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# taz.de -- Salzburger Festspiele trotz Corona: Künstler in Produktionsquarant…
> Die Salzburger Festspiele finden zum 100. Mal statt – trotz Corona. Mit
> weniger Programm und weniger Gästen, aber mit Opern von Strauss und
> Mozart.
Bild: „Elektra“ in der Felsenreiterschule mit Asmik Grigorian und Ausrine S…
Bei der Eröffnungspremiere ist in der Hofstallgasse alles fast wie immer:
Neugierige stehen Spalier, um unter den Premierengästen Promis zu
entdecken, Kamerateams und Paparazzi suchen nach bekannten Gesichtern,
aufgerüschte Paare in opulenter Abendgarderobe posieren. Aber die
allgegenwärtigen Masken erschweren das gegenseitige Erkennen, die Bussis
muss man sich ohnehin verkneifen, der Einlass dauert länger als sonst, denn
die Eintrittskarten sind personalisiert, man muss ein Ausweisdokument
vorzeigen, sonst kommt man nicht herein in die Felsenreitschule zur
Premiere von Richard Strauss’ „Elektra“.
Zu Abendgarderobe und Juwelen sehen die Masken seltsam komisch aus, man
darf sie erst absetzen, wenn die Türen geschlossen werden und die
Vorstellung beginnt, empfohlen wird sogar, sie während der gesamten
Vorstellung aufzubehalten.
Nachdem die meisten großen Festivals wie etwa die Bayreuther Festspiele
wegen der Pandemie schon frühzeitig ersatzlos absagten, haben die
Salzburger Festspiele lange hinter den Kulissen um ihren Jubiläumsjahrgang
gerungen. Schritt für Schritt wurde entlang sinkender Infektionszahlen und
gelockerter Maßnahmen geplant. Zuerst sollte es nur den „Jedermann“ geben,
der ja immer unter freiem Himmel spielt.
## 180.000 Tickets rückabwickeln
Eiserner Wille, endlose Verhandlungen mit der Politik, ein eigens
installierter Expertenbeirat und unablässige Nachjustierungen machten es
dann aber möglich, dass die Festspielleitung im Juni tatsächlich ein
modifiziertes Gesamtprogramm bekannt geben konnte. Eine organisatorische
Herkulesleistung, denn allein das Kartenbüro musste 180.000 bereits
verkaufte Tickets im Wert von 24,5 Millionen Euro rückabwickeln und dann
einen neuen Vorverkauf starten.
Statt 200 Vorstellungen an 44 Tagen gibt es im Pandemiejahr jetzt immerhin
noch 110 Vorstellungen an 30 Tagen, die Spielstätten wurden aus
Sicherheitsgründen von 16 auf 8 reduziert, zwei Opern-Neuproduktionen, zwei
Uraufführungen im Schauspiel und der unvermeidliche „Jedermann“ stehen auf
dem Programm, außerdem 53 Konzerte.
Im touristisch ungewöhnlich ruhigen Salzburg, in dem die Gäste aus Übersee
und Asien in diesem Jahr fehlen, dominieren die sonst allgegenwärtigen
Festspielgäste diesmal nicht das Straßenbild, die sonst in Prozessionen zum
Festspielbezirk ziehen. Alles ist eben anders in diesem Jahr.
## Die Roten sind Akteure
Auf den Bühnen aber ist es so, als gäbe es kein Corona, und das ist sicher
die größte Überraschung dieses Festival-Jahrgangs. Keine Abstandsregeln im
mit mehr als 120 Musikern besetzten Orchestergraben bei Strauss’ „Elektra�…
kein Abstand auf der Bühne bei Mozarts Liebeswette-Oper „Così fan tutte“.
Denn alle Mitarbeiter der Festspiele wurden in farblich markierte Gruppen
von gelb bis rot eingeteilt, die Gelben und Orangen können und sollen
Abstand halten und Masken tragen. Die Roten aber sind Akteure, die keinen
Abstand halten können, sie werden regelmäßig auf das Virus getestet und
werden gehalten, unter sich zu bleiben. Sozusagen in Produktionsquarantäne.
Ob das funktionieren wird und die Festspiele ohne Corona-Ausbruch zu Ende
gehen werden, ist natürlich noch völlig unklar. Wenn man im überschaubaren
Salzburg dem Festival-Intendanten Markus Hinterhäuser begegnet, ist ihm die
Anspannung der Verantwortung denn auch deutlich anzumerken.
Künstlerisch betrachtet ist der Auftakt mehr als geglückt, trotz oder
vielleicht gerade wegen der widrigen Umstände. Der unbändige, fast
verzweifelte Drang aller, endlich wieder spielen und singen zu können, ist
geradezu körperlich spürbar. Wenn Franz Welser-Möst den Taktstock zu den
ersten wuchtigen Akkorden von Richard Strauss’ „Elektra“ hebt und die
Wiener Philharmoniker auf der Stuhlkante sitzend einen wahren Klangrausch
entfesseln, geht ein Schauer der Überwältigung durch die Felsenreitschule.
Der [1][polnische Regisseur Krysztof Warlikowski] bespielt im zeitlosen
Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak die gesamte Bühnenbreite der riesigen
Felsenreitschule. Ein Wasserbecken und ein transparenter Kasten, in dem
rätselhafte Nebenhandlungen stattfinden, strukturieren den Raum.
Warlikowski erzählt die brutale Atriden-Geschichte mit psychoanalytischen
Mitteln, lässt den gemordeten Agamemnon als Untoten über die Bühne
schleichen, hantiert mit Puppen, Filmeinblendungen und mit allerhand
Personal, das in der Partitur nicht vorkommt.
Die drei Hauptakteurinnen Elektra (Aušrinė Stundytė mit
durchschlagskräftiger, dunkel eingefärbter Sopran-Dramatik), ihre Schwester
Chrysothemis (Asmik Grigorian mit großartiger Präsenz und lyrischer
Emphase) und deren Mutter Klytämnestra (Tanja Ariane Baumgartner mit
punktgenauer Dramatik) führt Warlikowski psychologisch dicht und plausibel,
die Aufführung fesselt mit ungeheurer Binnenspannung, die maßgeblich auch
von Franz Welser-Möst im Graben, seiner hochdifferenzierten Strauss-Exegese
und den fulminant aufspielenden Philharmonikern garantiert wird.
Vergleichsweise karg bleibt dagegen die Uraufführung von [2][Peter Handkes
„Zdeněk Adamec“], ein Text, den Handke mit „Eine Szene“ untertitelt h…
der mit heiterer Beiläufigkeit um das Gewicht der Welt kreist. In „Zdeněk
Adamec“ gibt es keine festgelegten Rollen, Handke erzählt auch keine
Geschichte, sondern thematisiert in bildreichen Abschweifungen und teils
skurrilen Assoziationen die Selbstverbrennung des 18-jährigen Zdeněk Adamec
auf dem Prager Wenzelsplatz im März 2003, die dieser als Protest über den
Zustand der Welt verstanden wissen wollte, wie er in einem Abschiedsbrief
bekannte.
## Keine gemeinsame Gangart
Ulrike Gutbrod hat eine metallene Bogenkonstruktion auf die Drehbühne
gesetzt, nach und nach trudeln wie zufällig drei Schauspielerinnen und vier
Schauspieler ein und fangen an zu reden. Mal wenden sie sich einander zu,
mal ziehen sie sich in lange Monologe zurück, mal fallen sie einander ins
Wort. Sie reden über Zdeněk Adamec, wie und wer er gewesen sein könnte, sie
sammeln Fakten und überbieten sich gegenseitig mit Vermutungen über die
Gründe seiner Tat.
[3][Regisseurin Friederike Heller] hat gar nicht erst versucht, die höchst
unterschiedlichen Persönlichkeiten ihres Ensembles auf eine gemeinsame
Gangart einzuschwören. Vielmehr spielt jeder auf seine Weise und mitunter
auch bewusst übertrieben erkennbar Theater. Dadurch entsteht eine Art
Überdeutlichkeit, eine theatrale Überbietung von Handkes fragilem Text, die
er in seiner Musikalität und Dichte gar nicht nötig hätte.
## Cosi fan tutte
Ein Glücksfall ist dann wieder Christof Loys grandios verdichtete
Inszenierung von Mozarts auf knapp zweieinhalb Stunden eingedampfter Oper
„Così fan tutte“. Johannes Leiacker hat eine große, schneeweiße Wand mit
zwei Türen auf die Bühne gewuchtet. Nur einmal öffnet sich diese Wand und
lässt eine uralte Platane sehen, ansonsten bleibt die Bühne weiß, die
Kostüme des Ensembles überwiegend schwarz. Ohne Requisiten arbeitet Loy
ausschließlich mit bis in letzte Nuancen präziser Personenregie, nahtlos
verzahnt mit Joana Mallwitz’ energischem und zugleich nachgiebigem Dirigat.
Das junge, unglaublich bewegliche und spielwütige Sängerensemble ist
homogen auf höchstem Niveau. Alles überstrahlt Elsa Dreisigs schmelzender
Sopran als Fiordiligi, Marianne Crebassas Dorabella-Mezzo steht ihr wenig
nach, Bogdan Volkov ist ein geschmeidiger Ferrando mit perfektem
Registerausgleich, André Schuen ein feuriger Guglielmo, Lea Desandre eine
schnippische Despina und Johannes Martin Kränzle ein endlich mal nicht
eindimensional zynischer Don Alfonso. Großes Mozartglück in der Mozartstadt
entlud sich in unbändigem Jubel.
Bleibt zu hoffen, dass Salzburg mit seinem mutigen Vorstoß nicht zu hoch
pokert.
4 Aug 2020
## LINKS
[1] /Opernpremiere-in-Bochum/!5440309
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[3] /Staatsschauspiel-Dresden-Ingo-Schulze/!5662664
## AUTOREN
Regine Müller
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