| # taz.de -- Die Verfehlungen der anderen: Kind, wo ist deine Maske? | |
| > Es gibt verschiedene Wege, seinem Unmut über das Falschtragen des | |
| > Mund-Nasen-Schutzes Ausdruck zu verleihen. Sympathischer macht einen | |
| > keiner davon. | |
| Bild: Rauchen ohne die Maske abzunehmen, dieses Verhalten hat echte Vorbildfunk… | |
| Corona, Corona, Corona. Auch ich kann es nicht mehr hören und lesen. Auch | |
| ich bin maximal genervt und angestrengt von diesem Zustand. Vielmehr diesem | |
| Zwischenzustand, der sich nicht entscheiden kann, was er sein will und sich | |
| deswegen irgendwo zwischen dumpfer (Vor-)Ahnung und völliger Ignoranz | |
| verortet. | |
| Mit Letzterer bin ich im Alltag öfter konfrontiert; besonders gern in Form | |
| der individuellen Interpretation vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. | |
| Unterm Kinn, wie um die alternde Haut vor der Schwerkraft zu schützen, oder | |
| lässig um den Hals baumelnd, als handle es sich um ein neues Must-have | |
| It-Piece aus Polypropylen statt irgendeinem Edelmetall-Imitat. | |
| Mein Favorit des sinnbefreiten Maskentragens ist aber nach wie vor die | |
| Variante, bei der zwar der Mund bedeckt – die Worte im Falle einer | |
| Konversation also trotzdem schwer verständlich sind –, die Nase aber | |
| befreit hervorlugt. Mir fällt da immer dieses Meme ein, das mithilfe zweier | |
| Skizzen zeigt, dass das Tragen einer Maske mit hervorragender Nase so | |
| effektiv ist wie das Tragen einer Unterhose mit heraushängendem Penis. | |
| Gut, nachempfinden kann das zwar nicht jede*r, verstehen, wie es gemeint | |
| ist, wohl aber schon. Ich muss jedenfalls ein bisschen schmunzeln, wenn ich | |
| daran denke, und vergesse darüber fast, mich über den*die Falschträgerin zu | |
| ärgern. Aber halt nur fast. Denn wenn ich wieder im Hier und Jetzt – meist | |
| eines öffentlichen Verkehrsmittels – ankomme, kehrt auch der Ärger wieder | |
| zurück. Immer vermischt mit Fassungslosigkeit und etwas Verzweiflung, weil | |
| ich nicht weiß, wie oder ob überhaupt reagieren. | |
| Komplizierte Gratwanderung | |
| Einmal habe ich es gewagt und zwei junge Mädchen in feinstem Ausgehzwirn | |
| auf ihre fehlenden Masken hingewiesen. Mehr als genervtes Augenrollen und | |
| ein wenig schuldbewusstes „Haben wir vergessen“ gab es aber nicht als | |
| Antwort. Im Nachhinein war mir meine pädagogische Maßnahme peinlich, weil | |
| ich mich selbst zwar im Recht wähnte, mich aber auch zurückversetzt fühlte | |
| in dieses Alter, in dem man vor allem Spaß haben und gut aussehen will. Bei | |
| beidem ist die Mund-und-Nasen-Bedeckung irgendwie hinderlich. | |
| Außerdem fühlte ich mich an meine Mutter erinnert, die früher in meinem | |
| Beisein gern mal Fremde auf irgendeine Art von Verfehlung hinwies. Mir war | |
| das äußerst unangenehm, konnte ich damals noch nicht zwischen echtem | |
| Vergehen und persönlicher Überempfindlichkeit unterscheiden. Und heute? Da | |
| sehe ich es immer noch als komplizierte Gratwanderung, besonders wenn die | |
| Dinge so wenig determiniert sind wie gerade jetzt. | |
| Zum Glück gibt es beim Thema Masken verschiedene Wege, seinem Unmut über | |
| das Falschtragen Ausdruck zu verleihen, wie mich The New Yorker lehrte. In | |
| einer unlängst erschienenen Comicreihe mit dem Titel „Wie man Leute dazu | |
| bringt eine Maske zu tragen“ (Originaltitel: „How to Guilt People into | |
| Wearing a Mask“) entwarf die Illustratorin Malaka Gharib hierfür | |
| verschiedene Szenarien. Mister-Nice-Guy, der freundlich auf das Problem | |
| hinweist, bin ich schon mal nicht. Auch als The Mom und The Scientist, die | |
| entweder mit einem Lösungsansatz – in diesem Fall einer Reservemaske – oder | |
| wissenschaftlich fundiertem Wissen aufwarten, sehe ich mich nicht. | |
| Gerne wäre ich der*die direkte Typ, unerschrocken mit einem „Zieh deine | |
| verdammte Maske an“ für eine aerosolfreie Umwelt sorgend. Ehrlicherweise | |
| sehe ich mich momentan aber eher zwischen zwei der von Gharib gezeichneten | |
| Ansätze: dem passiv-aggressiven, bei dem ich ungläubig über so viel | |
| Rücksichtslosigkeit merklich den Kopf schüttle. Und dem The | |
| Point-and-Scowl, einer etwas aktiveren Variante, bei der man finster | |
| dreinschaut und auf seine eigene korrekt positionierte Maske zeigt. Ich | |
| gebe zu, zum sympathischeren Menschen macht mich Corona nicht gerade. | |
| 9 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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