# taz.de -- Nord-Schulen bleiben offen: Unterricht um jeden Preis | |
> Die Corona-Infektionen steigen, erste Schulen schließen. Die politisch | |
> Verantwortlichen in Norddeutschland setzen aber weiter auf | |
> Präsenzunterricht. | |
Bild: Mittlerweile gibt's vielerorts Maskenpflicht. Die Infektionszahlen an den… | |
HANNOVER/HAMBURG/KIEL/BREMEN taz | Es war nicht bloß die [1][schiere Zahl | |
von Coronafällen an der Ida-Ehre-Schule], die Hamburg aufgeschreckt hat – | |
es war auch die Verteilung der Infizierten. 55 der knapp 1.200 freiwilligen | |
Coronatests bei Lehrenden und Lernenden waren positiv, die infizierten | |
Schüler*innen verteilten sich auf 25 Schulklassen. | |
Nun bleibt die neunstufige Stadtteilschule Schule bis Ende kommender Woche | |
geschlossen und der Unterricht findet digital statt. [2][Auch anderswo | |
fragen sich die Eltern], wann es bei ihnen wohl soweit sein wird. Denn | |
immer mehr Schulen schicken ganze Jahrgänge und Klassen nach Hause. | |
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), der am Präsenzunterricht festhalten | |
will, bemühte sich prompt, das Problem im Freizeitverhalten der | |
Schüler*innen zu verorten, viel zu leichtsinnig seien die. | |
„Der Unterschied zwischen den Maßnahmen innerhalb und außerhalb der Schule | |
vermittelt den Schüler*innen ein falsches Bild“, kontern die | |
Kreisschülerräte Eimsbüttel 1 und 2, in den vollen Klassenräumen seien | |
beispielsweise die Abstände gar nicht einzuhalten. Sie fordern die | |
sofortige Einführung der Hybridbeschulung an allen Hamburger Gymnasien und | |
Stadtteilschulen. | |
## Wachsende Zweifel | |
Damit sind sie nicht allein: Auch in anderen Bundesländern wächst der | |
Zweifel, ob sich die unbedingte Marschrichtung, die Schulen so lange und so | |
weit wie möglich offen zu halten, noch lange durchhalten lässt. | |
Im niedersächsischen Landtag hat die FDP am Mittwoch eine aktuelle Stunde | |
zum Thema beantragt. „Noch vor ein paar Wochen wurden alle Schüler und | |
Lehrer einer Klasse oder sogar eine ganze Kohorte getestet und in | |
Quarantäne geschickt, wenn es einen bestätigten Fall in ihren Reihen gab“, | |
sagte der schulpolitische Sprecher Björn Försterling (FDP). | |
Mittlerweile sei die Infektionslage viel dramatischer und das Gegenteil sei | |
der Fall: Weil die Gesundheitsämter heillos überlastet seien, werden kaum | |
noch Quarantänen angeordnet, so Försterling. Lehrer*innen, die gerade noch | |
infizierte Schüler*innen betreut haben, müssten ohne Test munter weiter | |
unterrichten. | |
## Schulen übernehmen Aufgaben des Gesundheitsamts | |
Schüler*innen werden ins Distanzlernen geschickt – aber die betreuenden | |
Eltern können ihren Verdienstausfall nicht geltend machen, weil es keine | |
amtliche Anordnung gebe. | |
Die Region Hannover, die es – zur Entlastung der Gesundheitsämter – den | |
Schulleiter*innen überlassen wollte, wieder in das Wechselmodell aus | |
Präsenz- und Distanzunterricht, das sogenannte Szenario B, zu gehen, wurde | |
vom Kultusministerium zurückgepfiffen. | |
Die Schulen seien pandemiefest, es gelte mit Ruhe und Entschlossenheit Kurs | |
zu halten, sagte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am Mittwoch im | |
Landtag. Die grüne Opposition wirft ihm unterdessen vor, in Sachen | |
überfüllter Schulbusse und Ausstattung mit digitalen Endgeräten keinen Deut | |
weiter zu sein als im Sommer. | |
[3][Auch in Bremen gärt es an den Schulen und in der Elternschaft.] Die | |
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert schon seit Juni, den | |
Unterricht an allen Schulen in Halbgruppen abzuhalten, damit die Abstände | |
in den Klassenräumen eingehalten werden können. | |
Aber die Landesregierung lehnt dies ab. Es gebe zu viele Schüler*innen, die | |
dann abgehängt werden, weil sie zu Hause nicht lernen könnten, sagte am | |
Mittwoch die Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) der | |
taz. | |
## Bremen will „schulscharfe Maßnahmen“ | |
Außerdem sei das Infektionsgeschehen an den Schulen zu unterschiedlich. | |
Manche seien stark betroffen, andere hätten noch nicht einen einzigen Fall | |
gehabt. Daher sollen die Schulen jetzt selbst über „schul- und | |
jahrgangsscharfe Maßnahmen“ entscheiden, wie die Senatorin den | |
Schulleitungen am Dienstagnachmittag in einem Schreiben mitgeteilt hatte. | |
Aber auch erst wenn, wie es in dem Schreiben heißt, „1/4 der Schüler*innen | |
einer Quarantäneanordnung unterliegen oder mit dem vorhandenen | |
unterrichtenden Personal der Regelbetrieb nicht uneingeschränkt | |
aufrechterhalten werden kann“. | |
Das ist nicht weit entfernt von der niedersächsischen Regelung, die erst ab | |
einer Inzidenz von 100 und einer vom Gesundheitsamt angeordneten | |
Infektionsschutzmaßnahme den Wechsel in das Szenario B vorsieht. Das dann | |
aber auch nur für 14 Tage. | |
## Ausweitung der Maskenpflicht | |
Eine Pflicht, Klassen zu halbieren oder ganz auf digitalen Unterricht zu | |
setzen, gibt es in Bremen hingegen nicht. Stattdessen sollen die | |
Schulleitungen anhand einer Checkliste prüfen, inwiefern dies überhaupt | |
umgesetzt werden kann. Unter anderem sei die „digitale Kompetenz dzu er | |
Lehrkräfte“ zu berücksichtigen. | |
Auch eine Ausweitung der Maskenpflicht hatte Bremen noch vor wenigen Tagen | |
ausgeschlossen. Aber jetzt werde eine Maskenpflicht ab Klasse 7 geprüft und | |
möglicherweise nächste Woche beschlossen, so Bogedans Sprecherin. | |
In Niedersachsen gilt die Maskenpflicht im Unterricht ab einer Inzidenz von | |
50 schon ab der fünften Klasse, in Schleswig-Holstein auch – wobei hier bei | |
dieser Inzidenz auch Jüngere schon Maske tragen sollen. An einem Maximum an | |
Präsenzunterricht hält Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien | |
(CDU) genauso fest wie ihre Amtskolleg*innen. | |
Und die Elternschaft in Schleswig-Holstein kann die Entscheidungen zum | |
Schutz gegen die Pandemie anscheinend durchaus nachvollziehen, so | |
jedenfalls das Ergebnis einer nicht repräsentativen Umfrage, die der | |
Landeselternbeirat der Gemeinschaftsschulen gestartet hat. | |
Bei insgesamt rund 7.000 Antworten fielen gut die Hälfte eher positiv aus, | |
rund 1.400 waren unentschlossen. Allerdings stimmten auch 1.212 Befragte | |
den Maßnahmen nicht zu – wenn auch aus verschiedenen Gründen, wie eine | |
weitere Frage zeigt: Die eine Hälfte, 740 Befragte, fanden die Maßnahmen | |
„überhaupt nicht ausreichend“, die andere Hälfte, 741, bewerten sie als | |
„viel zu viel“. | |
Elternbeiratssprecher Thomas Muschinski verwies darauf, dass viele Eltern | |
mangelnde Informationen beklagten. Eine erste Umfrage des Elternbeirats | |
musste gestoppt werden, da Gegner*innen der Maskenpflicht mehrfach | |
abgestimmt und das Ergebnis verfälscht hatten. Muschinski war sogar bedroht | |
worden. | |
## Stures Festhalten und Durchhalteparolen | |
„Wir tanzen nicht aus der Reihe der Bundesländer, die zum Teil wesentlich | |
höhere Inzidenzraten haben als Hamburg“, übte sich Hamburgs Schulsenator | |
Rabe am Mittwoch in der Bürgerschaftssitzung in Durchhalteparolen. | |
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (beide SPD) fügte hinzu, viele Eltern | |
schrieben die Behörden mit der Bitte an, die Schulen unbedingt offen zu | |
halten. | |
[4][Die Opposition schoss sich auf Rabe ein.] Dennis Thering (CDU) | |
bemängelte die „grottenschlechte Corona-Schulpolitik“ des Senats, dessen | |
Beharren auf einem flächendeckenden Präsenzunterricht „längst von der | |
Realität und dem unkontrollierten Infektionsgeschehen an unseren Schulen“ | |
überholt worden sei. | |
Und Anna von Treuenfels (FDP) warf Rabe vor, in einer Mischung „aus | |
Sturheit und totalem Realitätsverlust die Gesundheit von weit über 100.000 | |
Schüler*innen und 200.000 Eltern“ zu gefährden“, weil er, statt digitale | |
Lehrformen zu entwickeln, an der Präsenz festhalte. | |
12 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Zunehmende-Coronafaelle-an-Schulen/!5722656 | |
[2] /Kein-Schutz-im-Klassenraum/!5726485/ | |
[3] /Corona-Praevention-an-Bremer-Schulen/!5726755/ | |
[4] /Schulbetrieb-waehrend-Corona/!5723480 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
Esther Geißlinger | |
Eiken Bruhn | |
Marco Carini | |
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