# taz.de -- Dokumentarfilm über Leo Wagner: Schatten und dröhnende Bigotterie | |
> Der Dokumentarfilm „Die Geheimnisse des schönen Leo“ porträtiert einen | |
> verwegenen CSU-Politiker. Und zeichnet eine Skizze der Bonner Republik. | |
Bild: Fast nur Pose: die familiäre Bindung von Regisseur und Hauptfigur | |
„Ich trage eine ähnliche Brille wie er“, sagt [1][Benedikt Schwarzer] und | |
meint Leo Wagner, seinen Großvater, CSU-Politiker mit mehrfachem | |
Doppelleben. Dieser Satz, gleich zu Beginn des Dokumentarfilms „Die | |
Geheimnisse des schöne Leo“, soll leicht raunend als Indiz für eine | |
untergründige familiäre Verstricktheit des Regisseurs gelten. Der Regisseur | |
tritt in einer Doppelrolle auf – er ist selbst Teil der Geschichte, die | |
enthüllt wird. | |
Dieser Authentizitätsbonus soll die erzählerische Perspektive beglaubigen | |
und ist ein zentraler Irrtum dieser Konstruktion. Die familiäre Verbindung | |
ist fast nur Pose. Dass Schwarzer wie sein CSU-Großvater mit einem adretten | |
70er-Jahre-BMW durch die Republik fährt, ist so trashig, dass es schon | |
wieder gut ist: Reenactment als alberner Gag. | |
Im Hintergrund plätschert beim Gespräch mit Ruth, der Mutter des | |
Regisseurs, Klaviersound. Wenn Nachtclubszenen zu sehen sind, ertönt ein | |
Saxofon. Dieser Film behandelt uns wie Begriffsstutzige. Sein Credo ist das | |
Klischee und das Übereindeutige. Mal schaut der Regisseur sich Negative der | |
Fotos von Leo Wagner an. Aha, hier muss die Wahrheit noch entwickelt | |
werden. | |
Solche Ideen – Enkel recherchiert die Geschichte seines Opas, der sich in | |
den siebziger Jahren von der Stasi bestechen ließ – kommen bei | |
Filmförderungen gut an. Sie versprechen einen intimen Mehrwert. Die | |
analytische Schärfe des Kommentars bewegt sich indes auf dem Niveau von | |
„Mein Großvater ein Verräter? Das kann ich kaum glauben“. Allzu oft sehen | |
wir in Zwischenschnitten das freundlich dreinblickende Antlitz des | |
Regisseurs, der die selbstgeschneiderte Rolle im Zentrum weder als Agent | |
des Publikums noch als Akteur auszufüllen vermag. | |
## Durch Plattheiten zum Interessanten | |
Man muss eine Menge Plattheiten überstehen, um den interessanten Kern in | |
den Blick zu bekommen: die Geschichte von Leo Wagner, CSU-Karrierist, | |
Vertrauter von Franz Josef Strauß und als parlamentarischer Geschäftsführer | |
der CSU-Fraktion in Bonn nach 1969 an einer Schlüsselstelle der Macht. | |
Wagners skandalöse Biografie ist bekannt. Er ließ sich, finanziell wegen | |
enormer Ausgaben in Nachtclubs immer am Abgrund, von der Stasi bestechen, | |
wurde wegen Kreditbetrug verurteilt und votierte beim Misstrauensvotum | |
gegen Willy Brandt 1972 wohl im Auftrag der Stasi gegen dessen Sturz. | |
In seiner Familie war er ein Tyrann, der sich selten blicken ließ. In | |
Nachtclubs ging es, so ein Ex-Barkeeper, weniger um Sex als darum, dass | |
„sich der VIP-Gast von Frauen anhimmeln ließ“. So entsteht, wenn auch nur | |
als Skizze, ein Sittenbild [2][der Bonner Republik], mit der verzweifelten, | |
verlassenen Ehefrau, die nachmittags Kellergeister trinkt und einem Mann, | |
der seine mannigfachen Geliebten ebenso anschweigt wie seine Familie. | |
Regungen zeigt er nur, wenn von Scheidung die Rede ist, weil das seine | |
Karriere gefährdet. | |
Unglückliche Frauen, leere Männer. Doch die Figuren bleiben Schatten, | |
Rätsel, ferne Echos einer untergegangen Zeit von dröhnender Bigotterie. Was | |
Wagner zum monströsen Betrüger machte, was seine Ehefrau an ihr Unglück | |
kettete, ist kaum zu ahnen. | |
## Das Desaster bleibt ungelöst | |
Ins Zentrum des Dramas rückt Ruth, die Mutter des Regisseurs. Nach dem Tod | |
seiner Gattin 1980 ließ Wagner kaltherzig die 15-jährige Ruth allein und | |
war an deren Selbstmordversuch nicht unschuldig. Diese Geschichte ist das | |
Kraftzentrum, auf das der Film etwas abrupt zusteuert. Am Ende findet der | |
Regisseur-Sohn Dokumente, die Zweifel säen, ob seine Mutter überhaupt die | |
leibliche Tochter von Leo Wagner ist. Der DNA-Test bringt Überraschendes. | |
Das Geheimnis des familiären Desasters bleibt ungelöst. | |
Regina Schillings Dokumentation „Kulenkampfs Schuhe“ fand kürzlich die | |
Balance zwischen dem analytischen, kühlen Rückblick und dem Kinderblick von | |
damals und schlug elegant eine Brücke zwischen privater Familiengeschichte | |
und Sittenbild der alten Bundesrepublik. Die Selbstdistanz, die scharfe | |
Beobachtungsgabe und die kluge Montage, die dafür nötig sind, fehlen hier | |
leider vollends. | |
20 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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