| # taz.de -- Von der Leyen legt Migrationspakt vor: EU setzt auf Tempo und Härte | |
| > Der Asylplan von EU-Kommissionschefin von der Leyen sieht schnellere | |
| > Abschiebungen Geflüchteter an den Außengrenzen vor. Pro Asyl ist | |
| > entsetzt. | |
| Bild: Schnellere Entscheidung, schnellere Abschiebung – das will Ursula von d… | |
| Die Chefin fand schöne Worte. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik sei ein | |
| „neues Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität“ nötig, sagte | |
| EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel. | |
| „Unser altes System funktioniert nicht mehr, wir brauchen einen neuen | |
| Start.“ | |
| Dann kamen die harten Fakten – und die sehen nicht so schön aus. Künftig | |
| sollen laut dem [1][“New Pact on Migration and Asylum“] alle, die auf | |
| Lesbos, in Sizilien oder anderswo in der EU ankommen, binnen fünf Tagen | |
| erfasst und durchgecheckt („gescreent“) werden. | |
| Wer aus einem Land stammt, aus dem weniger als ein Fünftel der Asylanträge | |
| Erfolg hat, kommt in das sogenannte Grenzverfahren: ein beschleunigtes | |
| Prozedere, an dessen Ende binnen 12 Wochen die Anerkennung oder, | |
| wahrscheinlicher, die Abschiebung steht. | |
| Wer diese Asylvorprüfungen auf welcher Grundlage durchführen wird, lässt | |
| das Papier offen. An mehreren Stellen ist vom Aufbau einer neuen | |
| EU-Asylbehörde die Rede, deren Kompetenzen aber nicht weiter benannt | |
| werden. | |
| ## „Pilotprojekt“ Moria | |
| Die Vorschläge sind mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt, die derzeit den | |
| EU-Vorsitz innehat. Die Kommission übernimmt damit im Wesentlichen ein | |
| Konzept der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Damit der Plan in Kraft | |
| tritt, müssen das Europaparlament und die Mitgliedstaaten noch zustimmen. | |
| Der deutsche EU-Vorsitz rechnet nicht mehr mit einer Einigung in diesem | |
| Jahr. | |
| Um das [2][abgebrannte Lager Moria auf Lesbos] soll sich nun eine | |
| „Taskforce“ in Brüssel kümmern, die auf Lesbos ein „Modellprojekt“ | |
| errichten soll. Dort dürften die neuen Ideen der Kommission als Erstes | |
| Anwendung finden. Griechenland habe bereits in ein „gemeinsames | |
| Pilotprojekt“ eingewilligt, sagte von der Leyen. | |
| Schnellere Erfassung, schnellere Entscheidung, schnellere Abschiebung | |
| möglichst schon an den Außengrenzen – das sind die wichtigsten Neuerungen, | |
| die die EU-Kommission in ihrem „Migrations- und Asylpakt“ vorschlägt. Von | |
| der Leyen setzt auf Tempo und Härte und kommt damit widerborstigen Ländern | |
| wie Ungarn oder Polen weit entgegen. | |
| Seit dem im Eklat geendeten ersten Versuch einer verbindlichen Umverteilung | |
| von Flüchtlingen im Jahr 2016 haben sich vor allem die Osteuropäer der | |
| Aufnahme von Asylbewerbern widersetzt und ein solidarisches Quotensystem | |
| torpediert. Und das tun sie, gemeinsam mit Österreich, bis heute. | |
| Stattdessen forderten sie, Grenzen müssten gesichert und Abschiebung müsste | |
| ausgebaut werden. | |
| ## „Abschiebe-Patenschaften“ | |
| Genau das versucht von der Leyen nun. Verbindliche Quoten soll es auch | |
| künftig nicht geben, eine Pflicht zur Solidarität nur in Ausnahmefällen. | |
| Und europäische Solidarität à la von der Leyen bedeutet: Die EU-Staaten | |
| können Italien oder Griechenland freiwillig Flüchtlinge abnehmen. | |
| „Nicht alle Mitgliedstaaten werden Flüchtlinge aufnehmen“, gab sich | |
| Migrationskommissar Margaritis Schinas realistisch. Für sie gebe es nun | |
| eine „tragfähige Alternative“. Sie heißt: „Abschiebe-Patenschaften“. … | |
| Staaten können künftig „zwischen Aufnahme und Hilfe bei der Abschiebung | |
| wählen“, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson. | |
| Für diese „Abschiebe-Patenschaften“ rechnet die Kommission aus, wie viele | |
| der in der EU Ankommenden jeder Staat aufgrund seiner Größe theoretisch | |
| aufnehmen müsste. Nehmen Länder den Außengrenzen-Staaten die entsprechende | |
| Anzahl nicht ab, können sie sich ersatzweise um die Abschiebung dieser | |
| Anzahl von anderen Menschen kümmern. | |
| Gelingt ihnen dies nicht innerhalb von acht Monaten, etwa wegen Krankheit | |
| oder fehlenden Rücknahmeabkommens im Herkunftsland, müssen sie die | |
| Betreffenden doch selbst aufnehmen. | |
| ## Kein Abschied von Dublin | |
| Die EU-Kommission will Abschiebungen aber auch anders beschleunigen. So | |
| will Brüssel einen „EU-Koordinator für Rückführungen“ ernennen. Auch der | |
| Außengrenzschutz soll „verbessert“ werden. Dafür will die Kommission die | |
| [3][Grenzschutzagentur Frontex] weiter aufrüsten. | |
| [4][Für Pro Asyl ist von der Leyens Vorschlag ein „teuflischer Pakt der | |
| Entrechtung“]. In einer ersten Reaktion verurteilt die Organisation den | |
| Plan: Damit verrate „die EU-Kommission das Asylrecht und die Menschenrechte | |
| von Schutzsuchenden“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, | |
| und fordert die EU-Parlamentarier auf, den Entwurf abzulehnen. | |
| In den vergangenen Jahren sind alle Versuche gescheitert, die gemeinsame | |
| Asylpolitik zu reformieren. Auch der oft angekündigte „Abschied von Dublin“ | |
| ist nicht gelungen. Die Dublin-Regeln sehen vor, dass jener EU-Staat für | |
| einen Asylantrag zuständig ist, in dem der Schutzsuchende zuerst | |
| europäischen Boden betreten hat. „Wir haben einen Schlussstrich unter das | |
| Dublin-System gezogen“, erklärte Schinas. Es sei für wenige Asylbewerber | |
| ausgelegt gewesen und passe nicht mehr in die Zeit. | |
| Tatsächlich hält die Kommission auch jetzt an den Dublin-Regeln fest. Nur | |
| die Ausnahmetatbestände werden geringfügig erweitert: Bestimmte | |
| Antragsteller sollen künftig für ihr Verfahren in andere EU-Staaten | |
| verteilt werden – etwa wenn sie dort Geschwister haben oder dort in der | |
| Vergangenheit studiert oder gearbeitet haben. Das ist teils allerdings auch | |
| heute schon möglich. | |
| ## Seehofer „noch nie“ gegen Zuwanderung | |
| Von der Leyen wollte am Mittwoch zudem mit dem türkischen Präsidenten Recep | |
| Erdoğan sprechen. Merkel hatte mit Erdoğan 2016 einen umstrittenen | |
| Flüchtlingsdeal ausgehandelt. An dem hält die EU-Kommission fest und will | |
| ihn weiter ausbauen. | |
| Allerdings ist unklar, ob bei den EU-Plänen Drittländer wie die Türkei oder | |
| Tunesien mitspielen – und ob sich auch Ungarn, Polen und andere | |
| widerspenstige EU-Staaten auf den „Pakt“ einlassen. [5][Ungarn signalisiert | |
| bereits Ablehnung]. Die ungarische Regierung halte an ihrer Position fest, | |
| dass der „Migrationsdruck“ abgewehrt werden müsse, hieß es in Budapest. | |
| [6][Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer äußerte sich bereits zu den | |
| Vorschlägen]: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, dass | |
| Europa zusammensteht“, so der Minister. Er betonte, er sei „noch nie“ ein | |
| Gegner von Zuwanderung gewesen, es komme aber auf das Wie an. | |
| „Wir müssen schauen, dass das in einer überschaubaren Größenordnung bleib… | |
| die ich immer als,Ordnung' bezeichne. Dann wird das auch von der | |
| Bevölkerung akzeptiert.“ Für den 8. Oktober werde man beim Innenministerrat | |
| der EU die nun vorliegenden Vorschläge diskutieren. | |
| Die Verhandlungen dürften sich bis weit ins nächste Jahr hinziehen. | |
| 23 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-europ… | |
| [2] /Fluechtlingslager-auf-Lesbos-ausgebrannt/!5708028/ | |
| [3] /EU-Grenzschutzagentur-Frontex/!5701399/ | |
| [4] https://www.proasyl.de/pressemitteilung/teuflischer-pakt-der-entrechtung-er… | |
| [5] https://twitter.com/zoltanspox/status/1308753339249815557?s=20 | |
| [6] https://www.zdf.de/nachrichten/video/seehofer-migration-100.html | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
| Christian Jakob | |
| Anja Maier | |
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