# taz.de -- Asia Argento und #MeToo: Fremde Betten und ihre Benutzung | |
> Der Schauspielerin Asia Argento wird Missbrauch vorgeworfen. Was | |
> bedeutete das 2018 für die #MeToo-Bewegung? | |
Bild: Gereckte Faust, mit Körperspannung: Asia Argento beim Women's March in R… | |
Immer diese Selfies. Vor ein paar Monaten ist ein angebliches | |
Schlafzimmer-Selfie aufgetaucht, das zu einem Wendepunkt im Streit zwischen | |
der italienischen Regisseurin und Schauspielerin Asia Argento, Tochter des | |
Horrorfilmregisseurs Dario Argento, und einem ihrer ehemaligen Filmpartner, | |
dem heute 22-jährigen Schauspieler Jimmy Bennett, werden sollte. | |
[1][Das Foto kostete die 43-Jährige nach Ansicht vieler KollegInnen ihre | |
Glaubwürdigkeit als Vorkämpferin der #MeToo-Bewegung:] Auf dem Bild, das | |
von 2013 stammt, sieht man sie nebeneinander vor einem weißen Hintergrund, | |
ihre Schultern sind unbedeckt, sie lächeln verschmitzt. Oder verschwitzt? | |
Bennett hatte der Schauspielerin im Sommer 2018 vorgeworfen, ihn fünf Jahre | |
zuvor sexuell missbraucht zu haben. Er war damals 17 – und somit in | |
Kalifornien, wo das Treffen zwischen den beiden stattfand, noch | |
minderjährig. [2][Argento hatte die Vorwürfe abgestritten;] ihre Beziehung | |
zu Bennett sei stets platonisch gewesen, sagt sie. Die Verbreiterin New | |
York Times, der ihre Quellen nicht offenlegt, hatte auch berichtet, dass | |
Argento und ihr inzwischen verstorbener damaliger Freund Anthony Bourdain | |
sich mit Bennett außergerichtlich geeinigt und ihm 250.000 Dollar gezahlt | |
hätten – laut Argento, weil Bennett in finanziellen Schwierigkeiten steckte | |
und sie ihm helfen wollten. | |
Mit der Veröffentlichung des Bildes hatte Argento die sexuelle Begegnung | |
zugegeben – allerdings sei diese auf Initiative von Bennett geschehen. | |
Einen SMS-Wechsel zwischen der Schauspielerin und einer Freundin hatte die | |
NYT ebenfalls aufgetrieben – Argento schreibt, dass sie Sex mit Bennett | |
hatte, dass es sich „komisch“ angefühlt habe und dass sie um seine | |
Minderjährigkeit im Staat Kalifornien bis zu seinem „erpresserischen Brief“ | |
nicht gewusst habe. | |
## Bärendienst für #MeToo? | |
Seit dem angeblichen „Beweisfoto“ gilt Argento nun als „child molester“, | |
sie habe ein Kind missbraucht, werfen ihr große Teile der US-amerikanischen | |
Öffentlichkeit, auch ehemalige MistreiterInnen, vor. Im Mai letzten Jahres, | |
kurz vor den Vorwürfen, hatte sie bei der Preisverleihung der | |
Filmfestspiele in Cannes noch eine eindrückliche Rede gegen Missbrauch | |
gehalten – nun werfen ihr KritikerInnen vor, ihr „bigottes“ Verhalten | |
schwäche die Bewegung. | |
Süffisant kommentieren Männer und Frauen anonym, die #MeToo-Debatte sei | |
durch diese neue Facette in sich zusammengebrochen oder habe zumindest | |
einen schweren Schlag erlitten. Argento ist dadurch zu einem Feindbild für | |
einige #MeToo-KämpferInnen geworden, die ihr einen Bärendienst an der | |
Kampagne vorwerfen. Die Anschuldigungen, die sie als eine der Ersten gegen | |
den Produzenten Harvey Weinstein erhoben hatte, traten in den Hintergrund: | |
Wer einmal lügt, schimpfen die KritikerInnen, dem glaubt man nicht. | |
Dass das „Schutzalter“ für sexuelle Beziehungen, das „age of consent“,… | |
die Rechtsprechung der meisten US-amerikanischen Staaten übrigens bereits | |
mit 16 Jahren erreicht ist, spielt bei den Diskussionen keine Rolle. Dabei | |
wäre der Skandal wohl so nicht passiert, hätten Argento und Bennett ein | |
Hotel ein paar Meilen weiter östlich, in Nevada, für ihr Treffen | |
ausgesucht. | |
Kindesmissbrauch hätte man ihr nicht mehr vorwerfen können – und dass | |
Bennett das Erinnerungsfoto mit den beiden milde lächelnden Beteiligten | |
dann als Beweis für einen Vorfall aufgeführt hätte, ist unwahrscheinlich: | |
Bislang hatten Opfer sexuellen Missbrauchs immer Indizien für | |
gewalthaltiges Verhalten, unter anderem Fotos der Verletzungen, liefern | |
müssen, um einen Übergriff anzuzeigen – und nicht Selfies mit konsensuell | |
wirkender Zweisamkeit. | |
## „System Weinstein“ | |
Aber natürlich können Fotos lügen – genau wie Menschen. Männliche Opfer | |
weiblicher sexueller Gewalt weisen immer wieder auf die Ignoranz und | |
Zweifel hin, die ihnen begegnen. Nur weil Argento, so wird argumentiert, im | |
normativen Sinn als gut aussehend bezeichnet wird, Harvey Weinstein dagegen | |
von Patricia Arquette in einem Interview „Oger“ genannt wurde, würde mit | |
zweierlei Maß gemessen. | |
Dass beide Vorwürfe – Argentos Anschuldigungen gegen Weinstein und die | |
Beschuldigungen Bennetts gegen sie – jedoch bei der Diskussion überhaupt | |
wechselseitig ins Gewicht fallen, ist unverhältnismäßig, allein durch die | |
Fakten und nicht durch Lookism-Zuweisungen: Mehr als 90 Frauen haben im | |
Rahmen des Weinstein-Skandals bislang Anschuldigungen wegen sexueller | |
Belästigungen oder Nötigungen gegen den Filmproduzenten erhoben und | |
Argentos Behauptung damit untermauert. Sämtliche MitarbeiterInnen von | |
Weinsteins Firma sowie mehrere Regisseure, die mit ihm zusammenarbeiteten, | |
bestätigen das jahrzehntelange Bestehen eines krankhaft kriminellen „System | |
Weinsteins“. | |
Auch Asia Argento beschuldigt den Mann, sie vor über zwanzig Jahren in | |
Cannes vergewaltigt zu haben – das sagt aber über Bennetts Vorwurf gegen | |
sie nichts aus. Selbstverständlich können Opfer zu TäterInnen werden. Aber | |
da weder das eine noch das andere bislang bewiesen wurde, darf man diese | |
beiden sehr unterschiedlichen Fälle, die zu Recht unter dem Hashtag #MeToo | |
laufen und dementsprechend relevant sind, nicht vermischen. | |
Man sollte sich vielleicht eher über die Umstände wundern, unter denen das | |
Drama seinen Lauf nimmt. Und die so symptomatisch für eine Gesellschaft | |
sind, in der nach einem wie auch immer empfundenen Schäferstündchen ein | |
Selfie gemacht oder der Akt – [3][wie im Fall des wegen „falscher | |
Verdächtigung“ verurteilten Models Gina-Lisa Lohfink] – gleich gefilmt | |
wird. | |
## Mediale Selbstdarstellung | |
Die unliebsame Vermischung von Privatem mit Öffentlichem bestimmt bereits | |
in dem über dreißig Jahre alten Film „No Way Out“ (ein Remake einer | |
Buchadaption von 1948) den Plot: In Roger Donaldsons Thriller von 1987 | |
macht eine verheiratete Frau ein Polaroidbild von ihrem Liebhaber. Das | |
„Negativ“ dieses Fotos bleibt unter dem Bett liegen. Als die Frau stirbt, | |
versucht ihr Mann, ein hohes Regierungsmitglied, mithilfe des Negativs (und | |
anderer Hinweise) die Identität des Liebhabers und vermuteten Spions zu | |
ermitteln, er lässt ein Grafikprogramm das Positivfoto ausrechnen. Das, was | |
eigentlich als Erinnerungsgeste, als Souvenir an eine wunderbare (oder | |
heiße) Zeit gedacht war, wird so zum Indiz vor Gericht. | |
Irgendwann war das mal anders: Die sogenannte Chatham House-Regel | |
bezeichnet seit 1927 die Übereinkunft, bei einem vertraulichen | |
Zusammentreffen die Anonymität und die Inhalte der Beteiligten zu wahren. | |
Etwas freier interpretiert: „What happens in this room, stays in this | |
room.“ Für den „bed room“, das Schlafzimmer, gilt das auch. | |
Bettgeschichten, die zudem je nach gesellschaftlicher Entwicklung mit Scham | |
und Tabus belegt waren, stellten für die meisten Menschen jahrhundertelang | |
den Inbegriff der Privatsphäre dar. | |
Wer sich öffentlich brüstete, mit Anzahl oder Rang von LiebhaberInnen oder | |
Techniken, war – zwischenmenschlich gesehen – ein Idiot. Und dass nur über | |
Sex redet, wer keinen hat, stimmt vielleicht nicht immer, aber oft. Dabei | |
könnte ein Foto natürlich auch bei einem #MeToo-Vorwurf nützen, indem es | |
sexuelle Gewalt oder Verletzungen nachweist. Sollte man die Handykamera | |
beim Sex darum auf jeden Fall prophylaktisch anknipsen? Wer so über Sex | |
denkt, sollte es vielleicht eher mit einer Therapie versuchen. | |
Dass man fremde Betten und ihre Benutzung seit Jahren nicht mehr nur im | |
Porno sieht, liegt einerseits an der Verfügbarkeit von digitalen | |
Aufzeichnungsgeräten. Andererseits ist die mediale Selbstdarstellung ein | |
lukrativer Faktor für jedeN, der oder die von Öffentlichkeit profitiert: | |
KünstlerInnen, BloggerInnen, InfluencerInnen. Statt Zigarette danach gibt | |
es jetzt das Selfie danach. Gesünder ist das bestimmt nicht. | |
31 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Schauspielerin-Asia-Argento/!5525805 | |
[2] /Vorwuerfe-gegen-MeToo-Aktivistin/!5530139 | |
[3] /Neues-Gerichtsurteil/!5420933 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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Bericht zurück. |