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# taz.de -- SPD-Politiker Thomas Oppermann ist tot: Keine Allüren
> Am Sonntag ist der Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann gestorben.
> Nachruf auf einen, der für einen Spitzenpolitiker ziemlich normal war.
Bild: Der Pragmatiker: Thomas Oppermann ist tot
Berlin taz | Thomas Oppermann war drei Jahrzehnte Teil der politischen
Klasse. Er war Landesminister, parlamentarischer Geschäftsführer,
Fraktionschef und fünfzehn Jahre lang Bundestagsabgeordneter. Bei vielen
hinterlassen die Strapazen des politische Betriebs, die Rangeleien, die
Niederlagen in Machtkämpfen, die mediale Dauerpräsenz sichtbare Spuren. Bei
ihm nicht. Er hatte, auch noch mit über 60 Jahren, etwas Jungenhaftes an
sich. Ein Lächeln, leicht ironisch, aber auch einnehmend.
Thomas Oppermann stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und nahm einen
für seine Generation typische Weg: Aufstieg durch Bildung. Sein Vater war
Molkereimeister, Thomas der Erste, der Abitur machte und studierte. Der Weg
nach oben verlief nicht ganz gerade. Er brach ein Studium ab, engagierte
sich für Aktion Sühnezeichen und studierte dann zielstrebig Jura – ein
brauchbares Karrieresprungbrett. An der Uni begann er Politik zu machen.
Mit Stephan Weil, heute Ministerpräsident in Niedersachen, gründet
Oppermann in Göttingen eine linkspragmatische Hochschulgruppe, die prompt
die Astawahlen gewann. Schon Ende der 70er Jahre waren die wesentlichen
Bestandteile seines politischen Verständnisses erkennbar: Distanz zu
Ideologien, irgendwie links, aber im Zweifel immer pragmatisch und
möglichst erfolgreich bei Wahlen. Der Grüne Jürgen Trittin, der ihn seit
1979 kannte und der damals Vorsitzender des Studentenparlamentes in
Göttingen war, hielt ihn für „einen eher glatten Juso, der Karriere mache
wollte“.
Einer seiner Förderer, Gerhard Schröder, machte Oppermann 1998 zum
Wissenschaftsminister in Hannover. Es war die Stunde [1][des
Neoliberalismus], Oppermann setzte sich, zum Entsetzen mancher seiner
GenossInnen, für Studiengebühren ein. Er machte sich einen Namen, 2005 zog
er erstmals in den Bundestag ein, sein Aufstieg dort war rasant. Er war
eloquent und konnte zuspitzen, schon nach zwei Jahren wurde er, als
Nachfolger von Olaf Scholz, Parlamentarischer Geschäftsführer der
SPD-Fraktion – ein Job im Maschinenraum der Macht, der oft Zwischenstation
auf dem Weg nach ganz oben ist.
## Ein unabhängiger Kopf
Im Kurnaz-Untersuchungsausschuss bewies Oppermann seine rhetorischen
Fähigkeiten und seine Loyalität. Gusseisern verteidigte er Frank-Walter
Steinmeier, der die Freilassung des unschuldig in Guantanamo Inhaftieren
verhindert haben soll.
Als die SPD nach 2009 in der Opposition war, wuchs Oppermann, bei Talkshows
für fast jedes Thema verwendbar und immer sprechfähig, in eine vakante
Rolle: die des Angreifers. Andrea Nahles war damals Generalsekretärin,
eigentlich war das ihre Aufgabe. Aber Oppermann konnte Abteilung Attacke
besser. Vor allem in der NSA-Affäre trieb er Kanzlerin Merkel vor sich her.
2013 wurde er SPD-Fraktionschef – aber das war nicht das Amt, das er
wollte. Er wollte Minister werden, am liebsten Innenminister. Aber er
stammt aus Niedersachsen, so wie Sigmar Gabriel. Zwei SPD-Minister aus
Niedersachen waren nicht drin. Nach 2017 wurde er so Vizepräsident des
Bundestags, ein Job mit Renommee und in der Regel ein Posten jenseits des
Getümmels der Alltagspolitik. Auf SPD-Parteitagen wirkte er wie jemand, der
nicht mehr nach Höherem strebt und gab den ironischen Kommentator – eine
Rolle, die ihm passte. Er war ein unabhängiger Kopf. Angesichts der
Unfähigkeit von Union und SPD, sich auf eine brauchbare Wahlrechtsreform zu
einigen, droht er im Sommer mit der Opposition zu stimmen.
Vor zwei Monaten kündigte er seinen Rückzug aus der Politik an. „Nach 30
Jahren als Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag und im Deutschen
Bundestag ist für mich jetzt der richtige Zeitpunkt, noch einmal etwas
anderes zu machen und mir neue Projekte vorzunehmen“ schrieb er. Und er
schrieb offenherzig, dass er sein „Ziel, Bundesinnenminister zu werden,
[2][nicht hatte verwirklichen können]“.
Er gewann seinen Wahlkreis in Göttingen viermal als Direktkandidat, keine
Selbstverständlichkeit angesichts der Krise der SPD. Er war für einen
Spitzenpolitiker ziemlich normal. Allüren waren ihm fremd. Er kam ohne jene
Distanzhalter aus, die sich viele PolitikerInnen zulegen. Aus Schutz oder
Eitelkeit oder beidem.
Thomas Opperman brach bei der Vorbereitung zu einem Auftritt in einem
ZDF-Politikmagazin am Sonntag zusammen. Er wurde 66 Jahre alt.
26 Oct 2020
## LINKS
[1] /Berlins-SPD-Fuehrung-Giffey-und-Saleh/!5721292
[2] /SPD-Politiker-Thomas-Oppermann/!5704610
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Bundestag
Nachruf
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SPD Berlin
Saskia Esken
Sozialdemokratie
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