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# taz.de -- Regisseurin über ihre Pegida-Doku: „Ein Film über Menschen“
> Sabine Michel hat für „Montags in Dresden“ drei Pegida-AnhängerInnen im
> Alltag und bei den Demos begleitet – und wurde dafür heftig kritisiert.
Bild: Warum „nicht mit uns“? Pegida-Anhänger René Jahn und seine Mitstre…
taz am wochenende: Frau Michel, wann waren Sie das letzte Mal in Dresden?
Sabine Michel: Vor einem Monat ungefähr.
Und wie geht es Ihnen, wenn Sie zurückkommen?
Ich bin mit 18 Jahren, kurz nach dem Abitur, direkt zur Wende, aus Dresden
weggegangen. Seitdem habe ich zu Dresden eine Art Hassliebe behalten. Es
gibt immer eine Spannung zwischen dem Vertrauten, den Erinnerungen, die die
ich in mir trage, und dem, was mich damals weggetrieben hat und was es
immer noch gibt, dieser extreme Traditionalismus der Stadt.
Ist diese konservative Grundhaltung der Stadt die Erklärung dafür, dass
gerade in Dresden Pegida entstanden ist und sich immer noch hält?
Ich kann nur für mich als Regisseurin sprechen. Ich glaube, es gibt nicht
den einen Grund, dass dort die Leute auf die Straße gegangen sind und
sagen: Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es war. Das hat sicher was
damit zu tun, dass Dresden schon im Osten und auch heute noch sehr
konservativ ist – trotz der Touristen und auch im Gegensatz zu anderen
Großstädten, die eher polyglott und multikulturell sind. Schon August der
Starke hat Künstler und Arbeiter nach Dresden geholt, aber die sollten dann
auch schön unter sich bleiben im italienischen Dörfchen zum Beispiel. Dann
spielt vielleicht eine Rolle, dass es kein Westfernsehen gab im sogenannten
Tal der Ahnungslosen. Außerdem Herr Biedenkopf, der die Sachsen darin
bestärkt hat, sie seien was ganz Besonderes im Freistaat Sachsen. Dann
natürlich die Verletzungen nach der Wende, die ein Entwertungsgefühl
produziert haben. Über diesen regionalen Spezifika können wir aber nicht
vergessen, dass immer mehr Menschen in dieser Gesellschaft abgehängt werden
oder sich so fühlen, kulturell und finanziell. Es gibt einen Riss, der
größer wird. Davon erzählt der Film, und das ist ein überregionales
Problem.
Warum wollten Sie einen Film drehen über Pegida?
Ich hatte mich in meinen Filmen wie „Zonenmädchen“ ja schon mit
DDR-Prägungen und Transformationserfahrungen beschäftigt. Schon da habe ich
immer gedacht: Es müsste doch eigentlich mehr Empörung geben, mehr Protest.
Allerdings hätte ich eher einen linken Protest erwartet. Als es in Dresden
losging, ganz am Anfang, als noch nicht klar war, in welche Richtung die
Reise geht, fand ich es erst einmal interessant, dass hier im Osten eine
Politisierung stattfindet. Das hat mich als Dokumentarfilmerin
interessiert, deswegen habe ich mich vor drei Jahren auf den Weg gemacht
und versucht, unter die erste Schicht zu kommen.
Glauben Sie, das ist Ihnen gelungen, mit „Montags in Dresden“ unter die
erste Schicht zu kommen?
Ja, das glaube ich schon. Vorausgesetzt, man möchte wirklich etwas erfahren
über Pegida und diese Menschen und darüber, welchen Anteil auch die
neoliberale Wirtschaftsentwicklung der letzten 15 Jahre an Pegida hat, dann
kann einem dieser Film etwas erzählen. Ich wollte, dass differenziert
betrachtet wird, was da in Dresden passiert, welche realen und irrationalen
Ängste es da gibt, wie die entstanden sind, warum sich da ein diffus
waberndes Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, gegen daran Unschuldige,
gegen Flüchtlinge richtet. Ich wollte auch sehen, an welcher Stelle man in
der politischen Entwicklung vielleicht andocken kann, um Leute wieder für
die Demokratie und dieses Land zurückzugewinnen. Als ich den Film
angefangen habe, wusste man ja noch ganz wenig über diese Leute, die da
demonstriert haben, Pegida hat ja auch nicht mit der Presse gesprochen –
und das war erst einmal das Motiv: loszugehen, diese Mauer zu durchdringen
und rauszukriegen, was sind das für Leute und was bewegt sie, auf die
Straße zu gehen.
Ist der Film vielleicht zu spät dran?
Ich habe meine Protagonisten anderthalb Jahre lang begleitet, der Film ist
seit fast einem Jahr fertig. Film ist nun mal ein langsames Medium, ich
würde ihn heute – nach diesem Wahlergebnis und da sich Pegida und die AfD
immer weiter annähern – wahrscheinlich anders angehen. Unabhängig davon
behält der Film aber seine gesellschaftliche und politische Relevanz. Wie
gehen wir damit um, dass 30 Prozent AfD wählen? Die kann man ja nicht alle
in den Keller sperren. Ich finde, wir sollten uns fragen, was diese
Bewegung mit ihrem Protest gemeint haben könnte.
Verstehen Sie die Kritik, die es an Ihrem Film gibt?
Nein, aber ich finde es in Ordnung, dass der Film für manche offensichtlich
eine Zumutung darstellt. Der Film löst etwas aus – im Leipziger
Hauptbahnhof saßen bei der Vorführung 800 Menschen. Denn er behandelt das
vielleicht wichtigste innenpolitische Thema unserer Zeit und ist immer noch
der einzige Film, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Aber, und das
ist wichtig: Er ist kein politischer Beitrag, sondern ein künstlerischer
Dokumentarfilm. Und mein Dokumentarfilm-Ethos bedeutet, dass ich den
Menschen auf Augenhöhe begegnen will. Der Film ist auch ein
Gesprächsangebot – und Gespräche zwischen den verschiedenen Lebenswelten
finden in unserer Gesellschaft zu selten statt. Deshalb wollte ich nicht
jede Aussage der Protagonisten hinterfragen, ich wollte vor allem die
Prägungen aus der Kindheit in der DDR, ihren Alltag vor und nach dem
Mauerfall, ihre Sorgen und Ängste und ihr soziales Umfeld ins Verhältnis
setzen zu dem, was sie heute bewegt. Das heißt aber nicht, dass der Film
etwas beschönigt oder gar entschuldigt.
Ein Vorwurf ist, der Film würde sich mit Pegida gemein machen.
Alle wollen immer eine eindeutige politische und ideologische Einordnung,
aber wenn ich mich in einem Film auf Menschen einlasse, dann will ich etwas
von ihnen erfahren, dann will ich denen nicht erzählen, dass ich alles
besser weiß. Ich versuche, möglichst vorurteilsfrei auf Menschen zu
schauen, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. „Montags in
Dresden“ ist kein Film über Pegida, sondern über Menschen. Aber natürlich
nimmt er trotzdem eine Haltung ein: durch die Wahl meiner künstlerischen
Mittel, durch die Montage, natürlich auch durch die Erzählerstimme und die
Fragen, die ich stelle.
Was der Film sehr schön herausarbeitet, ist der soziale Aspekt, den Pegida
hat.
Ja, da treffen sich jeden Montag immer dieselben Menschen, das ist eine
Gemeinschaft geworden, und einige haben dort auch ihre wichtigsten sozialen
Kontakte. Das ist wie ein Jahrmarkt oder für manche auch der wöchentliche
Weg zur Beichte. Und das hat mit den Jahren auch immer mehr zugenommen: Je
weniger Menschen es werden bei den Demonstrationen, desto verschworener
wird diese Gemeinschaft. Aber wir sollten uns hüten, das als beendet oder
gar als reines regionales Phänomen zu betrachten.
13 Apr 2018
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Lesestück Interview
Schwerpunkt Pegida
Dokumentation
Romanverfilmung
Der zweite Blick
Dokumentarfilm
Kollektiv
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Pegida
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