# taz.de -- Filmisches Essay über Klaus Gysi: „Die DDR ist aktuell“ | |
> Andreas Goldstein ist Regisseur von „Der Funktionär“ und Sohn von Klaus | |
> Gysi. Ein Gespräch über seinen Film und seinen Vater. | |
Bild: Klaus Gysi in all seinen Funktionen – das bilde der Film ab, ohne Portr… | |
Andreas Goldstein trägt einen anderen Nachnamen als sein Vater, Klaus Gysi. | |
Das mag eine Äußerlichkeit sein, fügt sich aber zum zentralen Modus seines | |
filmischen Essays, der sich immer wieder neu positioniert, Einstellungen | |
justiert, Haltung einnimmt: Der Einfühlung, die dem Sohn auferlegt ist, | |
steht der dauerbewusste Versuch einer Distanzierung gegenüber, die | |
gleichwohl gerecht sein will. Faire Strenge zeichnet Goldsteins Perspektive | |
auch auf jenes Land aus, in dem Klaus Gysi vom Verlagsleiter und | |
Kulturminister bis zum Botschafter und Staatssekretär für Kirchenfragen | |
diverse Ämter bekleidete – die DDR. Sie, besonders aber ihr heute | |
eindimensionales Image, wird in „Der Funktionär“ buchstäblich re-vidiert: | |
intellektuell, nachdenklich, rebellisch. | |
taz: Herr Goldstein, Ihr Film heißt „Der Funktionär“, nicht: „Mein Vate… | |
der Funktionär“. Dennoch ist es ein Vaterfilm. | |
Andreas Goldstein: Weil es in dem Film weniger um ihn und mich geht, | |
sondern um ihn in seinen Funktionen. Es ist auch weder ein Porträt noch | |
eine Biografie. Mein Vater ist hier eher eine Folie, durch die ich auf die | |
Geschichte der DDR schaue. | |
Vom Aufgang bis zu ihrem Untergang. | |
Ja. Wobei die zentrale Perspektive des Films der Blick auf die späten 80er | |
Jahre ist, richtiger: aus den späten 80er Jahren heraus. Das ist die Zeit | |
meiner eigenen politischen Sozialisation. | |
Der Vater kommt über seine politischen Funktionen in den Blick. Entspricht | |
das Ihrer Erfahrung? | |
Bei meinen Eltern ging es eigentlich meist um Politisches. Ich hörte die | |
Klagen über die jeweilige Politik der Führung, aber natürlich wuchs ich | |
auch mit den Erzählungen aus der vorsozialistischen Zeit auf. Hier lagen ja | |
die Gründe der DDR, in der Weimarer Republik und im Faschismus. | |
Der Film beginnt mit einer Parallelführung: der tote Kommunist als | |
Initialzündung für Gysi, der tote Vater für Sie. | |
Das markiert unsere unterschiedliche historische Erfahrung. Dennoch: Nicht | |
nur in seinen, auch in meinen Augen war die jeweilige Politik nur die | |
vorübergehende Erscheinung des Sozialismus, nicht seine Wirklichkeit. | |
Was für ein Sozialismus war das, den Klaus Gysi wollte? | |
Das weiß ich nicht und ich glaube auch, dass er im Grunde keine | |
Vorstellungen hatte. Er sagt ja in dem einen Gespräch, die Verbindung von | |
„Geist und Macht“ sei seine Hoffnung gewesen. Das ist aber eher Thomas Mann | |
als Sozialismus. Natürlich hatte er und auch die anderen Genossen dieses | |
sozialistische Minimalprogramm, das im Grunde ein sozialdemokratisches war, | |
im Kopf. | |
Das wäre? | |
Kostenlose Gesundheitsversorgung, bezahlbares Wohnen, billige Lebensmittel, | |
höhere Bildung für Arbeiter und Arbeiterkinder, eine garantierte Arbeit. | |
Das war aber noch keine kommunistische Perspektive. Manchmal hab ich mich | |
gefragt, ob er jemals in der DDR angekommen ist. Also im Sozialismus. Er | |
war 37 Jahre alt, als die DDR gegründet wurde. Da ist ja ein Mensch schon | |
fertig. | |
Es ist erstaunlich, wie aktuell „die DDR“ und ihr Verschwinden ist, auch | |
jenseits der magischen 30. Ich sprach darüber vor Kurzem mit Thomas Heise. | |
Für Sie ist das immer schon Thema. | |
Die DDR ist aktuell, weil sie ein umkämpftes Feld ist. Wenn heute Filme | |
oder Bücher über die DDR entstehen, so bilden sich dort widerstreitende | |
Interessen unserer Gegenwart ab. Es geht um die Frage, ob der Demokratie, | |
dem Kapitalismus widersprochen werden darf oder nicht. Die DDR ist aktuell, | |
weil es um die Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative geht, ihr | |
historisches Scheitern eingeschlossen. Denn es ist ja offensichtlich, dass | |
der Kapitalismus die Probleme, die er produziert, nicht lösen kann. | |
Das erinnert an das TV-Interview, in dem Gysi von Günter Gaus gleich nach | |
der Wende fies und gründlich in die Zange genommen wird … | |
Gaus gibt sich wirklich Mühe zu verstehen. Ich glaube, seine Position hat | |
sich auch noch einmal gewandelt. Er geht davon aus, dass die DDR an sich | |
selbst gescheitert ist. Es war aber auch eine Niederlage gegen die, die sie | |
nie wollten und die sie bekämpften. Auch die Sowjetunion wollte die DDR | |
nicht mehr. Dass dem Ende der DDR ihre Auflösung vorausging, dass der | |
Mauerfall nicht unvorbereitet kam, wurde auch mir erst im Abstand deutlich. | |
Wir leben ja immer in der Gegenwart. Historische Linien zu ziehen ist immer | |
erst retrospektiv möglich. Von heute aus gesehen bereitet sich das Ende der | |
DDR in der Defensive der Partei, im Verschwinden der politischen | |
Initiative und des Politischen überhaupt vor. | |
Bildet sich das auch im Recherchematerial ab? | |
Bevor ich im Archiv las, war mir das schon klar. Überraschend war die | |
Deutlichkeit, mit der ich das bestätigt fand, etwa in den Berichten, die | |
mein Vater als Staatssekretär für Kirchenfragen ans Politbüro schrieb. Da | |
werden keine Auseinandersetzungen geführt, es ging darum Konflikte zu | |
entschärfen. Man sieht da auch, wie tief die westdeutsche Politik schon in | |
der DDR stand. Die evangelische Kirche war der Kurier zur SPD. Auch die | |
Verschuldung dem Westen gegenüber war schon ein Übergang. | |
Ihr Film ist durchzogen mit starken Sätzen, die sich reflektierend über | |
Fotos, Filmausschnitte, Notizen und Dokumente von damals und Berlin-Bilder | |
von heute legen. | |
Ja, es war wichtig, nur Dinge zu erzählen, zu denen ich auch einen Gedanken | |
oder eine Frage habe. Ich wollte einen Film machen wie gegen eine Wand | |
gesprochen, also für mich oder für später. An keinen anderen adressiert. | |
Wie ging das konkret? | |
Ich habe während des Drehens und Schneidens Notizen gemacht. Über hundert | |
Punkte, die in irgendeiner Verbindung mit meinem Vater, der DDR standen. | |
Ich habe stets neu geordnet, alles zu Komplexen verbunden, übersichtlich | |
gemacht. Neues kam hinzu, anderes fiel raus. Die gedankliche Ordnung hat | |
dann diese filmischen Inseln nach sich gezogen. Ich mochte das | |
Fragmentarische: das Springen, Abreißen-Lassen. Keine narrative Linie: um | |
der Komplexität und Widersprüchlichkeit historischer Erfahrung einen Raum | |
zu geben. Unterschiedliche Schichten sollten aufeinandertreffen, wie im | |
eigenen Leben. Man ist ja nie nur in einer Zeit. Man trägt die Kindheit in | |
sich und steht doch in der Gegenwart. Das Bügeln und Glätten, die Narration | |
ist schon ein Verrat an der eigenen Erfahrung. | |
Was sagt da der Cutter dazu? | |
Der Film in seiner jetzigen Form ist ohne Chris Wright nicht denkbar. Er | |
hat die Auswahl sämtlicher Fotos getroffen und die Soundmontage gemacht. | |
Ich habe eine Idee, ein Thema gegeben und er hat meist das Material | |
bestimmt. | |
Und die Entscheidung zur „Stimme aus dem Off“? | |
War alternativlos. Ich wollte nie Interviews machen. Das wäre dann ein Film | |
über die Menschen geworden, die sich an meinen Vater erinnern. Manche | |
meinen, ich hätte nicht selber einlesen sollen. Aber da ich ja meinen Vater | |
ausstelle, wäre es seltsam gewesen, mich hinter einer anderen Stimme zu | |
verbergen. | |
War dieser Vater ein Getriebener, wie Ihr Film suggeriert? | |
Es war eine Karriere mit Brüchen und er war sicher nicht in allen | |
Funktionen ein Getriebener. Ich glaube, er war getrieben, weil er die | |
Konflikte, in denen er steckte, nicht lösen konnte. Weil er allen Leuten | |
alles Mögliche versprach, was er dann nicht halten konnte. Immer auf beiden | |
Seiten zugleich. Der Parteiführung musste er versprechen, Ordnung zu | |
schaffen, den Künstlern oder Bischöfen versprach er, sich für ihre Belange | |
einzusetzen. Wir haben heute das Bild der Funktionäre, die kompromisslos | |
die Linie durchsetzen. Das Autoritäre darin aber täuscht über die | |
Haltlosigkeit der Politik der letzten Jahre hinweg. Die Partei versuchte es | |
allen recht zu machen, sie scheute den direkten Konflikt. Sie taktierte | |
ohne eine Strategie. In diesem Sinne agierte mein Vater ganz auf der Linie | |
der Partei. | |
Sie schreiben: „Von einem Kommunisten erwartet man, im Gegensatz zu einem | |
Bankdirektor, Ideale. Und dass er an ihnen scheitert, besser noch zugrunde | |
geht. Schicksale, die man einem Bankdirektor nicht verzeihen würde. Der | |
gute Kommunist ist eine tragische Figur, der beste eine Leiche.“ | |
Damit beschreibe ich den Horizont des öffentlichen Diskurses. Wie darf ein | |
„guter Kommunist“ erscheinen? Als tragischer Träumer, der mit seinem | |
Scheitern beweist, dass die Welt nicht zu ändern ist. Mein Vater hat in | |
seinem letzten Fernsehauftritt leider diese Rolle gegeben, so wie man sie | |
ihm vorgelegt hat. Das mündet in der Formulierung: „Ja, es war eine | |
Illusion, aber ich möchte den Glauben nicht aufgeben.“ Hier verwandelt er | |
den Sozialismus als historische Tatsache wieder zurück in eine Utopie. Also | |
etwas Unerreichbares, an das zu glauben aber schön ist. Und das schließlich | |
gestattet einem die bürgerliche Gesellschaft. | |
11 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Barbara Wurm | |
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