| # taz.de -- EU-Haushaltsstreit: Eine populistische Erpressung | |
| > Der EU-Haushalt 2021–2027 ist tatsächlich in Gefahr. Die Bürger:innen in | |
| > Polen und Ungarn müssen erfahren, was ihnen das Rechtsstaatsverfahren | |
| > bringt. | |
| Bild: Viktor Orban fordert gemeinsam mit Polen nichts Geringeres als das Recht … | |
| „Veto oder der Tod“ – mit dieser dramatischen Parole tragen Polens | |
| Nationalpopulisten ihren Kulturkampf nun auch in die Europäische Union. | |
| Anfang dieser Woche legten die miteinander befreundeten Premierminister von | |
| Ungarn und Polen, Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki, [1][ihr Veto gegen | |
| den EU-Haushalt] für die nächsten sieben Jahre und gegen das | |
| Coronahilfspaket ein. Auf dem Spiel stehen über 1 Billion Euro für alle 27 | |
| EU-Mitgliedsländer und noch einmal 750 Milliarden Euro an Zuschüssen und | |
| Krediten für den Wiederaufbau in der Post-Corona-Zeit. Ohne einen | |
| einstimmigen Haushaltsbeschluss kann das Geld nicht fließen. Die Forderung | |
| Polens und Ungarns ist so ungeheuerlich, dass die übrigen EU-Mitglieder | |
| noch unter Schockstarre stehen, auch und gerade Deutschland, das noch bis | |
| Jahresende den EU-Ratsvorsitz innehat und nun eine Lösung finden soll. | |
| Budapest und Warschau fordern [2][nichts Geringeres als das Recht auf den | |
| Rechtsbruch] in der EU. Mit ihrem Veto wollen sie den gerade erst von der | |
| Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen | |
| Rat beschlossenen Rechtsstaatsmechanismus aushebeln. Das Geld aus Brüssel | |
| soll auch dann fließen, wenn der Regierung eines Mitgliedstaates | |
| Korruption, Betrug oder Missachtung der europäischen Grundwerte | |
| nachgewiesen werden kann. Mit dem Veto riskieren Polen und Ungarn auch die | |
| Milliardenzuschüsse, die sie selbst als Nettoempfänger aus dem EU-Haushalt | |
| bekommen würden. | |
| Dass es in den Zivilgesellschaften Ungarns und insbesondere Polens zu | |
| keinem Aufschrei und keinen Massendemonstrationen kommt, hat mit der | |
| nationalpopulistischen Sprache der beiden Premiers zu tun. Im Wechselbad | |
| von Nationalstolz und Nationalkränkung fällt es den meisten Polen und | |
| Ungarn schwer, die Entscheidungen ihrer Politiker eine rationalen Analyse | |
| zu unterziehen. So setzt Orbán die EU, die künftig Demokratie und | |
| Rechtsstaat stärker verteidigen will als bisher, mit der längst | |
| vergangenen, aber immer noch verhassten Sowjetunion gleich. Die Ungarn, | |
| lange Jahre unterdrückt und gedemütigt, befreiten sich im Wendejahr | |
| 1989/1990 selbst. Einer erneuten Sowjetisierung, dieses Mal durch die EU, | |
| so Orbán, könnten die Ungarn nicht zustimmen. | |
| In Polen wiederum behauptet Jarosław Kaczyński, der Chef der | |
| nationalpopulistińschen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und | |
| seit Kurzem auch Vizepremier, dass die EU noch schlimmer sei als die | |
| Kommunisten. Brüssel wolle den Menschen an der Weichsel Werte aufzwingen, | |
| die der Kultur Polens völlig fremd seien. | |
| Zbigniew Ziobro, der Chef des PiS-Juniorpartners Solidarisches Polen, | |
| Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person, tischt den | |
| Pol:innen dann auch noch eine Verschwörungstheorie auf. Angeblich plane das | |
| „deutsche und europäische Establishment“ eine Revolution, um die EU zu | |
| einem Großstaat mit der Hauptstadt Brüssel oder vielleicht auch Berlin | |
| umzubauen. Ziobro behauptet, dass sich das Haushaltsveto Polens sogar | |
| finanziell für die Polen auszählen würde, Der provisorische Haushalt, der | |
| bei dem Veto am 1. Januar in Kraft trete, sei nämlich der alte, der für | |
| Polen viel günstiger sei als der neue mit seinen Flüchtlingshilfen für die | |
| Südländer in der EU. | |
| Auf dem EU-Gipfel am 10. und 11. Dezember soll die Entscheidung über den | |
| Haushalt fallen. Dann muss die „Veto oder der Tod“-Parole vom Tisch sein. | |
| Gelingen kann das nur, wenn – trotz Corona – möglichst viele | |
| EU-Regierungschefs nach Polen und Ungarn kommen, um den Menschen zu | |
| erklären, wie der Rechtsstaatsmechanismus funktioniert und dass er ihre | |
| ureigenen Rechte schützen wird. Angela Merkel sollte die Vetofrage zur | |
| Chefsache machen und nach Warschau und Budapest kommen. [3][Keine Lösung | |
| wäre es, den Rechtsstaatsmechanismus um des lieben Friedens willen | |
| aufzugeben]. Das wäre das Ende der EU. | |
| 20 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Budgetkrise-in-der-EU/!5725451 | |
| [2] /Streit-um-Rechtsstaat-und-EU-Haushalt/!5729339 | |
| [3] /Blockierte-EU-Haushaltsverhandlungen/!5729626 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
| ## TAGS | |
| EU-Haushalt | |
| Polen | |
| Ungarn | |
| Viktor Orbán | |
| PiS | |
| Polen | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Europäische Union | |
| EuGH | |
| Ungarn | |
| Europäische Union | |
| Ungarn | |
| EU-Budget | |
| EU-Budget | |
| Rechtsstaatlichkeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| EuGH und Polens Justiz: Die PiS wird’s nicht scheren | |
| Im Streit um Richterberufungen stärkt der EuGH die Kritiker der polnischen | |
| Regierung. Aber diese hat längst vorgesorgt, um den EuGH zu umgehen. | |
| Einigung über EU-Haushalt: Blockade verhindert | |
| Die EU hat sich auf den Haushalt und einen Hilfsfond wegen Corona geeignet. | |
| Auch den Blockierern Ungarn und Polen kommt sie entgegen. | |
| Streit vor EU-Gipfel: Merkel muss um ihre Bilanz bangen | |
| Auf dem letzten EU-Gipfel unter deutschem Vorsitz droht viel Ärger. Beim | |
| Haushaltsstreit mit Polen und Ungarn scheint jedoch ein Kompromiss in | |
| Sicht. | |
| Europäische Union im Jahr 2020: Club der Egoisten | |
| Der deutsche EU-Vorsitz hat Europa nicht aus der Krise geholt. Im | |
| Gegenteil: Es ist alles nur noch schlimmer geworden. | |
| Klage gegen EU-Parlament: Ungarn droht vor EuGH zu scheitern | |
| Der Generalanwalt hat keine Bedenken, das Rechtsstaats-Verfahren gegen | |
| Ungarn weiterlaufen zu lassen. Das Land hatte die Abstimmung kritisiert. | |
| Sexparty in Brüssel: Orbáns heuchlerischer Vollstrecker | |
| Ausgerechnet ein Vertrauter von Ungarns homofeindlichen Premier Orbán wurde | |
| bei einer schwulen Sexparty erwischt. József Szájerer ist zurückgetreten. | |
| Streit um Rechtsstaatlichkeit in EU: Patt in Brüssel | |
| Der Budgetstreit geht weiter, Ungarn und Polen bestehen auf ihrem Veto. Das | |
| Europaparlament ist in Rage, Merkel scheut bislang vor einem Bruch zurück. | |
| Streit um das EU-Budget: Rauchzeichen aus Budapest | |
| Ungarns Premier Viktor Orbán deutet die Möglichkeit eines Kompromisses an. | |
| Doch der Verdacht liegt nahe, dass er damit nur Zeit gewinnen will. | |
| Budgetkrise in der EU: Am besten „aussitzen“ | |
| Nach dem Veto Ungarns und Polens gegen den EU-Haushalt muss der deutsche | |
| Ratsvorsitz einen Weg aus der Blockade finden. Nur wie? | |
| Blockierte EU-Haushaltsverhandlungen: Auch Merkels Fehler | |
| Die EU muss gegenüber Ungarn und Polen klare Kante zeigen. Für die | |
| Eskalation ist aber auch die passive Rolle der Kanzlerin im Sommer | |
| verantwortlich. | |
| Streit um Rechtsstaat und EU-Haushalt: Ungarn und Polen blockieren | |
| Der Streit um die Bindung von EU-Geldern an Rechtsstaatsprinzipien | |
| eskaliert. Ungarn und Polen legen ein Veto gegen die Corona-Aufbaufonds | |
| ein. |