# taz.de -- Staatsschauspiel Dresden: Ingo Schulze: Kinderglaube Kommunismus | |
> Ohne viel Ausstattung: Das Dresdner Staatsschauspiel bringt eine stimmige | |
> Bühnenfassung von Ingo Schulzes „Peter Holtz“-Roman. | |
Bild: Die Bühne von Sabine Kohlstedt, die wie eine riesige Matratze aussieht u… | |
Manche Gestalt, mancher Klassiker winkt bei Schulzes Romanvorlage am | |
Wegesrand: Zuerst Parsifal, der reine Tor, möglicher Erlöser in einer | |
finalen Situation, ein bisschen Don Quijote. Das „Sterntaler“-Märchen baut | |
Schulze selbst in seinen Roman ein, und an Brechts schizophrenen „Guten | |
Menschen von Sezuan“ muss man auch ständig denken. | |
Auf originelle Weise konterkariert [1][Ingo Schulze] mithilfe eines solchen | |
Typen das Master-Narrativ der Nachwende-Geschichtsschreibung. Sein Thema | |
sind die individuellen und gesellschaftlichen Brüche der Jahre 1989/90, | |
aber nicht analytisch sezierend, sondern Kopf stehend aus der Perspektive | |
eines Idealisten erzählt. | |
Es ist der Bericht über das vermeintlich „glückliche Leben“ eines | |
Gutmenschen, der versucht, über die Um- und Entwertungen der „Wende“ hinweg | |
ein Kontinuum herzustellen. Das besteht in seinem hartnäckigen | |
Kinderglauben an einen Kindergartenkommunismus, zu dem es eben die beiden | |
Anläufe über den Sozialismus oder den neuen Kapitalismus geben muss. Auf | |
groteske Weise nimmt er die propagierten sozialistischen Ideale ernst. | |
Und als ihm eine Positionierung zur Herbstrevolution 89 durch einen | |
Autounfall „erspart“ wird, wacht er aus dem Koma mit dem Eifer auf, das ihm | |
durch eine Schenkung während der DDR-Zeit zugefallene Häuserkapital zum | |
Wohle der Bedürftigen zu verwerten. Letzte Konsequenz ist die Verbrennung | |
seines Geldes. Man könnte auch von einem Tolstoi-Komplex sprechen. | |
## Linksextremist und Gutmensch | |
Dass da einer hartnäckig noch an etwas Schönes glaubt, muss ihn heute in | |
den Augen der abgestumpften Zeitgenossen schon zu einem Linksextremisten | |
machen. Moritz Kienemann, zum wiederholten Male in einer Fünf-Stern-Rolle, | |
zeigt auch keine Karikatur dieses Peter Holtz. Er ist in der Einsamkeit des | |
Gutmenschen freilich auch der reine Tor, also nackt. So zeigt ihn die | |
Regisseurin Friederike Heller, erfahren in der Inszenierung literarischer | |
Stoffe, auch eingangs und absehbar wieder im Finale. | |
Kienemann wird flankiert von einem durchweg inspirierten achtköpfigen | |
Spielerensemble. Vielleicht auch dank der vielen Dialoge der Romanvorlage | |
wirkt die Spielfassung so, als handele es sich ursprünglich um einen | |
dramatischen Text. | |
Der Einstieg erfolgt vom Ende her. Der gar nicht Verlegenheit erzeugende | |
nackte Peter stellt sich als der „erste ökonomische Häftling“ vor, in der | |
Klapsmühle mit Neuroleptika ruhiggestellt. Konsequenz einer | |
materialistischen Gesellschaft gegenüber einem Idioten, der Geld verbrennen | |
will. | |
## Auf dem „Holtz-Weg“ | |
Chronologisch geht dann Peter seinen Holtz-Weg auf einer Bühne von Sabine | |
Kohlstedt, die wie eine riesige Matratze aussieht und zum Suhlen und | |
Spielen einlädt. Das tut Peter ja auch, im Kinderheim, bei seinen | |
Pflegeeltern, im Singeklub. Überragend sind diese gar nicht nach | |
aufgesetzter Show aussehenden punkigen Einlagen mehrerer Akteure, die | |
„Moorsoldaten“ oder das „Sag mir, wo Du stehst“ des Oktoberklubs. | |
Sehr wenig Ausstattung braucht das Stück, es lebt vom intensiven Spiel. Ein | |
Tennisball dient als Universalrequisit, ein riesiger roter Ball mit | |
DDR-Emblem hängt als Sonne des Sozialismus über der Szene, bevor er 1989 | |
stürzt und auch Peter unter sich begräbt. Schubweise wird er durch Hunderte | |
Bälle ersetzt, die das Geld symbolisieren. Eklatant ist der historische | |
Bruch auch auf der Bühne in dem ohne Pause durchgespielten Stück zu spüren. | |
Jegliche Komödie erstirbt, die zuvor dankenswerterweise die DDR-Klischees | |
höchstens gestreift hatte. | |
Nur scheinbar ist Peter nach dem Wiedererwachen noch der alte Schwärmer. | |
Wenn man in der Psychiatrie landet, kann man wohl nicht so glücklich gelebt | |
haben, wie es der Buchuntertitel „Sein glückliches Leben erzählt von ihm | |
selbst“ suggeriert. Oder doch? Gegen Ende vernimmt man von Peter den | |
empathischen Satz: „Mein Glück hängt mit allem zusammen!“ | |
12 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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