# taz.de -- Franziska Giffey soll Berlins SPD retten: Schnell noch das Ruder ru… | |
> Am Samstag sollen die Familienministerin und Raed Saleh zur neuen | |
> SPD-Doppelspitze gewählt werden. Aber tragen die Genossen den | |
> Rechtsschwenk mit? | |
Bild: Sitzen im selben Boot: Raed Saleh und Franziska Giffey | |
Berlin taz | Gute Vorsätze wünschen sich die meisten normalerweise zum | |
neuen Jahr. Weil die Berliner SPD aber schon lange nicht mehr zur Norm | |
gehört, darf es mit dem Neustart ruhig auch mal Herbst werden. Wenn die 279 | |
Delegierten am kommenden Samstag im Hotel Estrel zu ihrem Landesparteitag | |
zusammenkommen, wählen sie mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey | |
und Fraktionschef Raed Saleh nicht nur zwei neue Landesvorsitzende. Sie | |
stimmen auch über einen deutlichen Ruck nach rechts ab. | |
Dass der Ton bei der SPD künftig mehr in Richtung CDU als Grüne und Linke | |
gehen wird, darauf haben Giffey und Saleh die Genossinnen und Genossen | |
bereits eingestimmt. In einem [1][Interview im Tagesspiegel] forderten sie | |
unter anderem mehr Polizei gegen Linksextremisten, den Bau des umstrittenen | |
Karstadt-Projekts am Herrmannplatz und den Bau neuer U-Bahn-Linien. Zuvor | |
hatte Saleh bereits betont, die Verkehrswende des rot-rot-grünen Senats | |
ausbremsen zu wollen. | |
Fast schon genüsslich stellte der CDU-Spitzenkandidat [2][Kai Wegner] am | |
Wochenende daraufhin die Frage nach dem Original und der Kopie. „Was die | |
künftige SPD-Landesspitze vorschlägt, steht im diametralen Gegensatz zu | |
dem, was die Sozialdemokraten in den letzten Jahren gemacht haben“, sagte | |
Wegner ebenfalls dem Tagesspiegel. „Offenbar war aus Sicht von Frau Giffey | |
und Herrn Saleh die Senatspolitik von Rot-Rot-Grün falsch. Diese | |
Einschätzung teile ich.“ | |
Mehr Polizei und ein Herz für U-Bahnen und Autofahrer: Selbst wenn die | |
Berliner SPD dabei beansprucht, das Original und nicht die Kopie zu sein, | |
stellt sich doch die Frage, ob die designierte Landesvorsitzende und | |
Spitzenkandidatin sowie ihr Mehrheitsbeschaffer für eine solche politische | |
Kehrtwende überhaupt genug Rückhalt in ihrer Partei haben? | |
Einen ersten Vorgeschmack auf ungemütliche Zeiten bekamen die Spitzensozis | |
bereits am Freitag. Nicht der von Giffey favorisierte ehemalige | |
Kulturstaatssekretär Tim Renner geht für die Neuköllner SPD ins Rennen um | |
ein Bundestagsmandat. Sieger der Mitgliederbefragung wurde der lokal | |
bestens vernetzte 35-jährige Hakan Demir. Demir bekam 51,95 Prozent der | |
abgegebenen Stimmen, Renner 45,18 Prozent. | |
In einem Jahr wird in Berlin gewählt. Laut jüngsten Umfragen steht die SPD | |
zwischen 15 und 18 Prozent, die Grünen kommen auf Werte zwischen 20 und 26 | |
Prozent, die CDU liegt bei 21 oder 22 Prozent und die Linke bei 15 bis 16 | |
Prozent. Wenn Franziska Giffey Regierende Bürgermeisterin werden will, muss | |
die SPD also noch gewaltig aufholen. Der Kurswechsel nach rechts ist dabei | |
fast ihr letzter Schuss. Denn ihre Nominierung als Kandidatin für eine | |
Doppelspitze des SPD-Landesverbands hat sich bislang in den Umfragen nicht | |
zugunsten der SPD abgebildet. Genauso wenig wie die Tatsache, dass es ein | |
offenes Geheimnis ist, dass Giffey im Dezember offiziell zur | |
Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus gekürt wird. | |
Das Kalkül, die beliebte Bundesministerin werde auch zum Zugpferd in der | |
Landespolitik, muss also nicht zwingend aufgehen. Stattdessen könnte die | |
Schlappe in Neukölln zur Blaupause eines Konflikts werden, der die SPD den | |
ganzen Wahlkampf über begleitet: Eine rechte Führungsriege wird von der | |
linken Parteibasis getrieben. Was, wenn sich zum Beispiel die Forderungen | |
von Giffey und Saleh nicht im Wahlprogramm der SPD wiederfinden? | |
Mit dem Rechtsschwenk geht die SPD ins Risiko. Noch riskanter aber könnte | |
ein bloßes Weiter-so sein. Denn die hypothetische Annahme, dass sich die | |
SPD in einem Jahr als Juniorpartnerin in einer grün-rot-roten Koalition | |
wiederfindet, wäre damit fast schon ein Automatismus. Eine Wiedervorlage | |
einer Koalition mit der CDU wiederum würde an der sozialdemokratischen | |
Basis kaum Zustimmung finden. | |
Auch die CDU hat nicht allzu viele Optionen. Sollte sie auf dem Bundestrend | |
mitsurfen und stärkste Partei werden, könnte sie sogar am eigenen Erfolg | |
verzweifeln. Denn eine Koalition mit den Grünen wäre für diese nur | |
vermittelbar, wenn ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch Regierende | |
Bürgermeisterin würde. Liegen die Grünen hinter der CDU, spricht dagegen | |
alles für Verhandlungen mit SPD und Linken. Erst recht, wenn die Grünen | |
ihre guten Umfragewerte einmal über die Ziellinie bringen und stärker | |
werden als die SPD. In diesem Fall würde sich Giffey die Frage stellen, ob | |
sie als Senatorin in ein Kabinett Jarasch eintritt – etwa als | |
Bildungssenatorin. | |
Auch wenn Grüne, Linke und SPD eine stabile Mehrheit haben und es keine | |
Wechselstimmung gibt, dürfte der Wahlkampf härter werden als zuvor. Statt | |
eines Koalitionswahlkampfes steht ein Lagerwahlkampf bevor mit der CDU und | |
der SPD auf der einen Seite und den Grünen und der Linken auf der anderen. | |
Das Besondere: Niemand darf die Parteien aus dem anderen Lager zu scharf | |
attackieren. Denn kommt es zum Schwur, müssen Grüne und SPD oder Grüne und | |
CDU sich zusammenraufen. | |
Einen ersten Vorgeschmack auf einen solchen Lagerwahlkampf mit | |
Samthandschuhen gab bereits Kai Wegner. Er sagte am Wochenende: „Ich habe | |
Sympathien für einige Grüne.“ | |
Und am kommenden Wochenende gibt es den ersten Vorgeschmack für die SPD. | |
Giffey wird sicher ein gutes Ergebnis bekommen. Aber bei Saleh rechnen | |
viele Genossen nicht mit mehr als 60 Prozent. | |
26 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/interview-mit-berliner-spd-spitze-giffey… | |
[2] /Berliner-Abgeordnetenhauswahl-2021/!5717155/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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