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# taz.de -- Geflüchtete in Griechenland: Auf der Insel ins Ungewisse
> Was passiert, wenn die Geflüchteten auf den Inseln ihren Asylbescheid
> bekommen? Sie kommen aufs Festland. Das verbessert ihr Leben nicht
> unbedingt.
Bild: Der Viktoriaplatz in Athen ist Zuflucht und Treffpunkt für viele Geflüc…
Athen taz | Es ist laut auf dem Athener Viktoriaplatz, einem beliebten
Treffpunkt für Geflüchtete in der Innenstadt der griechischen Hauptstadt.
Die 13-jährige Parissa sitzt zusammen mit ihren fünf jüngeren Geschwistern
auf einer grauen Wolldecke. Während ihr kleiner Bruder ein
Spielzeugflugzeug hin- und herschiebt, fegt ihre Mutter, die 32-jährige
Rasia mit einem Strohbesen den Dreck rund um die Decke weg, auf der ihre
Kinder sitzen. „Wir waren vorher im Camp auf der Insel Kos“, sagt das junge
Mädchen auf englisch.
Anderthalb Jahre habe die Familie dort gelebt, in einem Wohncontainer. Doch
mit dem positiven Asylbescheid habe man ihnen gesagt, dass sie nun das
Lager verlassen müssen und nach Athen gehen sollen, sagt Parissa. „Wir
haben keine Wohnung und kein Geld. Wo sollen wir hin?“
Immer mehr Geflüchtete sammeln sich, wollen ihre Geschichte erzählen, in
der Hoffnung, dass ihnen dadurch geholfen wird – junge Mütter mit Babys im
Arm, eine andere zeigt auf ihr behindertes Kleinkind im Kinderwagen. „Ich
war neun Monate in Moria auf Lesbos“, sagt die 24-jährige Fariba, eine
junge Frau mit buntem Kopftuch. Auch sie habe nun ihren positiven
Asylbescheid in der Tasche. „Mit dem Asylbescheid musste ich nach Athen
kommen. Ich lebe hier auf der Straße, auf dem Viktoriaplatz, zusammen mit
meinem jüngeren Bruder. Das ist so schwer für mich!“
Die Geflüchteten seien doch selber an ihrer miserablen Lage schuld,
unterbricht ein älterer Grieche das Gespräch. Es gebe doch ein Programm für
anerkannte Geflüchtete, doch die Leute seien einfach zu faul, um die Hilfe
zu beantragen. Als Anwohner wolle er die Situation auf dem Viktoriaplatz
nicht mehr hinnehmen.
Regelmäßig wird der Viktoriaplatz von der Polizei geräumt. Die Geflüchteten
werden in Polizeibussen in Camps rund um Athen gebracht – eine
vorübergehende Lösung. Und schon am nächsten Tag liegen die nächsten
anerkannten Geflüchteten auf dem Platz, frisch angekommen von den Inseln.
## Anerkannte Geflüchtete müssen die Inseln schnell verlassen
Der Grund: Die konservative griechische Regierung Mitsotakis zwingt seit
einigen Monaten anerkannte Geflüchtete, innerhalb von dreißig Tagen nach
ihrem positiven Asylbescheid die Lager auf den Inseln zu verlassen. Bisher
sah das Gesetz eine sechsmonatige Frist vor, aber viele Menschen haben
mangels einer Alternative auch Jahre nach dem Erhalt ihres Asylbescheids
noch in den Camps gelebt.
Der griechische [1][Migrations- und Asylminister Notis Mitarakis] sieht in
dem beschleunigten Auszug der Geflüchteten aus den Camps eine Chance, die
überfüllten Lager zu entlasten. Sind sie einmal als Geflüchtete anerkannt,
hätten sie Zugang zu allen staatlichen Hilfen, die für bedürftige Griechen
auch vorgesehen sind, sagt Mitarakis, etwa dem gesetzlichen
Mindesteinkommen oder dem Wohngeld. Zusätzlich gebe es für Geflüchtete ein
gezieltes Integrationsprogramm namens Helios – von der EU finanziert, mit
Integrationskursen, Hilfe bei der Arbeitssuche und einem Mietzuschuss.
Die Internationale Organisation für Migration hilft bei der Umsetzung des
Hilfsprogramms und liefert eher ernüchternde Fakten, gerade was die für die
meisten Geflüchteten am dringendsten benötigte Hilfe, den Mietzuschuss,
angeht: Aktuell bekämen den 1.540 Haushalte, darunter größtenteils
Singlehaushalte oder Familien mit einem oder zwei Kindern. Dabei spricht
Mitarakis von 17.000 anerkannten Flüchtlingen, die allein im ersten
Halbjahr 2020 die Inseln verlassen haben.
„Man hat uns gesagt, wir müssen einen Mietvertrag zeigen, dann bekommen wir
auch das Geld von Helios“, sagt die 13-jährige Parissa vom Viktoriaplatz.
„Aber keiner will uns eine Wohnung geben.“ Ihre Mutter nickt: „Wir sind
einfach zu viele Leute: Sechs Kinder, mein Mann und ich. Wer will schon
seine Wohnung an eine so große Familie geben?“
## Staatliche Hilfen erreichen die Geflüchteten kaum
Auch die staatlichen Hilfen für Bedürftige, wie etwa das gesetzliche
Mindesteinkommen, erreichen die Geflüchteten kaum: „Es gibt bürokratische
Hürden“, sagt Stella Nanou, Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks
(UNHCR) in Athen. „Sie müssen zum Beispiel eine Steuernummer vorweisen,
aber das zuständige Finanzamt weigert sich, den Geflüchtetren eine
auszustellen oder sie können kein Bankkonto eröffnen, obwohl das
Voraussetzung wäre für den Erhalt der Hilfe. In der Theorie haben sie also
den gleichen Zugang zu diesen Hilfen wie die Griechen, in der Praxis aber
nicht.“
Das merken auch die Geflüchteten auf dem Viktoriaplatz. Anfänglich froh
darüber, einen positiven Asylbescheid bekommen zu haben, blicken sie nun in
eine ungewisse Zukunft. „Ich will meinen Bescheid nicht! Ich will ihn
wirklich nicht!“, sagt zum Beispiel die 24-jährige Fariba, die nun als
anerkannte Geflüchtete Lesbos verlassen musste. „Ich dachte, ich wäre jetzt
frei. Aber ich stehe wieder vor dem Nichts!“
22 Sep 2020
## LINKS
[1] /Fluechtlingspolitik-Griechenlands/!5709859
## AUTOREN
Rodothea Seralidou
## TAGS
Griechenland
Lesbos
Schwerpunkt Flucht
Migration
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