| # taz.de -- Historienfilm „Maria Stuart“ – ein Trend: Angst vor der Frau … | |
| > Filme über historische Stoffe wie „Maria Stuart“ liegen im Trend. Können | |
| > sie ernsthaft Verständnis für politische Zusammenhänge vermitteln? | |
| Bild: Saoirse Ronan spielt Maria Stuart, wie sie leibte und lebte – oder? | |
| Maria Stuart sah Saoirse Ronan ähnlich. Sie hatte ein schmales Gesicht | |
| mit gerader Nase, helle Augen, und ein kindliches Kinn. Da es keine Fotos | |
| von Stuart gibt, weil die ehemalige Königin von Schottland und später | |
| Frankreich 1587 geköpft wurde, ist die neueste, bereits zehnte Verfilmung | |
| ihres tragischen Lebens auch das neueste Referenzbild. | |
| Die erfahrene britische Theaterregisseurin Josie Rourke, die mit „Maria | |
| Stuart, Königin von Schottland“ nun ihren Debütfilm vorlegt, hat sich in | |
| ihrer Version der Geschichte (und der Historie) auf Genderaspekte | |
| konzentriert: Sie zeigt Stuart als Anführerin einer Mädchenclique inmitten | |
| von ihr zugetanen Kammerzofen. Als selbstbewusst-fordernde Bettgenossin | |
| ihres Ehemannes Henry, Lord Darnley, dessen Homosexualität – das behaupten | |
| zumindest Rourke und das ihrem Film zugrunde liegende Buch von John Guy – | |
| ein Mitgrund für das Scheitern der Ehe war, nicht aber für eine zumindest | |
| anfangs vorhandene körperliche Anziehung, der sich beide hingeben. | |
| Rourke zeigt sie weiter als Kämpferin, deren männliche Gegenspieler vor | |
| allem mit ihrem Geschlecht argumentieren und diffuse Ängste vor der „Frau | |
| mit der Krone“ zu schüren trachten: „Ihr wollt euch doch nicht von einem | |
| Weib regieren lassen?!“ Maria Stuarts schicksalsbestimmende Cousine Königin | |
| Elizabeth I., gespielt von Margot Robbie, bleibt dagegen allein, in jeder | |
| Beziehung – weil sie keinen Mann hat, schenkt sie ihrem Land keinen | |
| Thronfolger. Irgendwann wird die „Virgin Queen“ verbittert sagen: „Ich bin | |
| selber wie ein Mann.“ | |
| Der letzte Film über das Wirken der 1,80 Meter großen Königin und den | |
| Knatsch mit ihrer royalen Verwandten Elizabeth hat neben den üblichen mehr | |
| oder weniger wohlwollenden Kritiken in den Feuilletons auch | |
| WissenschaftlerInnen aufs Parkett gerufen. „Sie hatte keinesfalls einen | |
| schottischen Akzent“, entrüstete sich die britische Historikern Estelle | |
| Paranque jüngst gegenüber der BBC. Und getroffen hätten sich die beiden | |
| Rivalinnen nie, schon gar nicht zu einer Aussprache – die Sequenz im Film, | |
| in der Stuart versucht, ihre Cousine zwischen wehenden Tüchern in einem | |
| leer stehenden Haus umzustimmen, ist allerdings bei Rourke eine | |
| Schlüsselszene: Queen Elizabeth, gezeichnet von Pockennarben und ihrem | |
| anstrengenden Leben, lässt sich nicht vom Elan Maria Stuarts einwickeln. | |
| Ist es dennoch gut, wenn man mit Maria Stuart nach einem Film mehr | |
| verbindet als vorher? Weil man überhaupt etwas über sie zu wissen meint? | |
| Vielleicht kannte man keine einzige Adaption des Stoffes, hatte den | |
| Wikipedia-Eintrag schon vergessen, die Tudors im Geschichtsunterricht | |
| verpennt und auch Schillers Trauerspiel in fünf Akten aus dem Jahr 1800 | |
| weder in der Schule noch zu Hause gelesen. Ist also die filmische Adaption | |
| der Historie, die Fiktionalisierung eines wirklichen, gelebten Lebens trotz | |
| kleinerer und größerer „Fehler“ oder Interpretationsöffnungen eine proba… | |
| Methode, um Geschichte, Gesellschaftsformen, Verständnis für politische | |
| Zusammenhänge zu vermitteln? | |
| ## Sich an der Geschichte orientieren | |
| Es sieht jedenfalls ganz danach aus. Im Jahr 1980 starteten in der | |
| westlichen Welt 14 biografische Filme, 1990 waren es 21, 2010 über 50, 2018 | |
| mehr als 70 (über so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Colette, Astrid | |
| Lindgren, Gerhard Gundermann und Hape Kerkeling). Die Zahl der insgesamt | |
| produzierten Spielfilme in diesem Zeitraum stieg jedoch weit weniger steil | |
| an. Und auch wenn die Zählmethode aufgrund teils mangelhafter Informationen | |
| über Anzahl und Qualität der Produktionen in großen Filmländern wie zum | |
| Beispiel Indien fragwürdig sein mag – es ist nicht nur ein oberflächlicher | |
| Eindruck, dass die Geschichten, die das Kino erzählt, sich seit einiger | |
| Zeit verstärkt an der Geschichte orientieren. | |
| Und an „Herstory“: Gerade die Filmwirtschaft in den USA scheint – im Zuge | |
| der #MeToo-Diskussion, die eine größere Sensibilität gegenüber | |
| Gender-Gleichberechtigung zur Folge hatte – im letzten Jahr mit „Mary | |
| Shelley“ und „Colette“ die Künstlerin als Protagonistin für einen | |
| erfolgversprechenden Film entdeckt zu haben. Sie will sich zudem nicht | |
| länger vorwerfen lassen, dass weibliche Biografien unterrepräsentiert | |
| seien. | |
| Die dänisch-schwedische Produktion „Astrid“ über Astrid Lindgren erweitert | |
| diese Palette. Inwiefern sich jene Biografien tatsächlich für spannende | |
| Filme eignen, ist jedoch diskutabel: Weder die Geschichten über die | |
| „Frankenstein“-Autorin noch über die 100 Jahre später in Frankreich | |
| lohnschreibende Colette warten mit einem brauchbaren Dilemma auf. Und in | |
| beiden Fällen verknüpften die MacherInnen die Schicksale ihrer leading | |
| women viel zu sehr mit denen ihrer männlichen „Entdecker“. | |
| ## Die SchauspielerInnen haben klare „Vor-Bilder“ | |
| Dabei zeigen konzentrierte Künstlerinnenbiografien wie die 2017 | |
| ausgestrahlte BBC-Produktion „To Walk Invisible“ von Sally Wainwright über | |
| die Brontë-Schwestern, dass sich Fallhöhen und innere Qualen wegen | |
| Kreativitätszweifel, in Frage gestellter Weiblichkeit oder mangelndem | |
| Selbstbewusstsein durchaus dringlich darstellen lassen. Die Nacherzählung | |
| von Realien fordert die MacherInnenseite eben: Anstatt einer erdachten | |
| Figur mit dem eigenen Körper ein Gesicht samt Marotten und persönlichen | |
| Besonderheiten zu geben, haben die SchauspielerInnen klare „Vor-Bilder“. | |
| Wenn sie die Persönlichkeit vermeintlich besonders gut herausarbeiten, wird | |
| das – wie im Falle von Rami Malek alias Freddie Mercury – anerkannt. | |
| RegisseurInnen und DrehbuchautorInnen wiederum sind, je nachdem, wie | |
| „korrekt“ sie arbeiten wollen oder müssen, in ihrer Fantasie eingeschränkt | |
| – sie können dem Plot nicht einfach den Dreh geben, der ihnen am besten | |
| gefällt. Das mag auch ein Grund für lahme Ergebnisse sein: Es ist eben | |
| nicht jedes Leben von Anfang bis Ende spannend – jedenfalls nicht für | |
| Publikum. | |
| Neben den „Biopics“, die einen Teil oder das gesamte Leben von „VIPs“ u… | |
| Nischen-VIPs nachzeichnen und sich insofern von der vagen Angabe „based on | |
| true events“ unterscheiden, benannte der US-amerikanische Vanity-Fair-Autor | |
| James Wolcott schon im letzten Jahr den Trend, auch wahre Verbrechen für | |
| die Unterhaltung aufzuarbeiten: Mit jüngst ausgezeichneten Serien über die | |
| Morde an O. J. Simpson oder Gianni Versace (im Rahmen der Sky-Produktion | |
| „American Crime Story“) sowie mit Spielfilmen über Tupac Shakur („All Ey… | |
| on Me“) und die Eiskunstläuferin Tonya Harding, („I, Tonya“) hätte „d… | |
| Kunst des Mordens“ Einzug gehalten in das goldene Zeitalter. | |
| ## Traumata evozieren | |
| In einem Essay zitiert er den Buchautor Daniel Mendelsohn, der in Bezug auf | |
| fiktionale Werke über 9/11 behauptete, diese Filme seien allerdings „mehr | |
| Gardine als Fenster“, weil man nicht wirklich hinschauen wolle. Sie | |
| verschleierten die Tatsachen. Bei Werken über das Kennedy-Attentat, die von | |
| Oliver Stones „JFK“ bis Peter Landesmans „Parkland“ mindestens genauso … | |
| Zweifel an der „Echtheit“ ernteten wie jüngst Maria Stuart, kann man | |
| ebenfalls unterschiedliche Interpretationen von Fakten erleben. Ein | |
| komplexer Aspekt der Visualisierung von wahren Verbrechen, gerade solchen | |
| der jüngsten Vergangenheit, sind die möglichen Traumata, die sie evozieren | |
| oder verstärken. | |
| Kann Ridley Scott, der 2018 die Entführung des 16-jährigen Millionenerben | |
| John Paul Getty III. inszenierte, die mit einem abgeschnittenen Ohr und mit | |
| lebenslangen psychischen Wunden beim Entführungsopfer endete, betroffene | |
| Angehörige mit seinem Film retraumatisieren? Wie soll jemand eine | |
| grauenhafte Tat, deren Opfer er oder sie selbst, einE FamilienangehörigeR | |
| oder einE FreundIn war, je überwinden, wenn das Internet, das Fernsehen und | |
| sogar die Plakatwände in der realen Welt plötzlich wieder en masse Bilder | |
| ausspucken, neue und alte? | |
| FilmproduzentInnen werden dieses Problem kaum in Erwägung ziehen dürfen – | |
| sie bewerten das Recht vieler auf „Unterhaltung“ und Information höher als | |
| den Anspruch weniger auf Privatsphäre. In diesen Bildern liegt zudem der | |
| Schlüssel für die Beliebtheit von Biopics und True-Crime-Nacherzählungen: | |
| Nie war es so einfach, bewegte Bilder zu erstellen und in Realtime zu | |
| verbreiten. | |
| ## Bilder sind der direktere Weg | |
| Und weil der Mensch ein visuelles Wesen ist, und im Zweifel Bilder – egal | |
| ob im Spielfilm oder der Nachrichtensendung – schneller aufnimmt und | |
| leichter emotionale Anteilnahme zu den Situationen und Figuren entwickelt | |
| als beim Lesen oder Zuhören, sind sie der direktere Weg. Ihre Rezeption | |
| benötigt weniger Abstraktionsvermögen. | |
| Die Bewertung dieser Entwicklung bleibt Ermessenssache. Es ist bestimmt | |
| positiv, schneller mehr vermitteln zu können. Dass die Vielschichtigkeit | |
| und Objektivität der Darstellung von Ereignissen darunter leiden kann, muss | |
| als Nebeneffekt im Kopf bleiben. Apropos: Welchen einen Einfluss das alles | |
| auf das menschliche Gehirn hat, werden ExpertInnen untersuchen müssen. Und | |
| dann am besten einen Spielfilm über ihre Ergebnisse machen – so werden sie | |
| wenigstens wahrgenommen. | |
| 16 Jan 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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