| # taz.de -- Salzburger Festspiele: Katharsis im Plastikmüll | |
| > Von Schiffbrüchigen und Menschenopfern: Peter Sellars inszeniert Mozarts | |
| > frühe Oper „Idomeneo“ in Salzburg als Utopie der Versöhnung. | |
| Bild: Von Liebe und Eifersucht: Elettra (Nicole Chevalier), Ilia (Ying Fang), I… | |
| Vor zwei Jahren war bei den [1][Salzburger Festspielen] die radikal | |
| dekonstruierte Mozart-Seria-Oper „La Clemenza di Tito“ eine starke Setzung | |
| zum Auftakt der Intendanz von Markus Hinterhäuser. Denn Regisseur Peter | |
| Sellars und Dirigier-Derwisch [2][Teodor Currentzis] verschnitten Mozarts | |
| Spätwerk mit seiner c-Moll-Messe und deuteten die Handlung auf der Folie | |
| der Flüchtlingskrise. | |
| In seinem dritten Festspieljahr setzt Hinterhäuser nun erneut auf das | |
| Dreamteam, das ihm 2017 einen so markanten Start bescherte, diesmal mit | |
| „Idomeneo“, den Mozart bereits mit 24 Jahren komponierte. In der Kunst | |
| gehen Fortsetzungen, die mit der Vorhersehbarkeit eines Erfolgs | |
| spekulieren, ja häufig schief. In Salzburg kriegt das Team die Kurve zwar, | |
| aber nur knapp. Denn die schon bei „Tito“ ausgemachte Nähe zur rituell | |
| überhöhten Folklore ist noch stärker ausgeprägt. | |
| Bereits in seiner Rede zur Eröffnung der Festspiele – flankiert von | |
| Grußworten der österreichischen Interimskanzlerin Brigitte Bierlein und des | |
| [3][Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen] – fokussierte Regisseur | |
| Peter Sellars das Festspielmotto, das sich den Mythen der Antike | |
| verschrieben hat, auf die globalen Krisen der Gegenwart: Klimawandel, Müll | |
| und Migration. Tatsächlich ist ja Mozarts „Idomeneo“ eine Oper über das | |
| Meer, das in der Partitur schäumt und brodelt und als Schicksalsgewalt | |
| allgegenwärtig ist in den hoch dramatischen Chören. | |
| Erneut haben Sellars und Currentzis kühn in Mozarts Partitur eingegriffen, | |
| die Secco-Rezitative einfach gestrichen – was ein Gewinn ist, weil es Tempo | |
| bringt –, einen Chor mit Soli aus „Thamos, König in Ägypten“ und eine | |
| Konzertarie mit obligatem Klavier ergänzt. | |
| ## Verhör bei der Einwanderungsbehörde | |
| Bühnenbildner George Tsypin hat auf der 40 Meter breiten Riesenbühne der | |
| Felsenreitschule transparente Objekte verstreut, die sowohl an bizarr | |
| vergrößerten Plastikmüll als auch an urtümliches, molluskenartiges | |
| Meeresgetier erinnern. Beim ersten Chorauftritt verweisen Absperrungen an | |
| das Flüchtlingsszenario des „Tito“, denn auch die trojanische Prinzessin | |
| Ilia, der die erste Szene gehört, ist als Flüchtling auf Kreta gelandet. So | |
| wird ihr ausuferndes Accompagnato-Rezitativ zum Verhör bei der kretischen | |
| Einwanderungsbehörde. | |
| Das fatale Liebes- und Eifersuchtsgeflecht der Handlung zwischen Prinzessin | |
| Ilia, dem tot geglaubten Idomeneo, seinem Sohn Idamante, der sich spontan | |
| in Ilia verliebt, aber bereits der dem Atridendrama entkommenen Elettra | |
| versprochen ist, verdichtet Sellars als Kammerspiel stilisierter Gesten und | |
| Haltungen, das die Personen auf der Bühne eng aneinanderkettet. | |
| Der schiffbrüchige Kreter-König Idomeneo (Russell Thomas mit brüchigem, | |
| kraftlosem Tenor) tritt in heutiger Befehlshaber-Uniform auf und ist | |
| zunächst durchaus bereit, das für seine Rettung dem Meeresgott Neptun | |
| versprochene Menschenopfer ausgerechnet an seinem Sohn Idamante zu | |
| vollziehen. Ist dieser doch – Paula Murrihy singt die Hosenrolle mit | |
| zunächst flirrendem Mezzo, nach der Pause dann mit wachsender Glut – in | |
| seinen Augen ein Schwächling. | |
| ## Ergreifendes Quartett | |
| Der Trojaner-Prinzessin Ilia, die Ying Fang mit lyrisch strömendem Sopran, | |
| aber wenig akzentuiert singt, verordnet Peter Sellars überwiegend | |
| statuarische Passivität, ihre letzte lange Arie, „Zeffiretti lusinghieri“, | |
| etwa singt sie bewegungslos am Bühnenrand sitzend. Wesentlich mehr passiert | |
| dagegen zwischen Idamante und der mit ihm in Hassliebe verbundenen Elettra, | |
| die Nicole Chevalier mit koloraturblitzendem Sopran, scharfer Rhetorik und | |
| stilistisch makelloser Diktion singt und auch mit ihrem darstellerischen | |
| Furor alles überstrahlt. | |
| Die dichtesten und mit feinem Gespür für die subtilsten Mozart-Schwingungen | |
| inszenierten Momente ereignen sich in den Szenen des Liebesringens zwischen | |
| Idamante und Elettra. Auch das finale Quartett, das zu den ergreifendsten | |
| Schöpfungen der Operngeschichte zählt, glückt Sellars als dichte und | |
| psychologisch wahrhaftige Erzählung. | |
| Aber es gibt immer wieder auch gewaltige Hängepartien, und vor allem die | |
| Chorregie, die sich schon bei „Tito“ eurythmischen Ertüchtigungen | |
| gefährlich näherte, erstarrt nun vollends zur Sportgymnastik. Für deren | |
| Perfektion hat Sellars sich Verstärkung in Gestalt des aus Samoa gebürtigen | |
| Choreografen Lemi Ponifasio geholt, der vor einigen Jahren mal schwer | |
| angesagt war. Ponifasio beruft sich auf traditionelle Riten und kommt damit | |
| im finalen Ballett erst richtig zum Zuge, indem er ein Duo auftreten lässt | |
| (Brittne Mahealani Fuimaono und Arikitau Tentau), das mit einem | |
| Heilungsritual für das erwünschte Eine-Welt-Gefühl sorgen soll. | |
| Selbst die an ihren eisigen Koloratur-Zacken erstickte Elettra wird von der | |
| lächelnden Tänzerin aufgesammelt, alle reichen sich die Hände und stehen am | |
| Ende in einer langen Reihe aufgereiht. | |
| Selbst beim Schlussapplaus bleiben alle beisammen, es gibt keine Soli. Das | |
| ist dann doch ein bisschen viel Versöhnungsmilde, obwohl der Abend trotz | |
| seiner Kitschmomente im Ganzen durchaus einen höheren Ernst atmet. Zumal | |
| der junge Mozart mit seinem Mut zur Utopie den Versöhnungsgedanken ja | |
| teilt. | |
| Teodor Currentzis beglaubigt den Mozart’schen Furor am Pult des Freiburger | |
| Barockorchesters über weite Strecken nur mit gebremstem Schaum. Mag auch | |
| sein, dass die Felsenreitschule für die Dynamik der alten Instrumente | |
| einfach zu groß ist. So ist vieles genau gearbeitet, fein austariert, klug | |
| zugespitzt und dramaturgisch durchdacht. Aber die archaische Wucht der | |
| Chöre will sich nicht recht entladen. Das Fazit bliebt zwiespältig. | |
| 29 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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