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# taz.de -- Theater bei den Salzburger Festspielen: Unsere Zeit ist abgelaufen
> Horváths „Jugend ohne Gott“ spielt in der Dämmerung des Faschismus.
> Thomas Ostermeier dramatisiert den Roman bei den Salzburger Festspielen.
Bild: „Sommergäste“ von Evgeny Titov bei den Salzburger Festspielen
Als Maxim Gorki im Jahr 1904 gelangweilte Großstädter auf einer ländlichen
Datscha versammelte, standen Europa die großen Erschütterungen des
Jahrhunderts erst bevor. 1938, als der ungarische Schriftsteller Ödön von
Horváth wegen einer möglichen Verfilmung seines Romans „Jugend ohne Gott“
nach Paris reiste und dort von einem Ast erschlagen wurde, war ein minder
begabter Kunstmaler aus Braunau am Inn gerade dabei, Österreich ins
nationalsozialistische deutsche Reich einzugliedern. Die Menschen wussten
nicht mehr, wo rechts und links ist, und wählten vorsorglich braun.
Wenn die Salzburger Festspiele ihr diesjähriges Schauspielprogramm nun mit
einer Bühnenadaption von Horváths letztem Roman und einer Inszenierung von
Gorkis „Sommergästen“ eröffnen, kann man nicht darüber hinwegsehen, dass
uns Wohlstandseuropäern ein Spiegel vorgehalten wird. Man kann sich fragen,
wie alles weitergehen könnte.
Horváth jedenfalls zeigt in „Jugend ohne Gott“, wie leicht es ist, Menschen
politisch zu instrumentalisieren. Das ist so beeindruckend, dass der
Kollege Hermann Hesse in einem Brief schrieb, er empfehle dringlich eine
Lektüre der Erzählung. Sie schneide quer durch den moralischen Weltzustand
von heute. Das sollte man auf jeden Fall unterstreichen, schließlich
schrieb Horváth wie kein anderer gegen das schleichende Gift der
rassistischen Naziideologie an und skizzierte im Roman die emotionale
Berg- und Talfahrt eines Lehrers, der gegen die Indoktrination seiner
Schüler vorgehen will, das aber nur halbherzig tut.
## Horváth stellt die liberale Mitte in Frage
Da steht ein intellektueller Liberaler und weiß nicht so recht: Soll ich
nun gegen das Abgleiten der bürgerlichen Mitte in Richtung
Rechtsradikalität kämpfen oder sollte ich selbst aus der bürgerlichen Mitte
weg in Richtung Führer rücken. Horváth nimmt nicht nur die ins Visier, die
sowieso in rassistischen Ressentiments schwelgen. Er stellt auch die
liberale Mitte und damit sich selbst in Frage.
Nicht zuletzt diese in die heutige Bundesrepublik weisende Fragestellung
dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass der künstlerische Leiter der
Berliner Schaubühne, [1][Thomas Ostermeier], zusammen mit dem Dramaturgen
Florian Borchmeyer eine Bühnenadaption des Romans erstellte und mit Jörg
Hartmann ein Ensemblemitglied der Schaubühne im Zentrum der Adaption
platzierte, wie man sich das besser nicht vorstellen könnte.
Hartmann kennt man als Stasi-Fiesling aus der TV-Serie „Weissensee“ und als
schwermütig-schnöseligen „Tatort“-Kommissar. Genau diese Atmosphäre einer
Kunstfigur mit diabolischen Zügen sollte auch bedient werden, als er zu
Beginn allein auf der Bühne des Salzburger Landestheaters stand und sich
mit der Selbstverständlichkeit eines abgefeimten Verführers fragte, was er
Hitler zu verdanken habe. Die schlichte Antwort: „Alles“.
## Schwenk zum Naturalismus
Der Prolog zum Theaterabend stammt aus dem Buch „Geliebter Führer. Briefe
der Deutschen an Adolf Hitler“ und ist der einzige Fremdtext, der Eingang
in die Bühnenfassung von „Jugend ohne Gott“ gefunden hat. Während Jörg
Hartmann die Führer-Eloge spricht, stellt Thomas Ostermeier leider aber
auch die entscheidende Weiche der Inszenierung. Hartmann wird umgekleidet
und ist nicht mehr ein smarter Intellektueller, der auch auf einem
linksliberal grundierten Podium sitzen könnte. Da steht plötzlich die
naturalistische Kopie eines Lehrers, die genau so in einem
deutsch-völkischen Klassenzimmer von 1937 hätte stehen können.
Die Tendenz der Inszenierung in Richtung einer biedermeierlichen
Historisierung setzt sich fort, wenn die sieben SchauspielerInnen
Schulbänke hereintragen und ein Klassenzimmer andeuten (Bühne: Jan
Pappelbaum).
Thomas Ostermeier arbeitet, das hat man nach dem Eröffnungs-Prolog sehr
schnell verstanden, auf keinen Fall an einem Theaterabend, der ausgehend
von Horváth zum Beispiel die neofaschistische Legendenbildung in den
Stammzellen der AfD thematisiert. Er inszeniert lediglich das Seelendrama
eines schwankenden Lehrers und verwendet keine Energie darauf, das auf der
Bühne zumindest so stark zu erzählen, wie der Roman geschrieben wurde.
## Schlüssige Deutung
Das kann ich besser, hätte Evgeny Titov sich sagen können, hätte er
genügend Zeit für solche Gedanken gehabt. Der kasachische Regisseur,
übernahm den Auftrag für eine Eigenproduktion der Salzburger Festspiele,
den die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik aus gesundheitlichen
Gründen niederlegen musste. Und siehe da: Titov, der an der Theaterakademie
von St. Petersburg Schauspiel und am Wiener Max Reinhardt Seminar Regie
studierte, gelingt im Fall von Gorkis „Sommergästen“ zumindest eine in sich
schlüssige Deutung der Endzeitdialoge, mit denen Gorki den hysterischen
Todeskampf seines Personals instrumentiert.
Eigentlicher Hingucker des Abends ist Raimund Orfeo Voigts
Cinemascope-Bühnenbild, das in der Salzburger Perner-Spielstätte wie eine
Kathedrale des Großbürgertums von rechts nach links und wieder zurück
gleitet, während die Perspektiven und Räume sich weiten und schrumpfen.
Es ist auch nicht zu übersehen, dass Evgeny Titov kaum Zeit für
schauspielerische Feinheiten hatte. Er spitzt szenisch zu und sorgt dafür,
dass 15 SchauspielerInnen sich mit aller Wucht den nervösen Verrenkungen
einer Schickeria hingeben, die spürt: Unsere Zeit ist abgelaufen. Das hat
schon was und ist sicherlich mehr als die Dehnübung, mit der Thomas
Ostermeier einer gottlosen Jugend näherkommen wollte.
1 Aug 2019
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## AUTOREN
Jürgen Berger
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