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# taz.de -- TXL schließt endgültig: Das magische Sechseck
> Als er gebaut wurde, war Tegel einer der modernsten Flughäfen Europas.
> Zuletzt war er allerdings ein Oldtimer, der unter der Last der Passagiere
> litt.
Bild: War bei Eröffnung 1974 „state of the art“: der Flughafen Tegel im Ja…
Berlin taz | Vielleicht ist das ja der Grund, warum einige jetzt etwas
sentimental werden. Der Flughafen Tegel mit dem nostalgischen Namen Otto
Lilienthal, von dem am Sonntag um 15 Uhr der letzte Flieger Richtung Paris
abhebt, konnte Geschichten erzählen wie kein anderer. Eine sehr schöne
erzählt zum Beispiel der Fotograf Peter Ortner, der im Sommer einen
Bildband über Tegel herausgab: „Bei der Eröffnung 1974 war Tegel state of
the art. Es gab ein drive in-Konzept, bei dem man kreuzungsfrei zum Gate
vorfahren, aussteigen und direkt zum Flugzeug laufen konnte. Man konnte
noch fünf Minuten vor dem Abflug aus dem Auto steigen, um den Flieger zu
erreichen.“
Das iPhone unter den Flughäfen der damaligen Zeit nennt Ortner den
Flughafen Tegel, und das hat viel mit seiner ikonografischen Architektur zu
tun. Als sich die Architekten Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und Klaus
Nickels 1965 an dem vom Westberliner Senat ausgeschriebenen Wettbewerb
beteiligten, leisteten sie sich die künstlerische Freiheit, einen für die
damalige Zeit idealen Flughafen zu entwerfen.
Dessen Kernstück war das Hauptterminal, das in Gestalt eines Sechsecks 14
Gates ermöglichte. Eine zentrale Gepäckaufgabe, Passkontrolle oder
Personenkontrolle gab es nicht, alles fand am jeweiligen Gate statt. Im
Terminal A, wie das Terminal heute heißt, war der Gedanke eines Flughafens
der kurzen Wege bis zum Schluss erkennbar. Der Architekturkritiker Florian
Heilmeyer spricht deshalb auch von einem „menschenfreundlichen Flughafen“.
Wenn vor Corona Gäste aus Europa oder aller Welt am Terminal A ankamen,
fühlten sie sich oft zurückversetzt in eine Zeit, in der das Fliegen noch
in den Kinderschuhen steckte. Und wenn sie sich dann in die überfüllten
Busse der Linien TXL, X9, 128 oder 109 zwängten, wussten sie, wie das in
Berlin in den sechziger und siebziger Jahren buchstabiert wurde –
autogerechte Stadt.
## Flughafenbaracken neben denkmalgeschütztem Kern
Flogen sie dann wieder nach Hause, stellten sie fest, dass sie hinter den
Personenkontrollen keine glitzernde Shopping-Welt erwartete, sondern ein
schnöder Wartebereich, in den, und das auch nicht überall, erst später
einige Imbissbereiche gebaut wurden.
Die meisten der zuletzt 24 Millionen Fluggäste 2019 flogen aber nicht vom
Terminal A, sondern von den Terminals C oder D, also den provisorischen
Wellblechterminals von Easyjet und anderen Billigcarriern. Streng genommen
war das schon nicht mehr Tegel, sondern eine Flughafenbaracke neben dem
denkmalgeschützten Kern, der schon lange nicht mehr die Mehrzahl der
Passagiere abfertigen konnte. Eher war das magische Sechseck der
Luxusbereich, von wo die Lufthansa zum Beispiel ihre Geschäftskunden über
die Flugsteige nach München oder Frankfurt am Main transportierte.
Gemessen am Verkehrsaufkommen war Tegel im letzten Flugjahr vor Corona die
Nummer vier in Deutschland, nach Frankfurt, München und Düsseldorf. Von der
Zahl der Berichte und Schlagzeilen her aber war er ganz sicher die Nummer
eins, denn nirgendwo gingen so oft Koffer verloren oder Flieger zu spät an
den Start als in TXL. Aus der Flughafen gewordenen Vision der autogerechten
Halbstadt mit Anschluss an die weite Welt war ein Monster geworden, eine
Zumutung. Und je länger die Eröffnung des BER auf sich warten ließ, desto
mehr Tentakel bekam das Monster.
Es zeugt deshalb von Größe, wenn Meinhard von Gerkan, der Erschaffer des
magischen Sechsecks, seiner Schließung nicht nachtrauert. Aber warum sollte
er auch, hat er als Architekt des BER gleich auch den TXL-Nachfolger
entworfen. Vielleicht geht sogar das mit dem letzten Flug nach Paris auf
seine Kappe, denn der Jungfernflug auf Tegel kam ebenfalls von der Seine.
Also machen wir es kurz und schmerzlos. R. I. P., du alter Flughafen, von
dem auch ich noch viele Geschichten erzählen könnte, zum Beispiel die, wie
bequem es war, das Auto an der Quedlinburger Straße zu parken und dann mit
einem Kurzstreckenticket und dem X9 zum Terminal A zu huschen. Das
Gnadenbrot sei dir gegönnt, oder wie es die Berliner Flughafengesellschaft
schnell noch plakatiert hat: „Du warst klein und hast Großes geleistet.
#DankeTXL“.
7 Nov 2020
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
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