| Wenn Habeck nach den [3][Landtagswahlen] in Baden-Württemberg und | |
| Rheinland-Pfalz in Umfragen zur Beliebtheit von PolitikerInnen weit vor ihr | |
| liegt, wird sie klug genug sein, das zu wägen. Noch etwas kommt hinzu: | |
| Manches spricht dafür, dass die Grünen auf einen „Yes, we can“-Wahlkampf … | |
| la Barack Obama setzen. Sie verbinden linksliberalen Wandel mit dem | |
| Versprechen auf eine gute Zukunft – und beschwören gleichzeitig die | |
| Notwendigkeit, das Verbindende in der Gesellschaft zu suchen. | |
| Wer verkörpert das am besten? Selbst CDU-Politiker bescheinigen Habeck ein | |
| Charisma, das man habe oder nicht, aber jedenfalls nicht erlernen könne. | |
| Die Grünen nehmen den Mund mit ihrem Versprechen, das Land führen zu | |
| wollen, sehr voll. Politik ist oft genug eine sich selbst erfüllende | |
| Prophezeiung. Wer ein großes Rad drehen will, muss kräftig auf den Gong | |
| schlagen können. | |
| Wenn die Grünen ihren Wahlkampf so oder ähnlich anlegen, wird sich Baerbock | |
| überlegen müssen, ob Habeck das nicht besser kann als sie. | |
| 21 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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