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# taz.de -- ÖPNV und Pandemie: Die tatenlose Deutsche Bahn
> Züge und Busse sind wegen Corona derzeit meistens leer. Kein Wunder, denn
> Bahn und Nahverkehrsbetreiber tun zu wenig für den Schutz der Reisenden.
Bild: Immerhin gibt es bei der Bahn jetzt Aufkleber
Der Gebrauchtwagenhandel erholt sich rasant von den Einbrüchen im Frühjahr.
Magazine und Zeitungen geben Tipps, wie notorische Bus- und BahnfahrerInnen
am günstigsten an einen vierrädrigen Untersatz kommen: Kaufen? Leasen? Oder
doch lieber Carsharing? Keineswegs nur PendlerInnen entscheiden sich in
diesen Wochen für ein Auto, berichten HändlerInnen.
Viele Menschen meiden Züge aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus.
Auch wenn sie es eigentlich nicht wollen, sehen sie sich gezwungen,
Alternativen zu suchen. Die Züge sind zurzeit nicht einmal zu einem Viertel
ausgelastet. Die Deutsche Bahn will, wie im Frühjahr, ihr Angebot an
Fernzügen im Großen und Ganzen trotzdem aufrechterhalten. Das ist gut.
Aber: Das ist auch das Einzige, was die BahnmanagerInnen in der Coronakrise
richtig machen.
Die Deutsche Bahn ist in einer Vertrauenskrise, die sie selbst zu
verantworten hat. Die unzureichende Reaktion auf die Furcht vor Ansteckung
vertreibt KundInnen. Gebetsmühlenartig wiederholen die Verantwortlichen,
dass Bahnfahren sicher sei. Möglicherweise ist das so, möglicherweise
nicht. Es gibt dazu jede Menge Annahmen, aber keine verlässlichen Studien.
Das sichtbarste Misstrauensvotum gegen die Tatenlosigkeit der Deutschen
Bahn war die inzwischen zurückgenommene Erlaubnis des Bundes, dass seine
Beschäftigten für den Platz neben sich eine Fahrkarte und eine Reservierung
auf Kosten der Steuerzahlenden kaufen dürfen, damit sich kein
möglicherweise mit dem Coronavirus infizierter Passagier neben sie setzt.
Dieses allgemein verbreitete Misstrauen ist das Resultat einer desolaten
Reservierungspolitik, die viel zu spät auf die Krise reagiert hat. Seit
Sommer sind in den Fernzügen der Deutschen Bahn nur noch Fensterplätze
reservierbar. Seit der vergangenen Bund-Länder-Konferenz sind jetzt etwa
auch Bereiche für gemeinsam Reisende möglich. Das Problem: Plätze werden
weiterhin nicht gesperrt.
Bei hohem PassagierInnenaufkommen, womöglich schon in der
Vorweihnachtszeit, spätestens ab dem Frühjahr, werden die Abstandsregeln
nicht einzuhalten sein. Dabei gibt es durchaus Erfahrungen mit der
händischen Sperrung von Plätzen im Zug, etwa in den Niederlanden oder in
Italien. Für den Eurostar nach Großbritannien wird nur jeder zweite Platz
verkauft.
Von einer generellen Reservierungspflicht, die auf den ersten Blick viele
Probleme lösen könnte, wollen die Verantwortlichen der Deutschen Bahn
nichts wissen. Denn die würde die Kapazitäten erheblich senken und
spontanes Fahren unmöglich machen, argumentieren sie. Da ist etwas dran:
Dass die Bahn jederzeit nutzbar ist, ist ein großer Vorteil. Es spricht
vieles dafür, keine Reservierungspflicht einzuführen. Aber statt kluge
Alternativen zu entwickeln, machen die Verantwortlichen: nichts. Sie
verweisen auf Hygieneteams, die verstärkt zum Einsatz kommen. Das reicht
nicht.
[1][Auch für die üblichen Probleme, die in der Coronakrise möglicherweise
fatale Folgen haben], bieten die Bahnverantwortlichen keine Lösungen an. Zu
Recht ärgern sich Fahrgäste über das Informationschaos auf Bahnsteigen,
wenn Züge nicht oder zu spät kommen, Bahnsteige kurz vor Einfahrt des Zugs
gewechselt werden oder sich die Wagenreihung ändert. Die Folge:
Menschenmengen schieben sich über Treppen und durch Waggons;
[2][Mindestabstände zu halten ist unmöglich]. In Geschäften und Behörden
gibt es einfache Leitsysteme, damit KundInnen in eine Richtung gehen und
sich nicht entgegenkommen. In den viel engeren Bahnwaggons zwängen sich
Fahrgäste mit Körperkontakt aneinander vorbei.
In Italien sind die Türen in Zügen für ausschließliches Ein- oder
Aussteigen gekennzeichnet. Zugbegleiter werden dazu angehalten, auf den
Mindestabstand von 1,5 Metern zu achten. PendlerInnen bekommen einen Beutel
mit Desinfektionsmittel, Schutzmaske und einem frischen Tuch für die
Kopfstütze. Auf dem Boden der Waggons zeigen Pfeile, in welche Richtung
sich Reisende bewegen sollen. In den Zügen der Deutschen Bahn gibt es das
nicht, damit die Reisenden zur Toilette und zurück gehen können, heißt es.
Das ist nicht überzeugend, denn dieser Fall ist mit einer Extraregel sicher
zu bewältigen.
## Drängelei im Berufsverkehr
Die Missstände in den Fernzügen der Deutschen Bahn sind erst recht im
öffentlichen Nahverkehr zu beobachten. Vielerorts drängeln sich
PendlerInnen im Berufsverkehr in Bussen und Bahnen. Auch wenn es hier
ebenfalls keine belastbaren Studien gibt: Wer soll glauben, dass überfüllte
Fahrzeuge kein Infektionsrisiko bergen? In anderen Ländern wird die Lage
im öffentlichen Verkehr nicht so auf die leichte Schulter genommen wie
hierzulande.
In Argentinien sollen in Stoßzeiten nur Angehörige sogenannter
essenzieller Berufe den ÖPNV nutzen. In Japan fahren die Nahverkehrsbahnen
mit geöffneten Fenstern, um Luftdurchzug zu gewähren – eine Maßnahme, die
bereits in den USA und anderen Ländern zu Zeiten der Spanischen Grippe 1919
ergriffen wurde. In Deutschland dagegen schicken Verkehrsbetriebe mitten im
Berufsverkehr Leute für die Fahrkartenkontrolle los. Wo sind
Desinfektionsspender und Servicekräfte, die für Abstand sorgen?
Leitsysteme, um Fahrgastströme zu lenken?
KundInnen zurückzugewinnen wird schwer sein. Dabei gibt es auch in
Deutschland kluge Ansätze. In Tübingen etwa können SeniorInnen, statt mit
dem Bus zu fahren, zum gleichen Preis ein Sammeltaxi nutzen. Solange das
ein Angebot und keine Pflicht ist, weist das in die richtige Richtung – in
Richtung Verkehrswende. Um die Krise des öffentlichen Verkehrs zu
überwinden, muss schnell etwas geschehen. Dazu gehört nicht nur die rasche
Einführung überzeugender Schutzmaßnahmen. Nötig ist auch ein großer
politischer Aufschlag für die überfällige Bahnreform und die Neuaufstellung
des ÖPNV. Busse und Bahnen müssen besser und viel billiger werden.
30 Nov 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Anja Krüger
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