# taz.de -- Ein Berliner Abgesang: Ein letztes Mal Tegel, oder? | |
> Mit keinem anderen Ort in Berlin verbindet unsere Autorin so viele | |
> Emotionen wie mit dem Flughafen. Nun fliegt sie wohl ein letztes Mal von | |
> dort. | |
Bild: Leere Shops, kaum Passagiere: Der Flughafen Tegel fristet einsame letzten… | |
Acht Jahre ist es her, seit wir vor dem Terminal C des Flughafen Tegels | |
standen und mit zwei Piccolos auf unseren letzten Flug anstießen. Zum 2. | |
Juni 2012 sollte das Gebäude, das nach dem Luftfahrtpionier Otto Lilienthal | |
benannt wurde und den Berlinern ewig der dritte, dann nur mehr der zweite | |
Heimatflughafen war, schließen. Wir alle wissen, was daraus wurde – die | |
Sektkorken hatten wir jedenfalls zu früh knallen lassen. | |
Die Male, die ich seither wieder von Tegel aus gestartet und ebendort | |
gelandet bin, habe ich nicht mehr gezählt. Irgendwo schlummerte die | |
Hoffnung, dass eine Schließung mit der Zeit einfach in Vergessenheit gerate | |
und das hexagonförmige Hauptgebäude samt angrenzender Terminals dem | |
Flugverkehr der Hauptstadt erhalten bliebe. | |
Ein durchaus egoistischer Wunsch, der sich aus Nostalgie und reiner | |
Bequemlichkeit speist – schließlich wohne ich keine zehn Minuten mit dem | |
Bus entfernt. Außerhalb der Einflugschneise wohlgemerkt. Während sich die | |
kritische Dezibelgrenze des Fluglärms ellipsenförmig bis nach Spandau im | |
Westen und weite Teile Pankows im Osten erstreckt, ist Moabit trotz | |
Tegelnähe geschützt. | |
Vor allem sind es aber die Erinnerungen, die mich emotional werden lassen, | |
denke ich an die Schließung. Erinnerungen an meine Kindheit, in der ich, zu | |
klein für eine lange Zugfahrt, allein in eines der Nachbarländer flog. | |
Immer mit einem durchsichtigen Kuvert um den Hals, das meine | |
Reiseunterlagen und einen Hinweis auf meinen Status als UM (unaccompanied | |
minor) enthielt. Das Abfliegen hier schürte freudige Erwartung an die 1.000 | |
Kilometer entfernt lebende Familie – ein Zurückkommen am selben Ort weckte | |
Wehmut. | |
## Fliegen während Corona | |
Von hier aus bin ich zu einem Austausch in die USA geflogen; krank und | |
unglaublich aufgeregt. Hier habe ich einen tränenreichen Abschied vor | |
meinem Auslandssemester in Argentinien und Freude bei meiner Rückkehr | |
erlebt. Hier habe ich zahlreiche Besucher*innen abgeholt, umarmt und wieder | |
verabschiedet. Mehr unterschiedliche Emotionen verbinde ich mit keinem | |
anderen öffentlichen Ort in der Hauptstadt. | |
Nun fliege ich [1][recht sicher (oder?)] zum letzten Mal von hier ab. Und | |
das in einer Zeit, die nicht ungewöhnlicher sein könnte. Erstmals empfinde | |
ich wieder etwas Aufregung vor der bevorstehenden Flugreise, weiß ich doch | |
nicht, was mich erwartet. Mit der Maskenpflicht in Gebäude und Maschine | |
rechne ich, aber wie macht sich Corona sonst bemerkbar an einem Ort, der | |
sonst unzählige Menschen täglich versammelt? | |
Der erste Eindruck erinnert an die pandemische Anfangszeit, in der die | |
Straßen leergefegt waren. Auch hier im Hauptgebäude ist es sonderbar still. | |
Nur wenige ringen sich zu Flugreisen durch. Im Gegensatz zu anderen | |
Lebensbereichen, die sich beinahe wieder unangenehm normal anfühlen, ist | |
hier noch spürbar, dass wir uns in einem Ausnahmezustand befinden. | |
Die Geschäfte sind geschlossen, teilweise leer und das vermutlich nicht nur | |
einer coronabedingten Insolvenz wegen. Sie sind Vorboten eines nahenden | |
Endes – wie der langsame Tod eines sehr großen Tieres. | |
## Anachronistisches Gefühl | |
Die Abfluganzeige liest sich ungewohnt eurozentrisch; Kopenhagen, Zürich, | |
Paris, London – und natürlich des [2][Deutschen zweites Wohnzimmer Palma de | |
Mallorca]. Weiter weg geht es nur in die Türkei, ein angezeigter Flug in | |
Katars Hauptstadt Doha wurde dagegen gestrichen. | |
Der Flieger ist winzig mit nur zwei Sitzreihen auf jeder Seite. Ein | |
Abstandhalten ist so von vornherein ausgeschlossen. Glück, [3][keinem | |
ausgefeilten Hygienekonzept], verdanke ich einen Sitzplatz ohne Nachbarn. | |
Es werden Getränke gereicht – wenige Auserwählte einer pseudoexistenten | |
Business-Class erhalten sogar etwas zu essen. Warum man daran bei einem | |
einstündigen Flug trotz Corona festhält, erschließt sich mir nicht. | |
Über mir leuchtet das Nichtrauchersymbol auf. Es kommt mir anachronistisch | |
vor; wer käme in 2020 noch auf die Idee, sich eine Kippe im Flieger | |
anzuzünden? Anachronistisch fühlt sich ohnehin die ganze Flugreise an, und | |
kurz denke ich, dass vielleicht alle Flughäfen einfach schließen sollten. | |
24 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Flughafenchef-Luetke-Daldrup-zum-BER/!5702212 | |
[2] /Berliner-Mallorca-Rueckkehrer/!5696033 | |
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## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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