# taz.de -- Verfilmung von „Adam und Evelyn“: Vorsichtige Ostdeutsche | |
> Andreas Goldstein hat den Wenderoman „Adam und Evelyn“ von Ingo Schulze | |
> verfilmt. Die Protagonisten wälzen sich hitzegeschwängert voran. | |
Bild: Ein Sommer, zu warm im Lesen: 1989 | |
Es ist heiß im Sommer 1989, im Osten wie im Westen, wochenlang sonnig, viel | |
zu trocken. Die beiden ProtagonistInnen in „Adam und Evelyn“ hängen darum | |
träge in ihren Gartenstühlen, Adam (Florian Teichtmeister), der Schneider, | |
näht an einem Damenkleid. Evelyn (Anne Kanis) ist es sogar zum Lesen zu | |
heiß. | |
Der Soundtrack zu diesem faulen, letzten Sommer der DDR ist Zirpen, | |
Vogelzwitschern – und ein Stimmenchor von NachrichtensprecherInnen, der | |
permanent aus dem Radio oder dem Fernsehen zu hören ist. Und der davon | |
erzählt, dass woanders etwas passiert: Ungarn lässt DDR-BürgerInnen | |
ausreisen. | |
Nach Ungarn wollte das Paar eigentlich gemeinsam in den Urlaub fahren. Aber | |
Evelyn erwischt ihren Adam dabei, wie er mit einer seiner Kundinnen flirtet | |
– es ist nicht das erste Mal. Sie fährt darum ohne ihn, mit ihrer Freundin | |
und deren West-Liebhaber. | |
In Andreas Goldsteins filmischer Adaption des gleichnamigen Romans von Ingo | |
Schulze, die [1][passend zum 30-jährigen Mauerfalljubiläum] kommt, wälzen | |
sich Aktion und Reaktion hitzegeschwängert langsam voran: Adam, dessen | |
Figur [2][in gewissen Ansätzen] der des Herzensbrechers Tomáš in Milan | |
Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ ähnelt, ist ein | |
passiver Verführer – er scheint nichts dafür zu können, dass die Frauen | |
sich bei ihm mit aller Leidenschaft bedanken wollen, wenn er sie gut | |
aussehen lässt. | |
## Der Schalk stets im Nacken | |
Der österreichische Schauspieler Florian Teichtmeister spielt seinen Part | |
mit überzeugend-reduzierter Mimik und wenig Text. Dass er seiner Freundin | |
in seinem todschicken, hellblauen Wartburg, Baujahr 1961, hinterherfährt, | |
ist für seine Verhältnisse fast schon exzessiv. Das Wort „Zurückeroberung�… | |
wäre vielleicht dennoch zu hoch gegriffen: So kriegerisch ist Adam nicht. | |
Und so unzufrieden mit der Situation schon gar nicht. | |
Vor allem am Anfang setzen der Ostberliner Regisseur Goldstein und seine | |
Co-Autorin, Kamerafrau und Editorin Jakobine Motz, die die Ereignisse um | |
1989 – wie ihre Figuren – als junge Menschen erlebt haben, Ingo Schulzes | |
Dialoge auf eine Weise ein, die an die frischen und originellen Defa-Filme | |
der 60er und 70er erinnert: Sätze werden nicht zu Ende gesprochen, und der | |
Schalk hockt den Beteiligten auf eine unaufgeregte Art stets im Nacken. | |
Die Spannung etabliert Goldstein in seinem ersten Akt zunächst | |
unterschwellig: Da ist Adam, dem es in seinem Garten, mit seinen Kleidern | |
und Kundinnen, in seinem (bald verschwindenden) Land zu reichen scheint. | |
Als er später auf dem Weg zum Balaton eine Tramperin (Lena Lauzemis) | |
aufgabelt, die versucht hatte, Ungarn schwimmend zu erreichen, fragt er | |
sie, was sie denn im Westen will. „Besser leben, überhaupt leben“ antwortet | |
sie. Adam nimmt das schweigend zur Kenntnis. | |
Aber da ist auch Evelyn, die rauswill aus der DDR, die ihre Zukunft | |
woanders sieht. Goldstein zeichnet sie ebenfalls als zögerlich – dass sie | |
mit dem aus Hamburg stammenden Liebhaber Michael (Milian Zerzawy) ihrer | |
Freundin Mone (Christin Alexandrow) schläft, hat zwar zunächst Konsequenzen | |
für die Beziehung aller Personen zueinander. Doch im Endeffekt sind Adam | |
und Evelyn, die wieder zusammenfinden, vorsichtige Ostdeutsche. | |
## Offene Grenzen, abnehemde Handlungslust | |
Fast ängstlich wirken sie, als sie später in Österreich landen, dort in | |
einem (West!)-Hotel absteigen und – angesichts der Namen der | |
ProtagonistInnen natürlich nicht zufällig – eine Bibel im Nachttisch | |
finden. „Hat die jemand vergessen?“, fragt Adam Evelyn unsicher, „können | |
wir die mitnehmen?“ | |
Es scheint, als ob die Handlungslust der Charaktere in diesem zweiten Akt | |
in dem Augenblick abnimmt, in dem die Handlung draußen, mit den offenen | |
Grenzen, dem sich abzeichnenden Mauerfall, zunimmt. Zwar passieren ein paar | |
unvorhergesehene Dinge, die mit gestohlenen Ausweisen, Ausreiseversuchen, | |
Eifersucht und vielleicht auch Michaels Neigung zum Protzen mit | |
internationalen Städten (New York, Paris) zusammenhängen. Doch sogar | |
Evelyn, die eigentlich viel saurer, energischer sein müsste, die immerhin | |
eine Agenda zu haben scheint, kriegt sich wieder ein. | |
Goldsteins überlegter, genauer Film, in dem man ob seiner | |
somnambul-statischen Gespräche, der Grabesmienen und der langen Pausen eine | |
sympathisierende Nähe zur (Ost-)Berliner Schule erkennen mag, nimmt erst am | |
Ende des Sommers wieder mehr Fahrt auf, als die Zukunft des Paares Adam und | |
Evelyn sich mit dem und durch das Verschwinden der DDR ändert. Obwohl sich | |
Adam vielleicht doch nicht so sehr ändert: „Willst du Tee oder Kaffee?“, | |
fragt Evelyn ihn, als die beiden schon in einem neuen Land stehen. „Egal“, | |
beharrt Adam. Aber er muss sich jetzt entscheiden. Einfach annehmen ist | |
obsolet geworden. | |
10 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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9. November 1989 | |
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