# taz.de -- Ingo Schulzes "Adam und Evelyn": Das Paradies ist anderswo | |
> Nullpunkt 1989, ein Weltenwechsel in Dialogform: Ingo Schulze erzählt in | |
> seinem neuen Roman "Adam und Evelyn" die Wendezeit als Liebesgeschichte. | |
Bild: Die Wiedervereinigung als Nullpunkt der Geschichte: Ingo Schulze beschrei… | |
Ob er das gerne hören mag oder nicht - Ingo Schulze ist der beharrlichste | |
literarische Begleiter der Ostdeutschen. Und er hat dabei nicht wenig | |
geleistet: Gerade sein Episodenroman "Simple Storys", das wohl beste Buch, | |
das er bislang geschrieben hat, lieferte acht Jahre nach dem formalen Akt | |
der Wiedervereinigung ein ungeheuer dichtes Bild dessen, was sich an | |
Hoffnungen, Ängsten, Verlusten und Tragödien in der Mentalität der | |
ehemaligen DDR-Bürger angesammelt hatte. Die kunstvolle Kunstlosigkeit, die | |
Orientierung an der mündlichen Form, dem alltäglichen Sprechen, das war und | |
ist Schulzes viel beschworenes ästhetisches Programm, das einmal mehr und | |
einmal weniger aufging. | |
In seinem neuen Roman ist Schulze zeitlich einen Schritt zurück und formal | |
so weit gegangen wie nie zuvor: "Adam und Evelyn" ist ein Buch, das wohl | |
mehr als zur Hälfte aus Dialogen besteht. Und natürlich spielt der Titel | |
auf eine Ursituation an, auf einen Moment, der sich möglicherweise erst im | |
Nachhinein als ein Nullpunkt der Geschichte begreifen lässt: Im Sommer 1989 | |
kreuzen sich ost- und westdeutsche Biografien in Ungarn, am Plattensee; die | |
Stimmung ist aus diversen Gründen gespannt und angespannt. Der | |
Damenschneider Adam, Anfang dreißig, der, wie man später erfährt, | |
eigentlich Lutz heißt, ist seiner Freundin Evelyn, Anfang zwanzig, und | |
deren Freundin dorthin nachgereist, in seinem alten Wartburg, Baujahr 1961, | |
der schon zur Familie gehört. | |
Nicht lange zuvor hat Evelyn Adam mit einer seiner Kundinnen in flagranti | |
erwischt und sich aus dem Staub gemacht. In Stalker-Manier reist Adam der | |
Gruppe nach, die noch durch Michael, den westdeutschen Cousin von Evelyns | |
Freundin, ergänzt wird. Michael, so der Plan, soll seine Cousine heiraten | |
und ihr auf diese Weise den Weg in den Westen ebnen. Kurz vor der | |
ungarischen Grenze liest Adam noch Katja auf, deren Flucht durch die Donau | |
gescheitert ist und die er im Kofferraum durch die schon durchlässig | |
werdende Kontrolle schmuggelt. Damit ist das Personal des Romans komplett. | |
Nullpunkt 1989 also. Man hört von den Botschaften, die überfüllt sind, von | |
den Aufnahmezeltlagern jenseits der Grenze. Der Umbruch liegt in der Luft. | |
Als alle wieder beisammen sind, beginnt das Verwirrspiel erst richtig: Wer | |
gehört zu wem? Adam zu Evelyn? Michael zu Evelyn? Adam zu Katja? Oder Adam | |
zur ungarischen Vermieterin? Oder zu deren Tochter? Und vor allem - wo | |
gehört man hin? Wo findet das Leben statt? In den Westen gehen oder zurück | |
in die DDR fahren? Wo ist, um im biblischen Kontext zu bleiben, das | |
Paradies? Wird man gerade daraus vertrieben oder eröffnet sich die Chance, | |
genau jetzt eben dorthin zu kommen? All diese Fragen lässt Schulze seine | |
Figuren überwiegend in der wörtlichen Rede verhandeln. Das macht in diesem | |
Fall eindeutig den Schwachpunkt des Romans aus und wirft die alte Frage | |
auf, wie viel kalkulierte Authentizität, soll in diesem Fall heißen: | |
Banalität, ein Buch verträgt, ohne selbst banal zu werden. Hier ist das Maß | |
überschritten. | |
Es ist als Phänomen durchaus interessant und mag dem Geist jener Wendezeit | |
entsprechen, dass sehr viel geredet, sehr viel gehandelt und sehr wenig | |
nachgedacht wurde, doch in "Adam und Evelyn" wäre dringend eine Instanz | |
vonnöten gewesen, die dem plappernden Personal einmal Einhalt gebietet. | |
Schulze, das ist hier nicht anders als in seinen vorangegangenen Büchern, | |
mag seine Figuren; eine zu respektierende Haltung. Und doch ist es geboten, | |
diesen Menschen etwas entgegenzusetzen. | |
Vor allem Evelyn ist ein Charakter, der geradezu rasant ins Unsympathische | |
kippt, von der verhinderten Kunststudentin, die sich als Kellnerin | |
durchschlägt, hin zur reinen Konsumentin, die davon träumt, dass es für sie | |
auch irgendwann einmal selbstverständlich sein wird, in einem Laden teure | |
Schokolade zu kaufen. Sie reden immer wieder davon, dass sie nun endlich | |
leben wollen, aber sie meinen damit konsumieren und ihren Drang nach | |
Tourismus ausleben. Mobilität als Grundrecht, der Ferienflieger als Symbol | |
von Freiheit. So war es angelegt, so ist es gekommen. Ein ganzer | |
Weltenwechsel vollzieht sich binnen kurzer Zeit; plötzlich wird wichtig, | |
was zuvor unwichtig war, vor allem Geld. So wichtig, dass Adam sogar seinen | |
geliebten Wartburg verscheuert. Sollte es Ingo Schulze mit "Adam und | |
Evelyn" auch um ein Mentalitätsfazit von knapp 20 Jahren Einheit gegangen | |
sein, so ist ihm das gelungen. | |
Doch noch ist es 1989, und Adam, der den bequemen Verhältnissen der DDR | |
nachtrauert, und Evelyn stehen nach ihrer Ausreise nach München in einer | |
Altbauwohnung und betrachten diese wie ein Wunderland. Es gibt ein | |
untergründig bedrohliches Motiv, das den gesamten Roman durchläuft - das | |
der Bespitzelung und gegenseitigen Überwachung. Es kulminiert in einer | |
hochkomischen Szene, in der Evelyn und Adam nach ihrer Ankunft im Westen | |
von einem bundesrepublikanischen Beamten getrennt in die Mangel genommen | |
werden, um hinterher festzustellen, dass sie so gründlich noch nie befragt | |
worden sind. Hier funktioniert der Dialogwitz ausnahmsweise einmal. | |
Aber sonst? Man darf Ingo Schulze zugute halten, dass er wusste, was er | |
tat, als er die Entscheidung getroffen hat, von dieser Zeit auf diese Weise | |
zu erzählen, in kleinen, leicht konsumierbaren, beinahe privatistischen | |
Kapitelhäppchen von jeweils drei, vier Seiten. Nur lassen sie eben ein | |
hohles Gefühl zurück. Satt wird man davon nicht. | |
8 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schröder | |
## TAGS | |
Staatsschauspiel Dresden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Staatsschauspiel Dresden: Ingo Schulze: Kinderglaube Kommunismus | |
Ohne viel Ausstattung: Das Dresdner Staatsschauspiel bringt eine stimmige | |
Bühnenfassung von Ingo Schulzes „Peter Holtz“-Roman. |