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# taz.de -- Doku-Film „Eskimo Limon“: Sex, Folter und Rock'n'Roll
> Der preisgekrönte Dokumentarfilmer Eric Friedler hat sich mit der plumpen
> Filmreihe „Eis am Stiel“ beschäftigt. Das Ergebnis ist beeindruckend.
Bild: Kam vor 49 Jahren in die deutschen Kinos: Zachi Noy wurde mit „Eis am S…
Die acht Filme der „Eis-am-Stiel“-Reihe gelten nicht gerade als
Paradebeispiele für besonders feinsinnige Kinokunst. In den zwischen 1977
und 1988 gedrehten Komödien geht es um halbstarke Jungs, die im Tel Aviv
der 50er-Jahre den Mädchen unter die Röcke gucken, Rock’n’Roll-Partys
feiern und Prostituierte aufsuchen. Slapstick, Sex und frivole Gags sind
die Mittel, mit denen die Geschichten erzählt werden.
Aus heutiger Sicht ist manches davon harmlos bescheuert und amüsant,
anderes übel sexistisch. Damals aber begeisterten die in Israel
produzierten Filme ein großes Publikum, der erste Teil lief sogar auf der
Berlinale und war für einen Golden Globe nominiert. Dass ein preisgekrönter
Dokumentarfilmer wie Eric Friedler sich in seinem 95-Minüter „Eskimo Limon“
mit „Eis am Stiel“ beschäftigt, mag zunächst überraschen. Friedler ist
Leiter der Abteilung Sonderprojekte für Dokumentarfilm und Dokudrama beim
NDR und erhielt unter anderem mehrere Grimme-Preise. „Eis am Stiel“ scheint
für einen Dokumentarfilmer aus seiner Liga ein Feld zu sein, das kaum
Überraschungen bereithalten dürfte.
Doch die Doku überzeugt durch eine Vielzahl von spannenden Erkenntnissen,
unter anderem über die Mechanismen der Filmwirtschaft, die Auswirkung der
Filme auf ihr Publikum und die Lebensläufe der Darsteller. Außerdem geht es
um den Umgang mit Schauspielerinnen und Schauspielern am Set, die
israelische Filmszene, das Selbstbild Israels, Frauenfeindlichkeit und
Humor.
Eigentlich ist das zu viel für eine einzige Doku, und schon gar nicht kann
an in dieser Rezension auf alle Aspekte eingegangen werden. Aber Friedler
navigiert gekonnt durch sein Material. Seine Doku hat einen eleganten
Spannungsbogen, das Urteil der Zuschauer wird durch Perspektivwechsel
mehrfach auf die Probe gestellt. Vieles entpuppt sich als komplexer, als es
zunächst den Anschein hat.
Dabei setzt Friedler auch auf einige visuelle Raffinessen und gutes
Archivmaterial, die größte Stärke der Doku aber sind seine
Gesprächspartner. Ihre Betrachtungen besitzen Wucht, zeugen von großer
Reflektionsfähigkeit. Zum Beispiel Yftach Katzur: Er spielte eine der
Hauptrollen, heute ist ihm unangenehm, an den Filmen mitgewirkt zu haben.
Frauen seien in den Filmen herabgewürdigt worden, seine Rolle hätte einen
negativen Einfluss auf das Frauenbild der männlichen Zuschauer gehabt, sagt
Katzur. „Manche Liebesszenen wirken eher wie Vergewaltigungen.“
## Nicht mehr „der dicky Johnny“ sein
Die Kostümbildnerin Tami Mor berichtet, dass sie damals junge Frauen
überredet hat, sich für eine Szene komplett auszuziehen. Heute schämt sie
sich dafür; dass bald die halbe Welt ihre nackten Körper sehen würde,
konnten die Frauen nicht ahnen. Mor erhebt außerdem Vorwürfe gegen
Regisseur Boaz Davidson: Er habe den Schauspieler Zachi Noy beim Dreh
regelrecht gefoltert, ihn geschlagen und bloßgestellt. Manche Sachverhalte
werden von den Befragten konträr bewertet, das verleiht der Doku einen
lebendigen Charakter.
Friedler begleitete die Protagonisten für seine Recherchen zu
unterschiedlichen Anlässen. Er beweist ein Gespür für symbolkräftige
Bilder: Wenn Zachi Noy nach einem Auftritt durch die trostlosen Flure des
Kindertheaters von Tiberias schlurft, sein Bärenkostüm umständlich selber
in einem Kleidersack tragen muss, ist das für sich genommen unspektakulär.
Wenn man aber weiß, dass Noy davon träumt, nicht für immer „der dicke
Johnny aus ,Eis am Stiel'“ sein zu müssen, sondern noch einmal eine
anspruchsvolle Rolle zu bekommen, liegt eine große Tragik in diesen
Bildern.
Was fängt man jetzt mit alledem an? Man könnte Friedlers Analyse dieses
popkulturellen Phänomens interessiert anschauen und das Ganze als
singuläres Phänomen aus der Vergangenheit abtun. Passender wäre es wohl,
diese Doku als einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Debatte um
Machtstrukturen und Machtmissbrauch beim Film zu verstehen.
6 May 2018
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Dokumentarfilm
Sexismus
Israel
50er Jahre
Repräsentation
Lesestück Interview
Schwerpunkt Rassismus
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